In den 1970er Jahren suchte das umschlossene West-Berlin nach neuen Wegen, Wohnraum zu schaffen. Eine der Lösungen: ein 600 Meter langer Wohnriegel über einer Stadtautobahn. Die „Schlange“ gilt als Experiment zwischen Lärmschutz und Flächeneffizienz. Heute steht das denkmalgeschützte Bauwerk in Wilmersdorf vor einer umfassenden Sanierung.

Nach über 40 Jahren ist die denkmalgeschützte „Schlange“ in Charlottenburg-Wilmersdorf in die Jahre gekommen. Deshalb startet die DEGEWO eine umfassende Sanierung. Erste Baugerüste sind bereits zu erkennen. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
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Die Wohnanlage an der Schlangenbader Straße gilt als architektonisches Unikum. Errichtet zwischen 1976 und 1980, überbaut sie auf einer Länge von 600 Metern die damalige A104. Der bis zu 46 Meter hohe Wohnriegel mit seinen markanten Terrassen und Gängen war seiner Zeit stadtplanerisch wie baulich voraus.
Die Idee: Verkehrsflächen doppelt nutzen, Wohnraum schaffen und dabei Lärmemissionen minimieren. Heute leben hier rund 3.000 Menschen in über 1.200 Wohnungen. Seit 2007 steht die gesamte Anlage unter Denkmalschutz.
Ein Bauwerk der 1970er Jahre mit dem Ziel, ressourcenschonenden Wohnraum zu schaffen
Die „Schlange“ entstand in einer Zeit, in der West-Berlin durch den Mauerbau räumlich stark begrenzt war und neuer Wohnraum dringend benötigt wurde. Während in den Jahrzehnten zuvor vor allem Großsiedlungen am Stadtrand wie das Märkische Viertel oder die Gropiusstadt entstanden, suchte man in den 1970er Jahren verstärkt nach innerstädtischen Lösungen.
Mit dem Projekt an der Schlangenbader Straße wagte die DEGEWO gemeinsam mit den Architekten Georg Heinrichs, Gerhard und Klaus Krebs ein städtebauliches Experiment: Eine Autobahnüberbauung mit Wohnungen, Geschäften, sozialen Einrichtungen und Grünanlagen – mitten im gewachsenen Wohngebiet am Rande des Rheingauviertels. Ziel war es, die Zerschneidung des Quartiers durch die A104 zu vermeiden und gleichzeitig emissionsarmen Wohnraum zu schaffen.
Technisch und stadtplanerisch einzigartig: Auf 600 Metern Länge entstand ein Gebäude über einem Autobahntunnel
Die Bauarbeiten begannen Anfang der 1970er Jahre. Zwischen 1976 und 1980 entstand auf einer Länge von 600 Metern ein zusammenhängender Wohnkomplex mit bis zu 14 Stockwerken. Insgesamt wurden über 1.700 Wohneinheiten realisiert, darunter rund 1.200 in der eigentlichen Überbauung der Autobahn. Daneben gibt es zahlreiche Gewerberäume, Gemeinschaftseinrichtungen, eine Kita sowie verschiedene soziale Angebote.
Das Projekt war technisch hochkomplex: Der Autobahntunnel verläuft in einer baulich getrennten Röhre unterhalb des Gebäudes. Die Wohnanlage selbst ruht auf einem Traggerüst, das die Lasten seitlich und mittig in den Baugrund ableitet. Das Gebäude folgt dem geschwungenen Verlauf der Straße, was ihm seine charakteristische Form verleiht.
Grundlegende Sanierung nach 40 Jahren: Pilotprojekt macht den Anfang
Nach über 40 Jahren ist die „Schlange“ in die Jahre gekommen. Technische Anlagen müssen modernisiert, energetische Standards verbessert und schadstoffbelastete Materialien entfernt werden. Die landeseigene DEGEWO plant deshalb eine umfassende Sanierung. Startpunkt ist das Pilotprojekt an der Schlangenbader Straße 28 A–E und Wiesbadener Straße 59 A–E. Dort sollen technische und gestalterische Lösungen entwickelt werden, die auf den gesamten Komplex übertragbar sind.
Geplant ist die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle, die Modernisierung der Heizungs-, Sanitär- und Lüftungstechnik sowie die Renovierung der Bäder. Ein zentrales Thema bleibt die Schadstoffsanierung. Seit 2013 wurden in mehreren Hundert Wohnungen bereits Asbestmaterialien entfernt. Weitere belastete Bauteile wurden bei Voruntersuchungen entdeckt.
Mieterbeteiligungen soll Sanierungsprozess für die Bewohnerschaft sozial verträglich gestalten
Laut DEGEWO handelt es sich bei der geplanten Sanierung um eines der größten und anspruchsvollsten Projekte in der Unternehmensgeschichte. Um die Belastungen für die rund 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner möglichst gering zu halten, setzt das landeseigene Wohnungsunternehmen auf frühzeitige Information und aktive Beteiligung. Bereits im Jahr 2022 wurde ein Sanierungsrat ins Leben gerufen, eine Informationsveranstaltung mit rund 150 Teilnehmenden folgte 2023.
Begleitet wird der Prozess von der Mieterberatungsfirma SOPHIA Berlin GmbH. Ziel ist es, die Bedürfnisse der Bewohnerschaft frühzeitig in die Planungen einzubeziehen. Kleinere Formate wie Nachbarschaftsfeste oder ein gemeinsames Sommerfest haben in den vergangenen Monaten bereits zur Stärkung der Hausgemeinschaft beigetragen.
Autobahntunnel unter der „Schlange“ wird frühestens 2029 wiedereröffnet
Komplex wird die Sanierung auch deshalb, weil das Gebäude nicht nur Wohnraum bietet, sondern zugleich einen Autobahntunnel überbaut. Seit April 2023 ist dieser Tunnel wegen Brandschutzmängeln gesperrt. Eine Wiedereröffnung ist frühestens für 2029 vorgesehen. Das Zusammenspiel aus Infrastruktur, technischer Erneuerung und Denkmalschutz stellt hohe Anforderungen an die Planung.
Ob dieses Vorhaben gelingt, wird sich im laufenden Jahr zeigen, wenn die ersten Bauarbeiten im Pilotabschnitt erfolgen. Für DEGEWO, Planerinnen und Planer sowie die rund 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner beginnt damit ein langfristiger Prozess zwischen Erhalt und Erneuerung.
Quellen: DEGEWO, Freie Universität, Wikipedia, Berliner Zeitung