Im Berliner Mettmannkiez droht der Verlust bezahlbaren Wohnraums: Die Bayer AG plant den Abriss mehrerer Wohnhäuser, um Platz für neue Produktionsanlagen zu schaffen. Für die verbliebenen Mieterinnen und Mieter beginnt ein Kampf um ihre Wohnungen, trotz politischer Appelle und rechtlicher Zweifel an den Kündigungen.

Die Wohnhäuser in der Tegeler Straße 1–7 wirken teilweise bereits verlassen. Einige Wohnungen stehen leer, da erste Mieterinnen und Mieter bereits ausgezogen sind. Bis Ende Oktober 2025 sollen sie, Stand jetzt, ihre Wohnungen verlassen. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
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Im Mettmannkiez im Berliner Bezirk Wedding droht mehreren Mieterinnen und Mietern der Verlust ihrer Wohnungen. Die Bayer AG kündigte im Januar dieses Jahres 22 Mietparteien in der Tegeler Straße 6 und 7 – mit Verweis auf eine geplante Verwertung. Die kurzfristig angekündigten Kündigungen trafen viele unvorbereitet. Erst im November hatte Bayer Mieterhöhungen angekündigt, die ab Februar gelten sollten.
Der Konzern setzt auf eine Strategie aus Druck und Anreiz: Wer zügig auszieht, erhält eine fünfstellige Prämie. Diese verringert sich jedoch erheblich, je länger die Mietenden bleiben. Der Berliner Mieterverein kritisierte das Vorgehen scharf. Geschäftsführer Sebastian Bartels sprach von einem „absoluten No-Go“ für einen Konzern wie Bayer. Insgesamt sollen in der Tegeler Straße sowie in der Fennstraße rund 140 Wohnungen, mehrere Ateliers, Werkstätten und ein Kindergarten verschwinden.
Rechtsstreit um Abriss: Gutachten widerspricht Einschätzung des Bezirksamts Mitte
Ob Bayer tatsächlich das Recht hat, die Häuser abzureißen, ist rechtlich umstritten. Ein Gutachten, das die Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte in Auftrag gegeben hatte, widerspricht der Annahme, die Gebäude seien wegen des alten Baunutzungsplans von 1960 nicht schützenswert. Darin sei das Gelände zwar als Arbeitsgebiet deklariert, doch laut Gutachten stehe das einem Erhalt der Wohnnutzung nicht entgegen. Die BVV forderte im September 2024 eine Neubewertung der Rechtslage.
Das Bezirksamt Mitte wies diese Forderung zurück. Pressesprecher Christian Zielke erklärte, es gebe keine rechtlichen Mittel, den Abriss zu verhindern. Die Verantwortung sehe man in der Vermittlung zwischen Bayer und den betroffenen Mieterinnen und Mietern. Die Linke wiederum warf dem Bezirksamt „unterlassene Hilfeleistung“ vor.
Angst vor Verdrängung: Mieterinnen und Mieter der Tegeler Straße fühlen sich im Stich gelassen
Für viele Bewohnerinnen und Bewohner ist der Verlust ihrer Wohnungen existenziell. Einige leben seit Jahrzehnten in dem Kiez, viele gehören zur älteren Bevölkerung. Bayer betont zwar, den Auszug sozialverträglich gestalten zu wollen, doch Mieterinnen und Mieter berichten von Informationsdefiziten und kurzfristigen Entscheidungen gegenüber dem Weddingweiser. Eine Mieterin sprach von einem „Angriff auf unsere Lebensgrundlage“.
Auch in der Tegeler Straße 2 bis 5 wurden Mieterinnen und Mieter bereits 2021 zum Auszug gedrängt. Dort leben heute nur noch drei Personen. Die leerstehenden Gebäude verstärken den Eindruck einer schleichenden Entmietung. Zu den Abrissplänen gehören alle Häuser der Tegeler Straße 1 bis 7.
Erweiterungspläne im Industriegebiet: Wohnraum soll neuen Produktionshallen weichen
Die Pläne von Bayer sind Teil einer umfassenden Standorterweiterung. Der Konzern will am Standort Wedding über 300 Millionen Euro investieren, neue Produktionshallen errichten und über 100 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Damit soll der „Life Science Campus“ am Standort langfristig gesichert werden.
Eine Erweiterung auf dem bisherigen Industriegelände würde jedoch ohne Abriss der angrenzenden Wohnhäuser laut Bayer nicht funktionieren. Für das Unternehmen stehen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, für die Mieterinnen und Mieter droht dagegen die Verdrängung aus einem lange gewachsenen Kiez.

Direkt am S-Bahnhof Wedding und entlang der Fennstraße erstreckt sich das Gewerbeareal der BAYER AG. Für den Bau einer neuen Produktionsstätte sollen nun Wohnhäuser in der Tegeler Straße abgerissen werden. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Bereits im Oktober 2021 mussten die Mieter der Wohnhäuser Tegeler Straße 2 bis 5 ihre Wohnungen räumen. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Anstelle der Mietshäuser plant Bayer eine Werksfeuerwehr und ein fünfstöckiges Produktionsgebäude. Der Bau soll bis 2029 abgeschlossen sein. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
Quellen: Berliner Mieterverein, Weddingweiser, Tagesspiegel