Wohnungsbau gegen Bahnschutz: Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) wehrt sich gegen die Blockade des Eisenbahn-Bundesamts. In einem ausführlichen Interview verteidigt er Berlins Baupolitik – und stellt klar, wo seine Prioritäten liegen. Zudem erklärt er, warum die Projekte „Pankower Tor“ und „Marienhöfe“ nicht von der Gesetzesnovelle betroffen sind.

Ursprünglich zur Stärkung der Schiene gedacht, verhindert die Gesetzesreform nun den Bau von tausenden Wohnungen. Das Eisenbahn-Bundesamt setzt die neuen Regeln strikt um – und stellt Bahninteressen über soziale Infrastruktur. Das hier abgebildete Projekt „Pankower Tor“ ist laut Christian Gaebler hingegen nicht betroffen. / © Visualisierung: CKSA Christoph Kohl Stadtplaner Architekten

© Foto Titelbild: IMAGO / Funke Foto Services

 

Das Eisenbahn-Bundesamt sagt Nein: Weil eine Gesetzesverschärfung Entwidmungen nahezu unmöglich macht, geraten zentrale Berliner Wohnungsbauprojekte, die auf ehemaligen Güterbahnhöfen errichtet werden sollen, ins Wanken. Nun hat das Bundesamt seine Haltung noch einmal bestätigt, Berlins Stadtentwicklungspolitik steht damit womöglich vor einem großen Dilemma. Im Interview mit ENTWICKLUNGSSTADT äußert sich Berlins Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) nun ausführlich zum bestehenden Konflikt.

ENTWICKLUNGSSTADT: Das Eisenbahn-Bundesamt hat die Entwidmung zentraler Bahnflächen wie bspw. in Köpenick offiziell abgelehnt. Was bedeutet das konkret für das Gesamtvorhaben auf dem ehemaligen Güterbahnhof Köpenick und wie will der Senat darauf reagieren?

Christian Gaebler: Gegen den Bescheid des EBA hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Widerspruch eingelegt. Das bedeutet aber keinen Stillstand. Die Entwicklung des ehemaligen Güterbahnhofs Köpenick ist langfristig und sukzessive ausgelegt. Es ist eines unserer Neuen Stadtquartiere. Hier sind 1.800 Wohneinheiten geplant – ein neues Zuhause für sehr viele Menschen. Die Planungen und Entwicklung von Bereichen, die nicht von der Freistellung nach § 23 des allgemeinen Eisenbahngesetzes abhängen, können ohne Verzögerungen fortgeführt werden. Dabei handelt es sich insbesondere um rund 550 Wohnungen südlich des ehemaligen Bahnhofgeländes. Sofern die Freistellung bis zum Jahr 2026 erfolgt, werden wir die bauvorbereitenden Maßnahmen bündeln. So können wir grundsätzlich den geplanten Zeitrahmen bleiben.

ENTWICKLUNGSSTADT: Beim Projekt Pankower Tor ist ebenfalls eine Entwidmung bahnrechtlich gewidmeter Flächen nötig. Wie sind die Auswirkungen auf dieses Projekt?

Gaebler: Das Pankower Tor ist nicht betroffen, dort wurden die Anträge bereits 2010 und 2012 gestellt. Die Flächen sind entwidmet.

ENTWICKLUNGSSTADT: Wie schätzen Sie die langfristigen Auswirkungen der AEG-Novelle auf die Stadtentwicklung in Berlin ein – insbesondere auf Großprojekte wie Marienhöfe oder die weiteren geplanten Quartiere auf Bahnflächen?

Gaebler: Bei den Marienhöfen kommt das Gesetz nicht zum Zuge. Auf dem ehemaligen Güterbahnhof Mariendorf entsteht ein neues Quartier mit Wohnen, Gewerbe und einer Flüchtlingsunterkunft. Das Grundstück ist keine gewidmete Bahnfläche.

ENTWICKLUNGSSTADT: Welche politischen Schritte unternehmen Sie konkret, um auf Bundesebene eine Korrektur der Gesetzeslage zu erreichen? Gibt es bereits Gespräche mit der Bundesregierung oder dem Bundestag?

Gaebler: Das Bundeskabinett hat bereits eine Änderung des Gesetzes beschlossen. Das geht jetzt in die parlamentarische Beratung. Ich gehe davon aus, dass das schnell beschlossen und entsprechend geändert wird. Berlin hat in der letzten Legislaturperiode bereits eine Änderung des § 23 AEG im Bundesrat befürwortet. Es herrscht ein enormer Bedarf an neuem, auch bezahlbaren Wohnraum. Das geht anderen Städten auch so. Ich hatte bereits letztes Jahr gefordert, dass die AEG-Novelle bezüglich des § 23 wieder zurückgenommen wird.

