Die Umgestaltung Berlins zur autogerechten Stadt begann nicht erst in der Nachkriegszeit. Bereits in den 1920er Jahren rangen Berlins Stadtplaner um die Mobilität der Zukunft – und fanden eine unerwartete Lösung. Visionäre wie Ernst Reuter und Martin Wagner planten das Berlin von morgen, bevor die Nationalsozialisten völlig andere Schwerpunkte setzten.

Die Bildung Groß-Berlins 1920 weckte große Pläne, doch die neue Verwaltungsstruktur erschwerte deren Umsetzung. Trotz weniger Autos entstanden radikale Visionen einer autogerechten Stadt. Privatarchitekten wie Ludwig Hilberseimer und Ludwig Scheurer entwickelten entsprechende Entwürfe. Später erarbeitete auch die Stadt Berlin unter den Stadträten Martin Wagner und Ernst Reuter umfassende Konzepte für den erwarteten Massenautoverkehr. / © Foto: IMAGO / piemags

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Artikelreihe: Abschied von der autogerechten Stadt – Realität oder Utopie?

von Wolfgang Leffler

Teil 2 – Wie Martin Wagner und Ernst Reuter Berlins Verkehrspolitik prägten

Zum Prolog der Artikelreihe gelangt Ihr hier, zum ersten Teil geht es hier.

 

Im Jahr 1931, zum Ende der Weimarer Republik, präsentierte der damalige Stadtbaumeister Friedrich Brömstrup seinen Plan für ein Autohochbahnnetz zur Verkehrssanierung der Berliner Innenstadt.

Dies war insofern bemerkenswert, da es eine solche schriftlich formulierte und fertig ausgearbeitete Absichtserklärung bisher noch nicht gab. Dieses Konzept kann daher als erste geplante Umgestaltung Berlins zur autogerechten Stadt bezeichnet werden.

1920er Jahre: Zwei visionäre Stadträte im Berliner Magistrat

In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass im Jahr 1926 zwei Stadträte in den Berliner Magistrat gewählt wurden, die später Berühmtheit erlangen sollten.

Der eine war Martin Wagner, Städtebauer und Stadtrat für Hochbau sowie Leiter des Amtes für Stadtplanung. Er setzte sich vehement für einen automobilorientierten Stadtumbau ein und leistete einen wesentlichen Beitrag zur von Brömstrup veröffentlichten Absichtserklärung zur Verkehrssanierung Berlins.

Martin Wagner und Ernst Reuter prägten Berlins Verkehrspolitik

Der andere Stadtrat war Ernst Reuter, der später ab 1945 als Regierender Bürgermeister fungierte. Zunächst verdiente er sich als Verkehrspolitiker seine ersten Sporen und setzte als Verfechter des öffentlichen Personennahverkehrs wesentliche Impulse.

Man könnte meinen, dass hier zwei gegensätzlich agierende Parteien aufeinanderprallten, denn beide vertraten ihre Visionen für eine urbane Mobilitätspolitik mit großer Überzeugungskraft.

Ernst Reuters BVG und die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs

Reuters in den Jahren 1926 bis 1928 ins Leben gerufene BVG wurde zu einem Riesenunternehmen, das den Umbau Berlins zur autogerechten Stadt im Prinzip partnerschaftlich begleitete.

Erwähnenswert zur BVG ist, dass 1927 ein Einheitstarif von zwanzig Pfennig mit Umsteigeberechtigung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern eingeführt wurde, der fortan als Vorbild einer kommunalen Mobilitätspolitik galt.

Wagners Vorstellungen zur Umgestaltung Berlins zur Weltstadt: Autohochstraßen auf 47 Kilometern Länge

Der von Stadtbaudirektor Brömstrup präsentierte Plan zum Umbau der Innenstadt und letztendlich von Wagner vorangetriebene automobilorientierte Stadtumbau sah Autohochstraßen auf 47 Kilometer Länge vor. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, bedurfte es mehrerer Pilotprojekte, die die Machbarkeit manifestieren sollten.

Wagner erarbeitete als Architekt ein umfangreiches Berliner Wohnungsbauprogramm und plante gemeinsam mit Bruno Taut die „Hufeisensiedlung“ in Berlin-Britz. Die Planung und Umsetzung dieses sowie anderer umfangreicher Wohnungsbauprogramme in Berlin übertrug Wagner bekannten Architekten wie Walter Gropius, Mies van der Rohe, Hans Scharoun oder Hugo Häring.

Wettbewerb 1929: Ein Kreisverkehr für den Berliner Alexanderplatz?

