Berlins ältere und jüngere Geschichte ist voll von ambitionierten Bauvorhaben, die nie über die Planungsphase hinausgekommen sind. Den ersten Berliner Bauskandal gab es bereits 1706, als der von Andreas Schlüter entworfene Münzturm einstürzte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten die Überreste der Gedächtniskirche abgerissen werden, was durch Proteste der Bevölkerung verhindert wurde. Unsere Auswahl gescheiterter Projekte zeigt, wie politische, finanzielle und gesellschaftliche Hürden große Visionen und fragwürdige Ideen verhinderten – und was heute auf den einst dafür vorgesehenen Flächen steht.

So wie am Breitenbachplatz: In den 1960er Jahren war ein Autobahnkreuz am Oranienplatz in Kreuzberg geplant, das Teil einer Stadtautobahn durch den Bezirk werden sollte. Der Mauerbau machte Kreuzberg jedoch zur Randlage – das Projekt wurde nicht umgesetzt. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
© Foto Titelbild: saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Berlin ist eine Stadt großer Ideen – mit einem Stadtbild, das sich ständig wandelt. Doch nicht jede Vision wurde Realität. In kaum einer europäischen Metropole wurden im Laufe der Jahrzehnte so viele große architektonische und städtebauliche Vorhaben konzipiert, diskutiert – und schließlich wieder verworfen.
In unserer Artikelreihe „Berlins Luftschlösser“ haben wir zehn herausragende Bauprojekte vorgestellt, die einst als Meilensteine der Stadtentwicklung galten, jedoch nie über den Reißbrettstatus hinaus kamen. Es sind Vorhaben, die mitunter kontrovers diskutiert, von Visionären entworfen und mit großem Anspruch präsentiert wurden.
Die Gründe für ihr Scheitern sind dabei ganz vielfältig – sie reichen von politischen Widerständen und finanziellen Engpässen bis hin zu planerischen Fehlentscheidungen oder geologischen Unwägbarkeiten. Gemeinsam zeigen sie jedoch, wie schmal der Grat zwischen visionärer Stadtplanung und überambitioniertem Scheitern sein kann.
1. Olympiahalle 2000 statt BND: Eine verpasste Chance für Berlin-Mitte?

An der Chausseestraße in Mitte sollte in den 1990er Jahren eine Olympia-Arena entstehen – geblieben ist davon nichts. Heute steht hier der Neubau des BND. / © Foto: Wikimedia Commons, Jan Kleihues (Stefan Müller, photographer), CC BY-SA 4.0
Zur Bewerbung für die Olympischen Spiele 2000 plante Berlin Anfang der 1990er eine moderne Multifunktionsarena in der Chausseestraße. Die „Olympiahalle 2000“ in Mitte sollte Sportevents, Konzerte und Messen beherbergen. Letztlich gewann Sydney den Zuschlag, und die Pläne verschwanden in der Schublade. Heute steht dort der Neubau des Bundesnachrichtendienstes – abgeschottet und sicherheitsbetont, im krassen Gegensatz zur einst angedachten öffentlichen Nutzung.
2. Neubau der Gedächtniskirche: Der Protest bewahrte ein Wahrzeichen
Ein anderes Schicksal ereilte die kriegsbeschädigte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Ursprünglich plante Werner March den Wiederaufbau der Gedächtniskirche mit erhaltenem Hauptturm und schlichter Halle. Doch sein Entwurf wurde verworfen, da die Nachkriegsmoderne alte Bauformen ablehnte. Stattdessen lobte man einen Wettbewerb für einen kompletten Neubau aus – der Turm sollte weichen. Eiermanns radikaler Siegerentwurf ohne den historischen Turm stieß jedoch auf heftigen Protest, woraufhin er seinen Entwurf überarbeitete. Der ikonische Turmruine blieb als Mahnmal erhalten und wurde lediglich durch moderne Neubauten ergänzt – ein seltener Fall, in dem bürgerschaftliches Engagement die städtebauliche Identität bewahrte.
3. Hochhaus am Marx-Engels-Platz: Sozialistische Träume in Stein
In den 1950er Jahren entwarfen DDR-Architekten ein 130 Meter hohes Hochhaus mit Glockenspiel und sozialistischer Symbolik – direkt am einstigen Marx-Engels-Platz. Es sollte den ideologischen Mittelpunkt Ost-Berlins markieren. Trotz Wettbewerben und Detailplanungen wurde das Projekt nie gebaut. Stattdessen prägte der benachbarte Fernsehturm fortan die Skyline.
4. Riesenrad am Bahnhof Zoo: Eine großformatige Idee aus der Freizeitindustrie

So hätte das „Great Berlin Wheel“ nach Vorstellung der beteiligten Architekten aussehen können. / © Visualisierung: Pott Architects, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
In den 2000er Jahren gab es gleich mehrere Anläufe für ein Berliner Riesenrad – unter anderem am Bahnhof Zoo und am Ostbahnhof. Vergleichbar mit dem London Eye hätte es Tourismusmagnet und Wahrzeichen zugleich sein können. Genehmigungsprobleme, wirtschaftliche Bedenken und mangelnder politischer Rückhalt ließen das Projekt scheitern. Heute erinnern nur Visualisierungen an diese Freizeitvision.
Hier findet Ihr eine Übersicht aller Teile der Artikelreihe, die regelmäßig erweitert wird – jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS
5. U-Bahn-Linie 10: Die nie vollendete Berliner Phantomlinie

