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Kultur, Gewerbe, Wohnen: Alte und neue Geschichte des “Am Tacheles”

An der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte ist das Wohn-, Gewerbe- und Kulturquartier “Am Tacheles” bis auf letzte Arbeiten fertiggestellt worden. Die renommierte Galerie “Fotografiska” ist einer der Ankermieter im neuen Ensemble. Die bemerkenswerte Kombination von historischer und moderner Architektur schafft einen neuen Anlaufpunkt im Zentrum Berlins.

Zwischen Oranienburger Straße und Friedrichstraße ist in Berlin-Mitte das vieldiskutierte Projekt “Am Tacheles” entstanden. Mittlerweile ist das Kultur-, Gewerbe- und Wohnquartier bis auf letzte Arbeiten fertiggestellt worden. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

© Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Björn Leffler

 

Viele Spaziergänger und Touristen, die die Oranienburger Straße in Berlin-Mitte entlangschlendern, bleiben beim großen, historischen Portal des einstigen “Kunsthauses Tacheles” stehen und werfen interessierte Blicke in den Innenhof des bemerkenswerten Ensembles.

Viele machen Fotos, andere gehen hinein, um zu entdecken, was sich hinter den Mauern des ursprünglichen Kaufhauses verbirgt, welches nach dem Mauerfall für viele Jahre als Kunst- und Kreativstandort weltweite Berühmtheit erlangt hatte.

Lange wurde um den Umbau des “Kunsthaus Tacheles” gestritten

Lange wurde um einen möglichen Umbau des Gebäudeensembles gerungen, bis das fertige Konzept schließlich feststand und ein Architekturwettbewerb durchgeführt werden konnte. Es war eines dieser ganz besonders zähen Bauprojekte, von denen es in Berlin in den Jahrzehnten nach der Wende nicht wenige gegeben hat.

Das raumgreifende Projekt wurde schließlich nach Plänen des renommierten Architekturbüros Herzog de Meuron umgesetzt. Auf dem riesigen Baufeld, welches um das einstige Künstlerhaus “Tacheles” eingerichtet wurde, ist in den vergangenen Jahren ein völlig neues Quartier entstanden, in überwiegend radikal moderner Formsprache.

“Am Tacheles”: Die schwedische Fotogalerie “Fotografiska” ist eingezogen

In die modernisierte und denkmalgeschützte Kaufhaus-Ruine ist die schwedische Fotogalerie “Fotografiska” eingezogen, die Eröffnung fand im September 2023 statt. “Fotografiska” ist ein Fotomuseum im Stadtbezirk Södermalm in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, gegründet von den Brüdern Jan und Per Broman.

Mit international beachteten Fotoausstellungen und einem vielfältigen, kulturellen Programm möchte sich das Haus als offenes Kulturzentrum in der deutschen Hauptstadt etablieren. Wer das “Fotografiska” heute besucht, findet eine spannende Kultureinrichtung vor, die den Großteil des einstigen Künstlerhauses erhalten und für ihre Gäste sicht- und erlebbar gestaltet hat. Allein das Treppenhaus der auf mehreren Etagen eingerichteten Galerie ist ein kleines Erlebnis.

10 Neubauten zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße

Zwei weitere, ebenfalls denkmalgeschützte Häuser, die direkt an der Friedrichstraße stehen, werden erhalten bleiben. Um sie herum wurde neu gebaut, und zwar im großen Stil: Zehn Neubauten wurden auf dem Areal am Oranienburger Tor, in direkter Nachbarschaft zum Friedrichstadt-Palast, errichtet.

Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist nun wieder ein Durchgang zwischen Oranienburger Straße und Friedrichstraße möglich. Hierfür schreitet man durch das historische “Tacheles”-Portal und spaziert vorbei an modernen Bürofassaden und ersten Läden.

45 SHOPS UND RESTAURANTS SOLL ES ZUKÜNFTIG IM QUARTIER “AM TACHELES” GEBEN

Insgesamt 45 Shops und Läden sollen im Quartier “Am Tacheles” eingerichtet werden, die meisten von ihnen in der 150 Meter langen und 12 Meter breiten Passage, die mit goldenen Stableuchten und grün umrankten Brücken ausgestattet wurde. Im Gegensatz zur historischen “Tacheles”-Ruine ist diese Passage modern mit strengen Rasterfassaden gestaltet worden.

Mittlerweile sind hier die spanische Automarke Cupra, das Steakhouse The Dry Gin & Beef sowie ein Starbucks direkt am Eingang zur Friedrichstraße eingezogen. Darüber hinaus werden ein Fitnessstudio und weitere Gastronomie-Angebote einziehen.

Auch das US-amerikanische Pharmaunternehmen Pfizer ist als erster Ankermieter in die modernen Büroräumlichkeiten an der Friedrichstraße eingezogen. Der bisherige Sitz des Unternehmens in Berlin befand sich in der Linkstraße 11 unweit des Potsdamer Platzes.

HISTORISCHER VORLÄUFER: DIE 1908 ERRICHTETE FRIEDRICHSTRASSENPASSAG

Tatsächlich hat die Passage sogar einen historischen Vorläufer. Das von Franz Ahrens in 15 Monaten von 1907 bis 1908 errichtete Gebäude wurde 1909 als “Friedrichstraßenpassage” eröffnet. Es verband die Friedrichstraße mit der Oranienburger Straße.

Nach der Kaisergalerie war sie die zweitgrößte Einkaufspassage der Stadt. Die Baukosten betrugen damals rund sieben Millionen Mark. Nachdem der Gebäudekomplex im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden war, wurde das Gebäude von der DDR-Regierung nicht wieder aufgebaut.

DIE DDR-REGIERUNG PLANTE DEN ABRISS DES EHEMALIGEN WARENHAUSES “TACHELES”

Aufgrund zweier Statikgutachten aus den Jahren 1969 und 1977 sollten die noch erhaltenen Gebäudeteile abgerissen werden, obwohl sich dort zum Teil eine intensive Nutzung etabliert hatte. Unter anderem war auch ein Kino im historischen Gebäude untergebracht.

Eine neue Straße sollte über das Gelände verlaufen und eine Abkürzung zwischen Oranienburger Straße und Friedrichstraße bilden. Der Abriss begann schließlich im Jahr 1980. Zwei Jahre später wurden das Kino geschlossen und der noch komplett erhaltene Kuppelbau gesprengt.

1990 BESETZTEN KÜNSTLERGRUPPEN DAS GEBÄUDE – UND VERHINDERTEN DEN ABRISS

Der noch heute stehende Teil sollte laut Plan im April 1990 abgebaut werden, was durch den Fall der Mauer und das energische Eingreifen von Künstlergruppen verhindert wurde. Kurz vor der planmäßigen Sprengung wurde der noch stehengebliebene Rest des Gebäudes am 13. Februar 1990 von der Künstlerinitiative Tacheles besetzt.

Der Abriss konnte nach einigen Kontroversen verhindert werden. Die Künstlerinitiative ließ ein neues Gutachten zur Bausubstanz und Statik erstellen. Auf Grund des positiven Ergebnisses wurde das Haus zunächst vorläufig unter Denkmalschutz gestellt, der nach einem weiteren Gutachten vom 18. Februar 1992 bestätigt wurde.

In den kommenden Jahren erlangte das Gebäude internationale Berühmtheit als offenes und zeitgenössisches Kunsthaus. 2014 jedoch erfolgte der Verkauf des Grundstücks und die Neuplanung des gesamten Areals.

