Olympia in Berlin? Für viele unvorstellbar – dabei liegt genau darin das Potenzial, das die deutsche Hauptstadt so dringend braucht: eine Vision, die nicht nur Sport, sondern Infrastruktur, Tourismus und Inklusion neu denkt. Denn Berlin muss irgendwann mehr erzählen können als die ewige Geschichte von der einstigen Teilung.

Die Berliner Brücken wanken, die Sportstätten veralten – und trotzdem bietet sich eine historische Gelegenheit. Eine Olympia-Bewerbung könnte mehr bewirken, als viele glauben: Fortschritt, Inklusion und ein Sommer, den niemand vergisst. / © Foto: IMAGO / Schwörer Pressefoto

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Ein Kommentar von Björn Leffler

 

In Berlin kreist derzeit an vielen Stellen der Abrisshammer, unter anderem an der Ringbahnbrücke im Westend, im Pankower Jahnsportpark sowie an der Autobrücke in Oberschöneweide, die nun längst keine mehr ist.  Berlins Infrastruktur ist an vielen Stellen brüchig und in die Jahre gekommen, vor allem das bauliche Erbe der geteilten Stadt, Bauwerke aus den 1960er, 1970er und 1980er Jahren, belasten den Landeshaushalt zunehmend.

Und in den kommenden Jahren werden weitere großformatige Infrastrukturprojekte auf die Stadt zukommen. Gleichzeitig wird in der Stadt über Sinn oder Unsinn einer Olympia-Bewerbung Berlins gesprochen, vor dem Hintergrund klammer Landesklassen und umfangreicher Einsparungen auf allen öffentlichen Ebenen.

„Berlin+“: Olympia-Bewerbung sollte als Chance, nicht als Bedrohung wahrgenommen werden

Dabei sollte die Wahrnehmung einer möglichen Olympia-Bewerbung eigentlich eine ganz andere sein. Eine solche Kampagne böte für die Hauptstadtregion immerhin die Chance, sich große Verkehrs- und Sportprojekte durch Finanzmittel des Bundes bezahlen oder bezuschussen zu lassen.

Denn eines ist klar: egal, mit welcher Stadt die Bundesrepublik und der DOSB an den Start gehen werden – es soll eine gesamtdeutsche, keine lokale Bewerbung sein. Dass Großveranstaltungen immer eher eine Chance als ein Risiko darstellen, zeigte zuletzt die vergangene EURO 2024, bei der sechs Spiele (samt dem prestigeträchtigen Endspiel) in Berlin ausgetragen wurden.

EURO 2024: Berlin nahm mehr als 500 Millionen Euro ein

Im Zuge des Turniers finanzierte der Berliner Senat dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf die Modernisierung des Mommsenstadions – eine Baumaßnahme, auf die man im Westend ohne das Turnier vermutlich noch Jahrzehnte hätte warten müssen. Nun verfügt der Bezirk aber über eine hochmoderne, vielfältig nutzbare Sportstätte, in der zuletzt das Finale im Berliner Fußball-Landespokal ausgetragen wurde.

Auch das Olympiastadion und sein direktes Umfeld wurden im Vorfeld des Turniers umfangreich modernisiert und auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Insgesamt investierte der Berliner Senat knapp 90 Millionen Euro in die Vorbereitungen und erntete schließlich eine Stadtrendite von mehr als einer halben Milliarde Euro.

Mehr Tourismus-Werbung als Olympische Sommerspiele geht nicht – Impuls für den Flughafen BER?

Die Investitionen, die das Land Berlin in eine mögliche Olympia-Austragung tätigen müssten, wären mit Sicherheit ungleich höher, aber die Stadt würde mit großer Wahrscheinlichkeit in herausragendem Maße von den Spielen profitieren, auch in den Folgejahren. Denn eine größere Tourismus-Kampagne als Olympische Sommerspiele ist in Berlin wohl kaum vorstellbar. Die EURO 2024 hat dem etwas lahmenden Tourismus in Berlin ein erstaunliches Zwischenhoch beschert.

Denkbar ist auch, dass leidige Themen wie fehlende internationale Flugverbindungen am BER und nicht realisierte Verkehrsvorhaben wie der Tram-Ausbau in der City West, die Verlängerung der U7 nach Schönefeld oder das Straßenbahnprojekt „TVO“ im Berliner Südosten durch Olympische Sommerspiele deutlichen (vor allem finanziellen) Anschub erhalten könnten.

