Ein Kino, zwölf Restaurants, mehrere Bars und Cafés, ein Palmensaal – und ein Rhein mit Donnergewitter. Das Haus Vaterland war der vielleicht erste Amüsier-Tempel seiner Art Europas, mitten im Berlin der Zwischenkriegszeit. Nachdem das Haus innerhalb von 15 Monaten umgebaut und dabei um zwölf Meter verlängert worden war, eröffnete das sechsstöckige Etablissement im September 1928 neu – und erlebte eine beispiellose Blütezeit mit bis zu einer Million Besuchern jährlich.

Ein visionärer Architekt, ein gewagter Plan und eine Stadt im Wandel: Das Haus Vaterland am Potsdamer Platz wurde zur Bühne einer neuen Unterhaltungskultur. Nachdem der 15 Monate dauernde Umbau abgeschlossen war, eröffnete am 1. September 1928 ein Amüsiertempel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. / © Foto: IMAGO
© Foto Titelbild: IMAGO / Arkivi
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Um die Ideen von Leo Kronau, das Haus Vaterland in einen Vergnügungspalast zu verwandeln, in die Realität umzusetzen, musste das Haus vorher umgebaut werden. Dazu wurde das Gebäude quasi komplett entkernt. Der aufwendige und umfangreiche Umbau startete im Frühjahr 1927.
Carl Stahl-Urach und das Haus Vaterland: Architekt mit Beziehungen zur Filmbranche
Verantwortlicher Architekt damals war kein Unbekannter. Carl Stahl-Urach, der sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit einigen Neubauten in der Weimarer Republik einen Namen als Architekt gemacht hatte, wurde mit dem Umbau beauftragt. Die Entscheidung für Stahl-Urach geschah auch vor dem Hintergrund seiner Beziehungen zur Filmbranche und speziell zu Regisseur Fritz Lang.
Ihm war also bewusst, welche Anforderungen die Vergnügungsindustrie an die baulichen und technischen Voraussetzungen eines solchen Gebäudes stellte. Stahl-Urach brachte seine architektonischen Vorstellungen zu Papier und entwarf für Kronau ein Gebäude, in dem alle nur denkbaren räumlichen und technischen Neuerungen berücksichtigt wurden.
Neues Konzept für das Haus Vaterland: Umbau glich einem Neubau
Prioritäten beim Umbau wurden dem Kino und dem im vorderen Teil des Gebäudes angesiedelten Café Vaterland beigemessen, deren Betrieb unbedingt aufrechterhalten werden sollte. Um einen größeren Flächenbedarf bei der Neukonzeption des Gebäudes zu erlangen, wurde zusätzlich ein in der benachbarten Köthener Straße gelegenes Grundstück angekauft, wodurch sich die Gesamtfläche des Gebäudes um zwölf Meter verlängerte.
Einzig das Café Vaterland blieb während der Gesamtdauer des Umbaus von 15 Monaten geöffnet; das Lichtspieltheater wurde zeitweise geschlossen. Günstig für den kompletten Umbau war die bei der ersten Umgestaltung installierte Stahlrahmenkonstruktion, denn sie gab der Gebäudehülle bei allen vorgenommenen Umbauten die notwendige Stabilität.
Man könnte den Umbau eigentlich auch als Neubau deklarieren, denn vom alten Gebäude blieb im Wesentlichen nur die Außenfassade unverändert erhalten. Der Umbau verlief allerdings auch nicht problemlos angesichts des Termindrucks und der Verdoppelung der ursprünglich veranschlagten Baukosten auf am Ende insgesamt fünf Millionen Mark.
Erlebnisgastronomie für tausende Besucher: Architektonisch pragmatische Neugliederung
Da man ein Haus der Erlebnisgastronomie schaffen wollte, kam es darauf an, die zu erwartenden Massen an Besuchern innerhalb des Gebäudes so zu lenken, dass man Chaos von vornherein ausschließen wollte. Daher wurden die drei großen Attraktionen architektonisch so angelegt, dass sie räumlich voneinander getrennt waren und sowohl das Café, das Kino als auch das neue große Vergnügungsetablissement jeweils separate Eingänge erhielten.
Das Kino wurde während der Umbauarbeiten nochmals auf 1.400 Plätze erweitert und erstreckte sich vom Kellergeschoss bis in das erste Obergeschoss. Im Eingangsbereich konnte man in einem Restaurant vor und nach den Vorführungen sowie in den Pausen kleinere Speisen zu sich nehmen. Die Sitze waren vor der Bühne halbkreisförmig angeordnet, sodass neben Filmvorführungen auch anderweitige Aufführungen oder politische Veranstaltungen stattfanden.
