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Artikelreihe: Jüdische Architekten in Berlin, Teil 6: Erwin Gutkind

Der deutsche und später britische Architekt, Architekturtheoretiker und Stadtplaner Erwin Anton Gutkind gilt als Baumeister der klassischen Moderne. Die gezwungene Emigration aus seinem Heimatland ermöglichte ihm einen Neuanfang mit immer neuen Positionen im Ausland. Sein bewegter Lebensweg führte ihn jedoch nie wieder zurück nach Deutschland.

Gutkinds erstes Projekt in Berlin: Die Siedlung “Neu Jerusalem” an der Heerstraße im Spandauer Stadtteil Staaken im Westen der Stadt.

© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Henriette Schubert

Erwin Gutkind

Geboren 1886 in Berlin – Gestorben 1968 in Philadelphia

Herkunft: Geburt in Berlin

Als Sohn des jüdischen Kaufmanns Hermann Gutkind und dessen Ehefrau Elisabeth Weinberg kam Erwin Anton Gutkind am 20. Mai 1886 in Berlin zur Welt. Hier wuchs er auch auf und schloss seine schulische Ausbildung im Jahr 1904 mit dem Abitur ab.

Nach der Schule entschied Gutkind sich für ein Studium der Architektur, Stadtplanung, Geschichte, Kunstgeschichte und Soziologie an der Technischen Hochschule (Berlin-) Charlottenburg sowie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Während seines Studiums von 1905 bis 1909 kam er so auch in Kontakt mit dem bekannten Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, der zu seinen Professoren zählte. 

Bevor er zum weiteren Studium wieder an die Technische Hochschule Charlottenburg zurückkehrte, heiratete er im Jahr 1910 Margarete Jaffé. Das Ehepaar bekam später zwei gemeinsame Kinder. Im Jahr 1914 promovierte Gutkind schließlich mit der Arbeit „Raum und Materie“ und erreichte den Abschluss als Doktor-Ingenieur (Dr.-Ing.).

Erwin Gutkinds Wirken in Berlin

Gutkind wurde im Verlauf des Ersten Weltkrieges zu einem wichtigen Planungsberater rund um das Thema des Wiederaufbaus in der Waffenstillstandskommission. Er verblieb weiterhin im Regierungsdienst, wechselte nach einiger Zeit jedoch in die Sozialisierungskommission. Als Dezernent für Siedlungswesen und Stadtplanung im Reichswohlfahrtsministerium war er mit der Neuregelung bezüglich des Wohnungswesens betraut.

1923 entschied Gutkind sich dazu, als freier Architekt und Stadtplaner zu arbeiten. In den folgenden zehn Jahren realisierte er auf diesem Weg zahlreiche Wohnungsbauprojekte, unter anderem in Reinickendorf, Pankow, Tempelhof und Staaken. Alle bislang von ihm bekannten Bauten befinden sich im Berliner Stadtgebiet.

Besonders die Flachbausiedlung „Neu-Jerusalem“ in Staaken, die er gleich zu Beginn seiner freien Tätigkeit realisierte, zählt zu seinen bekanntesten Projekten. Es folgten weitere Wohnbauprojekte wie die Wohnanlage „Sonnenhof“ in Lichtenberg. Daneben wagte Gutkind sich bis 1932 auch an freiere Projekte wie die Inszenierung „Sonne, Licht und Luft für Alle“, die er im Rahmen einer Ausstellung auf dem Messegelände Berlin entwarf. 

Neben dem Entwerfen und Realisieren von architektonischen Projekten verfasste Gutkind überdies einige Schriften und theoretische Abhandlungen. Neben seiner Promotionsarbeit zählen hier auch weitere Werke hinzu, in denen Gutkind sich hauptsächlich dem Zusammenspiel von Mensch und Umwelt sowie dem Wohnen und dessen Entwicklung besonders in Berlin widmete.