Wagner selbst richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Neugestaltung des Berliner Stadtzentrums mit dem Ziel, Berlin zur Weltstadt auszubauen. Der im Jahr 1929 ausgelobte Wettbewerb zur Umgestaltung des Alexanderplatzes zu einem Platz mit Kreisverkehr setzte ein erstes Signal.

Später vorgestellte Pläne zur Durchbrechung der Ministergärten in der Wilhelmstraße, zugunsten eines ungehinderten Ost-West-Autoverkehrs, setzten ein weiteres Achtungszeichen.

Autoverkehr und ÖPNV: Schulterschluss zwischen den Behörden

Bemerkenswert ist, dass sich die beiden Behörden – Reuters und Wagners – von der Konstellation her eigentlich als Konkurrenten gegenüberstanden, aber letztendlich im Sinne der Umsetzung beider Ziele eine Partnerschaft zur Mobilitätswende im städtischen Verkehr eingingen.

Für Wagner begann nach dem Zusammenbruch der Bauindustrie im Jahr 1931 eine schwere Zeit. Aufgrund der sich abzeichnenden Machtverschiebung in Deutschland trat er im Februar 1933 aus der Akademie der Künste aus, da er gegen den Ausschluss von Käthe Kollwitz und Heinrich Mann protestierte.

Nach der Machtergreifung: Bau großer Ausfallstraßen ab 1933

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten forcierte die Stadtverwaltung die verkehrliche Neuausrichtung Berlins auf eine autogerechte Stadtregion. Dies bezog sich auf ein Autoschnellstraßennetz, das damals im Rahmen eines Generalbebauungsplanes mit Achsen und Ringstraßen geplant wurde.

Diese neue Straßenstruktur revolutionierte Groß-Berlin nicht nur, sondern vergrößerte es enorm. Trotz des 1937 neu geplanten äußeren Autobahnrings blieb diese neue und großzügige innere Straßenstruktur ein Paradebeispiel für ein langfristig angelegtes, wirkungsvolles Verkehrsprogramm mit bewusster Orientierung auf die autogerechte Stadt.

Hitler beauftragte Ferdinand Porsche mit dem Bau des Volkswagens

Die Tatsache, dass Anfang der 1930er Jahre in den USA ein Auto auf fünf Einwohner kam, in Frankreich ein Auto auf 30 Einwohner und in Großbritannien ein Auto auf 40 Einwohner, konnte Adolf Hitler nicht ertragen. In Deutschland, wo das Automobil erfunden worden war, kam zu dieser Zeit gerade einmal ein Auto auf 120 Einwohner.

Hitler beauftragte schließlich Ferdinand Porsche, ein erschwingliches Massenautomobil zu entwickeln. So entstand 1934 der Volkswagen, später als KdF-Wagen bzw. VW Käfer bekannt, der nicht mehr als 1.000 Reichsmark kosten durfte.

Der Bau eines 3.000 Kilometer langen Autobahnnetzes wurde von den Nationalsozialisten begonnen

Als Folge dessen wurde der Ausbau eines Autobahnnetzes von 3.000 Kilometer Länge in Angriff genommen, das ausschließlich für den motorisierten Verkehr vorgesehen war.

Der äußere Berliner Autobahnring, der 1937 von den Nationalsozialisten geplant und später teilweise realisiert wurde, gilt als eines der wichtigsten städtebaulichen Erben der NS-Zeit. Zwischen 1972 und 1979 wurde er von der DDR final fertiggestellt.

Berlins Straßennetz: Neuaufbau statt Wiederaufbau nach 1945

Nach dem Ende der NS-Herrschaft bedeutete das keineswegs das Ende des Konzepts der Umgestaltung Berlins zur autogerechten Stadt. Die Stadtplaner der Nachkriegszeit sahen in den Kriegszerstörungen vielerorts eine einmalige Chance für einen „Neuaufbau statt Wiederaufbau“.

Dazu initiierte der West-Berliner Senat eine Ausstellung unter dem Motto „Berlin plant“, die in den noch erhaltenen Räumlichkeiten des Berliner Schlosses stattfand. Die damaligen Stadtplaner präsentierten ihre Vorstellungen eines „Neuen Berlin“ mit einer organisierten Anordnung von Schnellstraßen und autogerechten Kreuzungen.

Das Ziel dieser Neukonzeption bestand in der Überwindung der alten Stadtstruktur, deren mittelalterliche Grundrisse als nicht mehr zeitgemäß galten. Diesem Thema widmen wir uns im dritten Teil unserer Reihe…