Kaum ein Gebäude spiegelt die Entwicklung Charlottenburgs so eindrucksvoll wider wie das Rathaus an der Otto-Suhr-Allee. Anlässlich seines 120-jährigen Bestehens erzählt eine Ausstellung vom 12. bis 28. Mai 2025 die Geschichte dieses architektonischen und politischen Symbols – von den ersten Entwürfen bis zur heutigen Nutzung als Kultur- und Verwaltungsort.

Seit 120 Jahren prägt das Rathaus Charlottenburg die Otto-Suhr-Allee. / © Foto: Wikimedia Commons, Public Domain

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© Foto Titelbild: Wikimedia Commons, Leandro Neumann Ciuffo, CC BY 2.0

 

Als die damals eigenständige Stadt Charlottenburg im späten 19. Jahrhundert rapide wuchs, war das Bedürfnis nach einem repräsentativen Verwaltungsbau nicht länger zu ignorieren. Von einem beschaulichen Vorort mit rund 10.000 Einwohnern im Jahr 1850 hatte sich Charlottenburg binnen weniger Jahrzehnte zu einer aufstrebenden Großstadt mit über 180.000 Menschen entwickelt – wohlhabend, bürgerlich, selbstbewusst. Die bestehenden Rathäuser reichten räumlich nicht mehr aus und entsprachen auch nicht dem gestiegenen Repräsentationsanspruch der Stadt.

Im Jahr 1897 lobte die Stadt einen Architekturwettbewerb für ein neues Rathaus aus. Den Zuschlag erhielten die Berliner Architekten Heinrich Reinhardt und Georg Süßenguth. Ihr Entwurf vereinte Elemente des Historismus mit modernen Ausstattungsmerkmalen und spiegelte die Vorstellung einer bürgerlich geprägten, zukunftsgewandten Stadt wider. Der Bau begann im Juni 1899 auf einem Gelände an der damaligen Berliner Straße, der heutigen Otto-Suhr-Allee.

Ein Zeichen des Aufbruchs in Charlottenburg: Der Monumentalbau von 1905

Mit der Einweihung des neuen Rathauses am 20. Mai 1905 setzte Charlottenburg ein städtebauliches Ausrufezeichen. Die Hauptfassade mit einer Ausdehnung von 70 Metern wurde mit aufwendigen Skulpturen und Reliefs geschmückt. Der Rathausturm, mit 88 Metern bewusst höher als die Kuppel des benachbarten Schlosses, sorgte nicht nur für architektonische Dominanz, sondern auch für politische Irritationen: Wilhelm II. soll den Bau als Affront empfunden und den Turm gemieden haben.

Das Rathaus war dabei nicht nur Verwaltungssitz, sondern auch Ausdruck einer städtischen Idee. Im Inneren spiegeln allegorische Reliefs, kunstvoll gestaltete Sitzungssäle und reiche Ornamentik das Selbstbild eines aktiven, aufgeklärten Bürgertums wider. Der Bau enthielt Räume für Verwaltung, Repräsentation und Begegnung – von der Sparkassenhalle bis zu den Versammlungssälen, deren Symbolik Ordnung, Fleiß und Gemeinsinn propagierte.

Erweiterung des Charlottenburger Rathauses unter Seeling: Jugendstil und Sezession

Nur wenige Jahre nach der Eröffnung wurde deutlich, dass der Verwaltungsbedarf weiter wuchs. Von 1911 bis 1916 erfolgte unter Leitung des Architekten Heinrich Seeling ein bedeutender Erweiterungsbau. Stilistisch lehnte sich der Anbau an den Bestand an, zeigte aber auch erste Züge des sich wandelnden Architekturverständnisses: klarere Linien, mehr Struktur, ein Übergang vom verspielten Historismus zum sachlicheren Stil der Moderne.

Im Inneren entstanden neue Säle, darunter der Lily-Braun-Saal und der Märkische Saal, benannt nach zentralen Figuren der Frauenbewegung oder regionaler Identität. Reliefs und Sinnsprüche wie „Unablässige Arbeit überwindet alles“ zierten Portale und Treppenhäuser. Die neue Sparkassenhalle wurde 1913 der Öffentlichkeit übergeben und markierte mit ihrer Funktion und Gestaltung den Anspruch, Bürgernähe und Verwaltungsmoderne zu verbinden.

Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und zäher Wiederaufbau in Charlottenburg

Die Jahre des Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hinterließen tiefe Spuren. Bereits im März 1943 zerstörten Bomben Teile des Ostflügels, im November desselben Jahres traf eine Luftmine das Rathaus direkt. Die Bezirksverwaltung musste auf umliegende Gebäude ausweichen. 80 Prozent des Gebäudes galten nach Kriegsende als unbenutzbar.

Der Wiederaufbau unter Leitung des Architekten Hans Günther begann 1947, zog sich aber aufgrund der angespannten Haushaltslage bis Ende der 1950er Jahre hin. Teile der historischen Ausstattung gingen dabei verloren, doch zentrale Räume – darunter das Haupttreppenhaus und die Gedächtnishalle – konnten restauriert oder neu interpretiert werden. Bereits 1954 war ein Großteil der Verwaltungsarbeit wieder im Rathaus untergebracht, die offizielle Fertigstellung erfolgte 1958.

Von der Bezirksreform zur Gegenwart: Das Rathaus als Kulturort

Mit der Bezirksreform 2001 verlor das Rathaus seinen Status als alleiniges Zentrum kommunaler Verwaltung, blieb jedoch ein prägender Ort des politischen und kulturellen Lebens in Charlottenburg-Wilmersdorf. 2013 kehrte die Bezirksverordnetenversammlung nach einem Intermezzo im Rathaus Wilmersdorf zurück an die Otto-Suhr-Allee. Die Heinrich-Schulz-Bibliothek fand im Erdgeschoss des Erweiterungsbaus ein neues Zuhause, und die einstige Sparkassenhalle wurde damit zur öffentlichen Wissensstätte.

Zahlreiche Säle wie der Minna-Cauer-, Gertrud-Bäumer- oder Helene-Lange-Saal erinnern zudem an die Rolle engagierter Frauen in der Stadtgeschichte. In der Wandelhalle und der Gedenkhalle wird den Opfern der NS-Gewaltherrschaft und der beiden Weltkriege gedacht – ein historisches Gedächtnis, das integraler Bestandteil der Rathausarchitektur geblieben ist.

Ausstellung zum 120. Jubiläum in der Otto-Suhr-Allee: Ein Blick in Vergangenheit und Gegenwart

Anlässlich des 120-jährigen Jubiläums zeigt die Rathausgalerie vom 12. bis 28. Mai 2025 eine Ausstellung zur Entwicklung des Charlottenburger Rathauses – von den ersten Planungen bis zur Gegenwart. Kuratiert von Stefan Knobloch, vereint die Ausstellung neben Archivmaterialien und Bauplänen erstmals auch bislang unveröffentlichte Dokumente aus dem Nachlass des Architekten Max Kluge. Fotografien von David Kregenow zeigen das Rathaus in seiner heutigen Nutzung als Verwaltungsstandort, Kulturort und Symbol kommunaler Geschichte.

Die Ausstellung soll daran erinnern, dass Bauwerke wie das Rathaus Charlottenburg mehr sind als reine Zweckbauten: Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Ideale, Spiegel politischer Umbrüche und Zeugnisse städtischer Identität.

Quellen: Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf (berlin.de), Pressemitteilung Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, Wikipedia: Rathaus Charlottenburg

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