Nach der Machtergreifung: Erzwungene Emigration mit schwierigem Neuanfang

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die damit einhergehenden Auswirkungen besonders auf die Jüdischen Bürgerinnen und Bürger verschonten auch Gutkind und dessen Wirken nicht. Im April 1933 emigrierte er daher nach Paris. Die gezwungene Flucht führte zum Verlust von Gutkinds sämtlichem Privatbesitz. Auch eine Fortführung seiner bisherigen Arbeit war für ihn nicht mehr möglich. 

Ein Jahr nach seiner Flucht kehrte er kurzzeitig in seine Geburtsstadt zurück, um weiteren Angehörigen zur Flucht zu verhelfen. Gutkind selber siedelte 1935 von Paris nach Hampstead (London) um und machte Großbritannien zum Mittelpunkt seiner Tätigkeiten. Es gelang ihm allmählich, wieder zu seinem Beruf zurückzukehren. So war er bis 1939 als Berater für die Abteilungen der Stadt- und Landplanung in London tätig. 

Auch während des Zweiten Weltkrieges gelang es Erwin Gutkind, weiterhin beruflich zu agieren. Bis 1942 war der Architekt und Stadtplaner Planungsberater für die britische Kohleindustrie. Nach dem Tod seiner Mutter sowie seiner Ehefrau 1942 wurde es kurzzeitig still um Gutkind. Beide waren deportiert worden und starben in Konzentrationslagern. 

Drei Jahre später wurde Gutkind Mitglied der Britischen Kontrollkommission für Deutschland. Er wurde zum Berater für den Wiederaufbau im Hauptquartier der Britischen Zone. Abgeschreckt durch das dort vorherrschende bürokratische Vorgehen, verließ er 1947 den Posten aus Protest und widmete sich fortan publizistischen Tätigkeiten. Der Großteil dieser Schriften wurde in Fachzeitschriften wie der „Urbanistica“ und der „Architectural Design“ veröffentlicht. Die auf Englisch verfassten Artikel befassen sich dabei hauptsächlich mit der Umgebung, ihrer Entwicklung und ihrem Zusammenspiel mit dem Menschen.

Vierzehn Jahre nach der Ermordung seiner Ehefrau heiratete Gutkind ein zweites Mal. Im Jahr 1956 ging der die Ehe mit der Sinologin Anneliese Bulling ein. Im selben Jahr wurde er mit 70 Jahren zum Professor an die Graduate School of Fine Arts an der Universität Pennsylvania berufen. Hierfür zog er von London nach Philadelphia um. Während seiner Professur arbeitete Gutkind parallel an dem zehnbändigen Werk „International History of City Development“. Bis zu seinem Tod konnte er das Werk jedoch nicht vollenden.

Gutkind verstarb am 7. August 1968 in Philadelphia. Noch in seinem Todesjahr wurde ihm der Berliner Kunstpreis für Baukunst verliehen. Einige Jahrzehnte später folgte 2003 die Enthüllung einer Gedenktafel für Erwin Anton Gutkind in der von ihm entworfenen Wohnanlage „Sonnenhof“ in Berlin-Lichtenberg.

 

Quellen: Gesellschaft zur Erforschung des Lebens und Wirkens deutschsprachiger jüdischer Architekten, Jüdische Allgemeine, ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN, Jüdisches Museum Berlin, Wikipedia

Weitere Bilder zum Thema findet Ihr hier: 

Ein weiteres, berühmtes Projekt von Erwin Gutkind: Die Wohnanlage “Sonnenhof” im Berliner Bezirk Lichtenberg.

 

Weitere Teile der Reihe findet Ihr hier: 

Vergessene Baukunst: Die Geschichte jüdischer Architekten in Berlin

Historisch und modern: Die bauliche Neuerfindung des Petriplatzes

Artikelreihe: Jüdische Architekten in Berlin, Teil 2: Erich Mendelsohn

Artikelreihe: Jüdische Architekten in Berlin, Teil 3: Alexander Klein

Artikelreihe: Jüdische Architekten in Berlin, Teil 4: Martin Punitzer

Artikelreihe: Jüdische Architekten in Berlin, Teil 5: Marie Frommer

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