Neue Eingangshalle zwischen Kino und Café wurde zum Dreh- und Angelpunkt des Hauses
In der Gebäudemitte, zwischen Kino und Café, wurde eine große Eingangshalle geschaffen, die innerhalb des Hauses zum Dreh- und Angelpunkt wurde und dafür sorgte, dass man neben den Aufzügen über eine großzügig angelegte Mitteltreppe alle Restaurants, Cafés, Tanzsäle und Bars ansteuern konnte.
Dieser neue, zweckbetonte Architekturstil entsprach dem Zeitgeist nach dem Ersten Weltkrieg, hieß aber nicht, dass man auf eine gewisse Luxusausstattung verzichtete. Verließ man allerdings diese große und betont sachliche Reserviertheit der Mitteltreppe und begab sich in die jeweiligen Lokalitäten, dann öffneten sich den Gästen die eigentlich doch versprochenen Attraktionen.
September 1928: Eröffnung des Haus Vaterland
Nachdem der 15 Monate dauernde Umbau abgeschlossen war, eröffnete am 1. September 1928 ein Amüsiertempel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Am Vorabend fand bereits eine Eröffnungsfeier für etwa 500 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Finanzwelt, öffentlichem Leben, Verwaltung und Verbänden statt, über die die anwesenden Pressevertreter am Folgetag ausführlich berichteten.
Insgesamt zwölf Restaurants – acht kleinere und größere – verteilten sich auf die vier Stockwerke des Hauses. Dazu kamen noch einige Bars, die ebenfalls auf den einzelnen Stockwerken platziert waren. Der musikalische Komplex umfasste sechs Bands – von Flamenco über Polka, Jazz, Walzer bis hin zu den jeweiligen musikalischen Themen, die zu den einzelnen Restaurants passten.
Zwölf Restaurants verteilten sich auf vier Stockwerke – dazu kamen Bars, Cafés und ein Kino
Neben dem bereits erwähnten Lichtspieltheater umfasste das Repertoire des Hauses im Erdgeschoss ein Caféhaus mit einer Kapazität von 2.500 Personen und einen imposanten Ballsaal, den sogenannten Palmensaal. Innerhalb des sechsgeschossigen Gebäudes konnten die Besucher eine erstaunliche kulinarische Reise starten, die sie von einer spanischen Bodega über ein japanisches Teehaus bis hin zu einem amerikanischen Wild-West-Saloon führte.
Zwei Restaurants, das Löwenbräu als bayerisches Bierlokal und die Rheinterrassen, das größte Restaurant im Haus Vaterland, vermittelten den typisch deutschen Lokalkolorit. Weitere im europäischen Stil gestaltete Restaurants waren ein ungarisches Puszta-Csárdás-Dorfgasthaus und ein als Grinzinger Heuriger bezeichnetes Wiener Caféhaus mit einer speziellen Lizenz für den Verkauf der berühmten Sachertorte. Ein türkisches Café vervollständigte zum Zeitpunkt der Eröffnung den Reigen der „exotischen“ Lokalitäten.
Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Drucks gab es beim Angebot der Lokalitäten im Laufe der Jahre die eine oder andere Anpassung, mit dem Ziel, neue Besucher in das Haus zu lotsen. Eine Alt-Berliner Kneipe, eine Bremer Hafenkneipe, eine italienische Pizzeria/Osteria und eine Feuerland-Bar kamen hinzu oder wurden als Ersatz für wirtschaftlich nicht so gut laufende Restaurants installiert.
Palmensaal als luxuriöses Zentrum im „neuen“ Haus Vaterland
Aber der luxuriöseste Mittelpunkt des Hauses war der Palmensaal, der im vierten und fünften Obergeschoss untergebracht war. Dieser Ballsaal, konzipiert von Ernst Stern (1876–1954), der als Bühnenbildner am Deutschen Theater unter Max Reinhardt gewirkt hatte, zeigt wieder die enge Verbindung im Haus Vaterland zwischen Vergnügen, Theater und Film.
Diese Inszenierung des Palmensaals drückt auch die Bestrebungen der Betreiber des Hauses Vaterland aus, glaubhafte Identifikationen in den jeweiligen Bars, Restaurants oder eben dem Palmensaal zu erzeugen, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprachen, aber den Gästen zumindest Illusionen vermittelten. Übrigens war der Saal von Palmen gesäumt, sollte wohl eine originalgetreue Kopie des Gartens Eden vermitteln und verfügte über eine federnde Tanzfläche, um die Knöchel seiner Gäste zu schonen.
