Der marode Brückenabschnitt auf der Berliner Stadtautobahn A100 entlarvt Jahrzehnte politischer Versäumnisse. Seit Jahren warnen Experten vor veralteter Infrastruktur in der gesamten Bundesrepublik, nun ist der Ernstfall eingetreten. Die Vollsperrung der Autobahn wird zum Sinnbild für mangelnde Weitsicht. Nun sind endlich schnelle Lösungen gefragt. Ein Kommentar von ENTWICKLUNGSSTADT-Redakteur Wolfgang Leffler.
© Foto Titelbild: IMAGO
Ein Kommentar von ENTWICKLUNGSSTADT-Redakteur Wolfgang Leffler
Das seit letzten Donnerstag vergangener Woche herrschende Chaos auf diesem meistbefahrenen Autobahnabschnitt Deutschlands hat allen dafür Verantwortlichen den Spiegel der Realität und der Verantwortungslosigkeit den Bürgern und Bürgerinnen der Stadt gegenüber ins Gesicht gehalten. Von den wirtschaftlichen Schäden, die den Unternehmen durch lange Staus und Wartezeiten entstehen, mal abgesehen.
Als die Autobahnabschnitte rund um das Kreuz Funkturm 1964 geplant wurden, rechnete man mit 30.000 Fahrzeugen pro Tag. Heute bewegen sich täglich 230.000 Fahrzeuge um das Autobahnkreuz Funkturm herum, davon allein 95.000 auf der A100 Richtung Norden. Aber die fast vierfach erhöhte Anzahl an Fahrzeugen ist nicht das allein ausschlaggebende Argument, denn auch die Belastungen, speziell durch den Schwerlastverkehr, verursachen ganz andere, schwerwiegendere Krafteinwirkungen auf Brücken, deren konstruktive Stabilität dadurch eminent gefährdet ist.
Und das geht seit 60 Jahren so – aber nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Bundesrepublik –, ohne rechtzeitig und gezielt gegenzusteuern. Seit 2017 ist bekannt, dass dieser Autobahnbrückenabschnitt marode ist, also seit acht Jahren hat man diese Ringbahnbrücke auf dem Schirm und beobachtet, wie sich der bekannte Riss immer weiter ausdehnt. Und plötzlich geht gar nichts mehr, und man hat zur Lösung des Problems keine Alternative in der Schublade.
Erst Brückeningenieure haben mit ihrem Sachverstand dafür gesorgt, dass eine sofortige Sperrung des Verkehrs unter dieser Brücke hindurch unvermeidlich ist. Die momentan politisch Verantwortlichen im Berliner Senat trifft sicher eine Teilschuld, aber was bitte haben denn die anderen vorherigen Regierungen unternommen, um diesen Sanierungsstau in Berlin und in der Bundesrepublik insgesamt zu beheben?
Lag es tatsächlich nur am fehlenden Geld und der Schuldenbremse oder am nicht vorhandenen Engagement für die Sache? Und nachdem der Totalausfall letzten Donnerstag eingetreten war, fing man auch noch an, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben – zwischen Bund und dem Land Berlin; mehr als peinlich. Immerhin tagt seit letzten Freitag eine Taskforce, um dementsprechende Verkehrslösungen zu ermöglichen.
Wenn produzierende Unternehmen so agieren würden, sähe es schlimm aus für die Unternehmen in Deutschland. Da gibt es festgeschriebene Wartungsintervalle für die Produktionsanlagen, jeder Logistikunternehmer mit eigenem Fuhrpark hat zeitlich festgeschriebene Überprüfungen an den LKWs einzuhalten, die mit einem TÜV-Siegel die weitere Betriebserlaubnis einschließt, und jedes Krankenhaus hat regelmäßige Notfallszenarien durchzuführen, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein.
Aber die Instandhaltung und Modernisierung der Infrastruktur schien in Deutschland, bisher jedenfalls, nicht genügend Politiker zu interessieren. Und die Gewerkschaft, die in solch einer außerordentlichen Situation auf den Streik der BVG nicht verzichtet und die Situation noch verschärft, obwohl eine Schlichtung schon in Aussicht stand, trägt ihren Teil dazu bei.
Und getroffen hat der Streik und die Vollsperrung der A100 besonders die Menschen, die zur Arbeit mussten, die Kinder, die in Kitas und Schulen unterwegs waren, und Menschen, die einen Arzt brauchen – also die ganz normale Bevölkerung. Damit hat man nicht die Arbeitgeber getroffen. Und ein entsprechendes Verkehrskonzept sieht man bislang auch nicht – Verkehrssenatorin Ute Bonde ist hier längst gefragt.
Ein Fahrverbot für Schwerlast-LKW, die im Transitverkehr über den Berliner Innenstadtring unterwegs sind, hätte man sofort initiieren müssen. Dafür gibt es den Autobahn-Außenring, der mittlerweile bestens hergerichtet ist. Auch PKW, die nicht Berlin ansteuern, aber aus Kostengründen den Innenring nutzen, hätte man über die vorhandenen Verkehrsleitsysteme an den Autobahnkreuzen mit diesen Geboten eine Alternative anzeigen müssen.
Die bröckelnde Infrastruktur in Berlin und Deutschland ist bekannt. Vielleicht war die Vollsperrung der Autobahnbrücke der A100 in Berlin ein letzter Warnschuss, dass diese Sanierungs- und Instandhaltungsvorhaben ab sofort absolute Priorität haben müssen, denn ohne funktionsfähige Infrastruktur ist auch wirtschaftliche Stabilität und eventuelles Wachstum nicht zu schaffen.
Die von der zukünftigen Bundesregierung auf den Weg gebrachten 500 Milliarden Euro zur Auflösung des Sanierungsstaus in Deutschland kommen zum rechten Zeitpunkt – gebraucht werden sie auf jeden Fall.
Positiv festzustellen bleibt, dass zukünftig die bisher behindernden Bürokratiehindernisse insofern ansatzweise bereinigt werden sollen, indem keine Planfeststellungsverfahren mehr vonnöten sind bei Ersatzneubauten – so jedenfalls der Wunsch von Ute Bonde. Allein diese Maßnahme sollte die Verfahren beschleunigen und den Notfall, wie bei der Autobahnbrücke der A100, schnellstens beheben.
Quellen: Autobahn GmbH, RBB, Berliner Morgenpost