 

Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) macht seine Prioritäten klar: „Die neue Bundesregierung hat den Wohnungsbau als eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit klar benannt und will zügig bezahlbaren Wohnraum schaffen. Neben der Entbürokratisierung und Beschleunigung von Wohnungsbauvorhaben ist die Änderung des § 23 im AEG ein wichtiger Schritt, um hier entscheidend voranzukommen.“ / © Foto: Andreas Labes

„Es herrscht ein enormer Bedarf an neuem, auch bezahlbaren Wohnraum. Das geht anderen Städten auch so. Ich hatte bereits letztes Jahr gefordert, dass die AEG-Novelle bezüglich des § 23 wieder zurückgenommen wird.“

Christian Gaebler, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen

 

ENTWICKLUNGSSTADT: Wie bewertet der Senat das Spannungsverhältnis zwischen der angestrebten Verkehrswende und dem sozialen Auftrag, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Sehen Sie hier eine Priorisierung?

Gaebler: Unsere Priorisierung ist ganz klar der Wohnungsbau und zwar in allen Teilen der Stadt. Dabei bauen wir keine Schlafstädte auf der grünen Wiese, sondern entwickeln neue, lebendige Quartiere mit der notwendigen Infrastruktur. Dazu gehören unter anderem Flächen für zukunftsfähige Arbeitsplätze, Sport-, Erholungs- und Bildungseinrichtungen, ein klimaresilienter Stadtumbau sowie natürlich auch eine gute ÖPNV-Erschließung. Alles muss zusammengedacht werden.

ENTWICKLUNGSSTADT: Wenn Bahnflächen dauerhaft nicht nutzbar gemacht werden können: Gibt es alternative innerstädtische Standorte, die als Ausweichareale für Wohnungsbau dienen könnten? Oder droht ein Rückschlag für den Wohnungsbau insgesamt?

Gaebler: Die Attraktivität Berlins ist ungebrochen. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass es für alle Bereiche, seien es zum Beispiel neue Gewerbeflächen oder Sportplätze, Flächenbedarfe gibt. Umso besser ist es, dass wir über den Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 Wohnungsbaupotenziale im gesamten Stadtgebiet identifiziert haben. Insgesamt sind das Wohnungsbauflächen für den Bedarf von 222.000 Wohnungen bis zum Jahr 2040. Alleine Nachverdichtungen und die Bebauung von Brachen werden diesen Bedarf an neuem Wohnraum nicht decken. Die Notwendigkeit nach Wohnungsbau ist also tatsächlich von überragendem öffentlichem Interesse und nicht eine gefühlte Größe.

ENTWICKLUNGSSTADT: Wie bewertet der Senat die Haltung der Deutschen Bahn AG, die teilweise Flächen freigeben will, im Gegensatz zur restriktiven Position des Eisenbahn-Bundesamts? Gibt es rechtliche Spielräume, diese Diskrepanz stärker auszunutzen?

Gaebler: Die neue Bundesregierung hat den Wohnungsbau als eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit klar benannt und will zügig bezahlbaren Wohnraum schaffen. Neben der Entbürokratisierung und Beschleunigung von Wohnungsbauvorhaben ist die Änderung des § 23 im AEG ein wichtiger Schritt, um hier entscheidend voranzukommen.

ENTWICKLUNGSSTADT: Sehr geehrter Herr Gaebler, wir danken für das Gespräch.

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Wie hier auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf sollen auch auf anderen, brachliegenden Bahnflächen Berlins neue Wohnungen entstehen – doch eine Gesetzesnovelle verkompliziert diese Planungen nun. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

Platz für rund 1.800 Wohnungen, mehrere Schulen, Kitas und auch Gewerbeflächen: So wie auf dieser Visualisierung dargestellt soll der ehemalige Güterbahnhof Köpenick zukünftig bebaut werden – doch das Eisenbahn-Bundesamt scheint andere Pläne zu haben und verweigert die Entwidmung des Areals. / © Visualisierung: ADEPT & Karres en Brands mit PGT Umwelt und Verkehr

Quellen: Berliner Morgenpost, Berlin Bauboom, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, ADEPT & Karres en Brands mit PGT Umwelt und Verkehr, CKSA Christoph Kohl Stadtplaner Architekten, Nöfer Architekten, Eisenbahn-Bundesamt, Deutschen Bahn AG, Neues Deutschland

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One Comment

  1. Max 5. Juni 2025 at 13:45 - Reply

    Das irre Gesetz soll eh bald novelliert werden, es blockiert auch die Planung von Stuttgart 21.

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