Die nie fertiggestellte U10 am Innsbrucker Platz. / © Foto: Wikimedia Commons, Dirk Ingo Franke, CC BY 3.0
Ein weiteres gescheitertes Projekt ist die U-Bahn-Linie 10, die das Berliner U-Bahn-Netz von Steglitz bis Weißensee erweitern sollte. Zahlreiche bauliche Vorleistungen, darunter Geisterbahnsteige am Alexanderplatz und im Kleistpark, existieren bis heute. Doch nach der Wiedervereinigung wurde das Projekt nicht weiterverfolgt. Die U10 bleibt ein Symbol verpasster Infrastrukturplanung.
6. Magnetbahn für Berlin: Technikbegeisterung ohne Bodenhaftung

Ein Bild des später verunglückten Transrapid auf einer Teststrecke im Emsland. Auch in Berlin war die Einführung des Transrapids mehrfach geplant gewesen, wurde letztlich aber nicht umgesetzt. / © Foto: Wikimedia Commons
Neben nicht realisierten U-Bahn-Projekten wurden in Berlin auch mehrfach Magnetbahnprojekte diskutiert – etwa ein Transrapid zwischen Flughafen Tegel und Hauptbahnhof. Auch eine Versuchsstrecke für die M-Bahn zwischen Gleisdreieck und Kemperplatz wurde gebaut, aber nach der Wiedervereinigung wieder zurückgebaut. Technologische Faszination stand hier gegen wirtschaftliche und politische Realitäten einer Magnetbahn in Berlin.
7. WerkBundStadt: Zukunftsquartier mit klassischer Moderne

Spannende Vision: Auf der Charlottenburger Mierendorffinsel sollte das städtebauliche Pilotprojekt „WerkBundStadt“ realisiert werden. Es kam jedoch anders. / © Visualisierung: WerkBundStadt
Auf einem Areal in Berlin-Charlottenburg plante der Deutsche Werkbund ein Wohnquartier mit rund 1.100 Wohnungen – ökologisch, sozial durchmischt, architektonisch anspruchsvoll. Trotz umfassender Planung und öffentlicher Diskussion wurde das Projekt „Werkbundstadt“ 2021 eingestellt. Der Konflikt um Bodennutzung, Eigentumsfragen und politische Prioritäten verhinderte die Umsetzung.
8. Autobahnkreuz Oranienplatz: Asphaltvision durch Kreuzberg

Der Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg heute. Das Quartier ist geprägt von Gründerzeitbauten und einer hohen Dichte an Wohnraum, Gastronomie, Kultur und Gewerbe. Die Planungen der 1960er Jahre hatten den Abriss weiter Teile des Areals geplant. Doch es kam anders. / © Foto: Wikimedia Commons
In den 1960er Jahren wurden Pläne entworfen, eine Stadtautobahn quer durch Kreuzberg zu ziehen – mit einem gewaltigen Autobahnkreuz am Oranienplatz. Historische Plätze wie der Breitenbachplatz oder der Innsbrucker Platz zeigen, wie ernst solche Pläne waren. Der Bau der Berliner Mauer machte Kreuzberg jedoch zur (West-Berliner) Randlage und das Projekt wurde gestoppt. Heute steht der Oranienplatz symbolisch für eine Stadtentwicklung zugunsten urbaner Lebensqualität.
9. Der Berliner Münzturm: Ein barocker Bauskandal

Der alte Wachtturm an der Nordwestecke der damaligen kurfürstlichen Residenz in Berlin diente als Wasserturm und beherbergte gleichzeitig die Münzanstalt. / © Abbildung: Wikimedia Commons (Matthäus Merian, 1652)
Noch vor all diesen gescheiterten Projekten plante Andreas Schlüter Anfang des 18. Jahrhunderts einen 96 Meter hohen Turm als neues Wahrzeichen Preußens. Jedoch hatte auch dieses keine Zukunft, denn der Baugrund an der Spree war ungeeignet, das Fundament versagte, der Turm neigte sich – und stürzte 1706 schließlich ein. Bis heute steht der Berliner Münzturm sinnbildlich für die Tücken des Berliner Untergrunds und überzogene monarchische Ambitionen.
10. Digitales Medienhaus des RBB: Ein Leuchtturm ohne Fundament

Ein modernes Medienhaus als Symbol für die digitale Zukunft des RBB – doch aus der Vision wurde ein kostspieliges Scheitern. / © Visualisierung: rbb/Baumschlager Eberle Architekten/bloomimages Berlin GmbH
Das zehnte und letzte unserer Reihe „Berlins Luftschlösser“ ist das RBB Medienhaus am Theodor-Heuss-Platz. Der Entwurf war innovativ, die Ambition groß. Doch die Kosten explodierten, interne Strukturen versagten und 2022 wurde das Projekt gestoppt. Ein Paradebeispiel für organisatorisches Versagen trotz visionärer Ansätze.