Die Berliner Politik muss den Menschen die Chance einer Olympia-Bewerbung verdeutlichen

Die Berliner Politik hat nun die Aufgabe, den Menschen in Berlin zu verdeutlichen, dass durch eine Olympia-Bewerbung auch die Sportstätten des Breitensports profitieren würden, denn die zigtausend Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt benötigen Trainingsstätten, die für die Spiele errichtet oder saniert werden müssten – und anschließend dem Schul- und Vereinssport zur Verfügung stehen könnten.

Natürlich formiert sich schon jetzt Widerstand gegen eine mögliche Bewerbung, aus den bekannten Gründen, die es – nicht nur in Berlin – immer gibt. Doch die deutsche Hauptstadt muss, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, das Selbstbewusstsein, die Zuversicht und auch ein stückweit die Risikobereitschaft entwickeln, endlich eine neue Geschichte erzählen zu wollen.

Berlin kann nicht auf ewig die Stadt der Teilung bleiben – es braucht eine neue Erzählung

Denn Berlin kann nicht auf ewig die Stadt mit der Mauer bleiben, denn längst leben in Berlin sehr viele (junge) Menschen, für die die Zeit der Teilung nur eine blasse Erzählung und abstrakter Unterrichtsstoff im Fach Geschichte ist.

„Auf zu neuen Ufern!“ möchte man also ausrufen – auch wenn eine Olympia-Bewerbung natürlich die Möglichkeit beinhaltet, dass man scheitert. Doch selbst das muss nicht immer negativ behaftet sein. Schließlich stehen im Prenzlauer Berg zwei Sportstätten, die es ohne die letztlich erfolglose Olympia-Bewerbung Berlins 1993 für die Spiele 2000 nicht geben würde: die Max-Schmeling-Halle und das Velodrom.

Die beiden Sporthallen wurden Mitte der 1990er trotzdem errichtet, waren ursprünglich aber als Wettkampfstätten für die Olympiade vorgesehen, die letztlich in Sydney ausgetragen wurde.

Berlin hat vermehrt bewiesen, dass es Großveranstaltungen perfekt ausrichten kann

Berlin hat als ausgewiesene Sportstadt in den vergangenen Jahrzehnte immer wieder bewiesen, dass Sport-Großveranstaltungen zuverlässig und mit großer Begeisterung durchgeführt werden können – und die Liste dieser Events ist lang.

Fußball-WM 2006, Leichtathletik-WM 2009 (samt bis heute gültigem 100-Meter-Weltrekord von Usain Bolt), Champions-League-Finale 2015, Leichtathletik-EM 2018, Special Olympics 2023, EURO 2024 – und jedes Jahr wieder das DFB-Pokalendspiel und der Berlin-Marathon, eine der größten Laufveranstaltungen weltweit. Allein das Pokalendspiel spült jedes Jahr mehr als 50 Millionen Euro in die Stadtkassen.

Das schlechte Image des IOC als Grund, Olympia den Rücken zuzukehren?

Den meisten Berlinerinnen und Berlinern ist die internationale Strahlkraft ihrer Heimatstadt (oder Wahlheimat) durchaus bewusst, nur die Vorzüge einer Olympia-Kampagne wollen viele nicht sehen – oder halten das IOC für so skandalös, dass sie eine Bewerbung Berlins strikt ablehnen.

Dabei sind die Chancen einer solchen Sportveranstaltung sehr viel größer als die Risiken. Außerdem würde auf die Menschen in Berlin ein außerordentlich aufregender Sommer zukommen, samt dem zusätzlichen Großereignis der Paralympics, dessen gleichzeitige Ausrichtung eine großartige Gelegenheit ist, das Thema Inklusion in Berlin und Deutschland noch weiter voranzubringen.

Olympia und Paralympics in Deutschland: Trau Dich, Berlin!

Aufregung, Spektakel, Sport, Inklusion – und natürlich ein bisschen Meckern über die Dinge, die nicht so hundertprozentig funktionieren, wie sie sollten. Das klingt doch eigentlich nach einer Perspektive, die vielen Berlinerinnen und Berlinern schmecken dürfte. Umso eindringlicher bleibt zu sagen: Trau Dich, Berlin! Die Stadt hat schon sehr viel schwierigere Aufgaben gemeistert.

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