PROJEKT “AM TACHELES”: AUCH EIN GROSSER PARKPLATZ WURDE VOLLSTÄNDIG ÜBERBAUt

Dabei wurde auch eine große Parkplatzfläche, die zwischen Johannisstraße und Oranienburger Straße angelegt worden war, neu geplant und mittlerweile vollständig überbaut. Das heutige Quartier “Am Tacheles” hat, rein architektonisch, nur noch wenig mit der historischen Vorgänger-Bebauung zu tun – abgesehen natürlich von der erhaltenen Kaufhaus-Ruine.

Dennoch ist hier in den vergangenen Jahren ein Ensemble entstanden, welches den Stadtraum rund um Oranienburger Tor und nördliche Friedrichstraße vollkommen neu definiert und – vor allem durch die Galerie “Fotografiska” – neue Anlaufpunkte kreieren wird. Wie sich das Quartier zukünftig in den Stadtraum einfügen wird, bleibt abzuwarten.

275 Eigentumswohnungen sind im Quartier “Am Tacheles” entstanden

Ungeachtet der Kritik an den modern gestalteten Teilen des Ensembles ist schon jetzt spürbar, dass auf dem Gelände neues Leben und viel Durchgangs- und Geschäftsverkehr eingezogen ist und die Fläche, die seit dem Zweiten Weltkrieg in großen Teilen unzugänglich war oder vollkommen brach lag, reaktiviert worden ist.

Die neu entstandenen 275 Wohnungen werden durchgehend als Eigentumswohnungen vertrieben, was dem Projekt jedoch zusätzliche Kritik eingebracht hat. Diese Wohnungen wurden hauptsächlich an der ruhigeren Johannisstraße errichtet, wo die letzten Arbeiten an den exponierten Wohnhäusern durchgeführt werden.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

Das historische Portal des einstigen Kaufhauses Tacheles ist ein architektonischer Fixpunkt des neuen Quartiers im Zentrum der Hauptstadt. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Das federführende Architekturbüro Herzog de Meuron hat historische und radikal moderne Architektur miteinander kombiniert. Das gestalterische Konzept wird allerdings kontrovers diskutiert. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Die Überreste des einstigen “Kunsthaus Tacheles” wurden sichtbar gemacht, sowohl innen als auch außen. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Teil der Fotogalerie “Fotografiska”: Das historische und bemerkenswerte Treppenhaus des “Tacheles”. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Zwischen Oranienburger Straße und Friedrichstraße ist eine öffentliche Passage entstanden, nach einem historischen Vorgängerbau. Das von Franz Ahrens in 15 Monaten von 1907 bis 1908 errichtete Gebäude wurde 1909 als “Friedrichstraßenpassage” eröffnet. Es verband auch damals schon die Friedrichstraße mit der Oranienburger Straße. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Die neu entstandenen 275 Wohnungen werden durchgehend als Eigentumswohnungen vertrieben. Diese wurden überwiegend an der ruhigeren Johannisstraße errichtet. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Weitere Projekte in Mitte findet Ihr hier
Weitere Kulturprojekte sind hier zu finden
Weitere Gewerbeprojekte gibt es hier
Weitere Wohnprojekte sind hier zu sehen

Quellen: Herzog de Meuron, B.Z., Architektur Urbanistik Berlin, Fotografiska, Wikipedia, Berliner Morgenpost, Deutsches Architektur Forum

 

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2 Kommentare

  1. Johannes_Meier Dezember 28, 2023

    Es wurde auch eine große Tiefgarage gebaut, das ist das einzig Sinnvolle an diesem Projekt. Ansonsten viel zu massive und wuchtige “Architektur”.

  2. MixMasterU Januar 5, 2024

    Seelenlose Touristen Architektur, die eine ehemals sehr lebendige Oranienburger Straße final zubetoniert. Interessant ist auch noch, wie Berlin dieses Filet-Grundstück an Jagtfeld und Co. quasi verschenkt hat, damit der sich wenige Jahre später eine goldene Nase damit verdienen kann. Schade um einen schönen Kiez!

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