Etablissement am Potsdamer Platz: Neues Konzept eines dauerhaften Vergnügungsparks in der Stadtmitte
Dieses vom Ideengeber Leo Kronau erdachte Konzept einer Erlebnisgastronomie, dazu in dieser einmaligen und vielfältigen Form, war völlig neu und weckte bei den Besuchern und Gästen ein zunehmendes Interesse. Die Dimensionen des Gebäudes waren gigantisch und schufen die Voraussetzungen, dass 8.000 Personen gleichzeitig das Haus Vaterland besuchen konnten. In der Blütezeit des Hauses zählte man jährlich eine Million Besucher.
Um das zu erreichen, bedurfte es einer Konzeption mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail, was zum Beispiel die landestypischen Innenraumgestaltungen anging. Bemerkenswerterweise wurde das Restaurant „Rheinterrassen“ zum Mittelpunkt des Hauses Vaterland – ein Wirtshaus, das in einer nachgebauten Kulisse der Rheintallandschaft mit Blick auf die Burg Rheinfels und den Loreleyfelsen installiert wurde.
Die „Rheinterrassen“ im Haus Vaterland als Teil der nationalistisch gefärbten Erinnerungskultur
Und den Besuchern wurde in diesem Diorama des Rheins mit zwanzig tanzenden „Rheinlandmädchen“ und einem stündlich stattfindenden pyrotechnischen Donnergewitter ein wahres Spektakel geboten. Der Rhein wurde hier quasi im mehrfachen Sinn zum Zentrum des „Vaterlands“ und damit wohlweislich auch zum Mittelpunkt einer nationalistisch gefärbten Erinnerungskultur.
Denn auch in der Weimarer Republik durfte in der Rückschau zum verlorenen Ersten Weltkrieg und dem „vermaledeiten Versailler Vertrag“ nicht vergessen werden, dass der Rhein zu Deutschland gehöre – gemeint war aber das „Rheinland“, mit Blick auf die zeitweise Besatzung dieses Gebietes durch die Franzosen.
Detailversessenheit bei der Restaurantgestaltung
Diese Detailversessenheit konnten die Besucher auch in den anderen Restaurants und Bars erleben – so im Türkischen Café mit orientalischen Mustern an den Wänden und dem Interieur, einem Brunnen wie in einem Innenhof des Morgenlandes. In der Wiener Weinstube fanden die Besucher einen weinumrankten Innenhof eines alten Wiener Hauses, und im bayerischen Löwenbräu gab es Bier aus Maßkrügen mit servierten Kalbshaxen und Weißwürsten. Im ungarischen Csárdás servierte man Gulasch – so könnte man die Beschreibungen des vielfältigen, unterschiedlichen Services in den diversen Restaurants und Bars fortführen.
Letztendlich kam es den Betreibern darauf an, den Gästen die Illusion zu vermitteln, sich real in Wien, Istanbul oder in der Prärie Nordamerikas zu befinden – wozu die eigens dafür entworfenen Panoramabilder einen wesentlichen Beitrag lieferten. Die Vorlagen für diese aufwendig gestalteten Kulissen lieferten oft die großen Kolonial- und Weltausstellungen.
Initiator Leo Kronau hatte mit dem Haus Vaterland für die Besucher eine Möglichkeit eröffnet, sich in einer Illusion auf eine Weltreise zu begeben – und das alles unter einem Dach, ohne die Location zu wechseln. Diese Reiselust der Deutschen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland verstärkt herausbildete, war einer der Schlüssel für den Erfolg des Hauses Vaterland.
Fortsetzung folgt…
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Das einstige Haus Vaterland am Potsdamer Platz als Modell in einer Miniaturausstellung. / © Foto: IMAGO

Zwei Restaurants, das Löwenbräu als bayerisches Bierlokal (hier abgebildet) und die Rheinterrassen, das größte Restaurant im Haus Vaterland, vermittelten den typisch deutschen Lokalkolorit. / © Foto: IMAGO

Insgesamt zwölf Restaurants – acht kleinere und größere – verteilten sich auf die vier Stockwerke des Hauses. Dazu kamen noch einige Bars, die ebenfalls auf den einzelnen Stockwerken platziert waren. Der musikalische Komplex umfasste sechs Bands – von Flamenco über Polka, Jazz, Walzer bis hin zu den jeweiligen musikalischen Themen, die zu den einzelnen Restaurants passten. / © Foto: IMAGO

Bemerkenswerterweise wurde das Restaurant „Rheinterrassen“ zum Mittelpunkt des Hauses Vaterland – ein Wirtshaus, das in einer nachgebauten Kulisse der Rheintallandschaft mit Blick auf die Burg Rheinfels und den Loreleyfelsen installiert wurde. / © Foto: IMAGO
Quellen: Vanessa Conze „Haus Vaterland“, Verlag Elsengold, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum