Alte Gebäude zu erhalten und neu zu nutzen gilt seit einigen Jahren als nachhaltige Alternative zum vollständigen Abriss. Das gilt auch für die Bauepoche der sogenannten „Ostmoderne“ – also Gebäude, die zwischen 1945 und 1989 im Gebiet der ehemaligen DDR entstanden sind. Der Erhalt dieser Gebäude führt immer wieder zu kontroversen Debatten. In Berlin gibt es einige bemerkenswerte Sanierungsprojekte von DDR-Baukunst.
© Visualisierung Titelbild: Trockland
Text: Björn Leffler
Als Denkmale noch zu jung, aber für eine zeitgemäße Nutzung schon zu alt? Die Bauten der Nachkriegsmoderne prägen viele deutsche Städte noch heute, sowohl in einstmals westdeutschen Städten sowie auf dem Gelände der ehemaligen DDR.
Umbau, zeitgenössische Modernisierung oder vollständiger Abriss sind häufig die Schicksale, die vielen der Gebäude widerfahren. Vor allem jene Gebäude, die seit Jahren oder Jahrzehnten auf eine Modernisierung warten, werden von Akteuren im Umfeld oft nur noch als „Schandfleck“ oder „Altlast“ betrachtet.
DDR-Nachkriegsmoderne wurde in der Vergangenheit eher negativ bewertet
In den ostdeutschen Bundesländern ist die Situation durch die harten gesellschaftlichen Umbrüche der Nachwendezeit noch einmal besonders. Staatsbetriebe, denen viele dieser Bauwerke zugeordnet waren, hörten schlagartig auf zu existieren.
Die übriggebliebenen Gebäude – oft in katastrophalem Zustand – wurden den Mechanismen der Immobilienverwertung ausgesetzt. In vielen Fällen wurden keine adäquaten Neu-Nutzungen gefunden, viele Gebäude wurden abgerissen.
Nach dem Mauerfall: „Ostmoderne“-Bauten wurden großflächig abgerissen
Nachdem die Gebäude viele Jahre verschmäht wurden, hat mittlerweile ein schrittweises Umdenken in der Architektur- und Baubranche eingesetzt. Verkannte Qualitäten der einstigen Gebäude werden aufgezeigt und Perspektiven für den Umgang mit dem gebauten Erbe diskutiert.
Dabei ist das Thema nun wirklich nicht gänzlich neu. Das Buch „Ostmoderne – Architektur in Berlin 1945-1965“ (geschrieben von Andreas Butter und Ulrich Hartung) erschien bereits 2004 anlässlich einer Ausstellung des Deutschen Werkbunds.
Bewusstsein für ostdeutsche Baudenkmäler entwickelte sich langsam
Mittlerweile ist der Ausdruck „Ostmoderne“ weit verbreitet, doch damals musste er erst etabliert werden, zusammen mit einem Bewusstsein für die architektonischen Denkmäler der Ost-Berliner oder ostdeutschen Bauten aus dieser Zeit.
Es handelt sich dabei vor allem um funktional ausgerichtete Gebäude wie Industrieanlagen, Forschungsinstitute und Wasserwerke, bei denen zur Zeit ihrer Entstehung viel Wert auf eine gelungene Gestaltung gelegt wurde. Gleichzeitig sind allerdings auch Gebäude entstanden, die aufgrund ihrer gestalterischen Armut lang als wenig erhaltenswürdig angesehen wurden.
Pauschale Kritik an DDR-Architektur ist längst überwunden worden
Über einen langen Zeitraum hinweg herrschte nach dem Mauerfall daher die Ansicht vor, dass alles, was aus dem Osten stammte, beseitigt oder so verändert werden musste, dass seine Herkunft nicht mehr erkennbar war.
Allerdings hält diese pauschale Kritik den Tatsachen nicht ganz stand. Nicht zuletzt deshalb, weil die Ostmoderne über verschiedene Epochen hinweg existierte, die von ideologischen Schwankungen geprägt waren und unter denen die damaligen Gestalter zu leiden hatten.
„Ostmoderne“ wird in neue Projekte integriert – und hervorgehoben
Vermehrt werden mittlerweile Gebäude der „Ostmoderne“ in Immobilienprojekte involviert, anstatt sie abzureißen – selbst wenn die der architektonische Mehrwert der Bauten mitunter nicht direkt auf der Hand liegt.
In Berlin werden aktuell mehrere Bauprojekte umgesetzt, bei denen Gebäude der DDR-Moderne gänzlich umgebaut und modernisiert werden oder Teil von großen Immobilienprojekten werden. Das bekannteste Beispiel ist vermutlich der Umbau des Hauses der Statistik an der Otto-Braun-Straße am Alexanderplatz.
Haus der Statistik am Alexanderplatz: Umbau eines Riesigen Komplexes
Es ist eines der letzten Gebäudeensembles im östlichen Berliner Zentrum, welches noch immer quasi unverändert steht. Berlinerinnen und Berliner sowie Touristen haben sich vermutlich schon häufig gefragt, warum die “DDR-Ruine”, als die das Gebäude bereits in zahlreichen Medien bezeichnet wurde, nicht längst abgerissen worden ist.
Die Stadt Berlin hat aber gänzlich andere Pläne mit dem maroden Gebäudekörper. Entstanden ist das Gebäudeensemble in den Jahren von 1968 bis 1970 als Sitz der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik der DDR. Nach der Wiedervereinigung nutzten verschiedene bundesdeutsche Behörden die Gebäude. Seit 2008 stehen die insgesamt vier Gebäudeteile leer.
Ein vielseitiges Quartier mit Wohnungen und Büros soll entstehen
Der städtebauliche Entwurf für das zukünftige Haus der Statistik sieht ein vielseitig nutzbares Quartier für Menschen aller Altersklassen vor. Das Konzept der Planungsgesellschaft Teleinternetcafé und Treibhaus hatte sich in einem Wettbewerb vor rund vier Jahren durchgesetzt.
Zu den 46.000 bereits bestehenden Quadratmetern in den Altbauten an der Alexanderstraße und Otto-Braun-Straße sollen rund 66.000 Quadratmeter Neubau hinzukommen. Rund 250 bis 350 Millionen Euro soll das neue Quartier kosten.
Sanierung: An der Klosterstraße entsteht das Projekt „Sixty2“
Ein vergleichbares, wenn auch deutlich kleineres Projekt soll an der Klosterstraße entstehen, ebenfalls unweit des Alexanderplatzes. Auch hier soll ein Bestandsbau – ein ehemaliger DDR-Bürokomplex aus den 1970er Jahren – saniert und um einen Neubau ergänzt werden. Der Immobilienentwickler Trockland verantwortet das Vorhaben.
Die Entscheidung für die Revitalisierung anstelle eines Abrisses der umfangreichen Gebäudeteile soll auch einen wichtigen ökologischen Vorteil mit sich bringen: Der Erhalt des Gebäudes soll laut Projektentwickler zur positiven Nachhaltigkeitsbilanz des gesamten Projekts beitragen, da auf diese Weise erhebliche Mengen an Rohstoffen eingespart werden können.
Gewerbeflächen und 43 Mietwohnungen sollen entstehen
Entstehen sollen im Bestands- und Neubau vornehmlich Büro- und Gewerbeflächen, aber auch 43 neue Mietwohnungen. Das Westgebäude wird eine umfassende Modernisierung durch einen vollständigen Umbau sowie eine Erweiterung und den Bau eines neuen Gebäudes erfahren.
Außerhalb des Berliner Zentrums entwickelt das Unternehmen Trockland noch ein vergleichbares, aber deutlich umfangreicheres Bauvorhaben. Dieses wird auf einer der größten, seit vielen Jahren ungenutzten Brachfläche im Südosten Berlins geplant.
Trockland: In Schöneweide wird das Projekt „Funkytown“ entwickelt
Das Grundstück liegt zwischen der Rummelsburger Landstraße und dem heutigen “Funkhaus Berlin” an der Nalepastraße. Am Grenzverlauf der Bezirke Lichtenberg und Treptow-Köpenick liegt das Grundstück, welches lediglich mit einem alten DDR-Plattenbau bebaut ist.
Aus diesem längst maroden Gebäude funkte unter anderem der DDR-Jugendsender “DT64” knapp 30 Jahre lang Kultur und Hits, Debatten und Kunst in die Haushalte einer ganzen Generation. Auf dem benachbarten Grundstück befindet sich das größtenteils denkmalgeschützte “Funkhaus Berlin” – ehemals “Funkhaus Nalepastraße” – welches ab den 1950er Jahren errichtet wurde.
Ehemaliger Sitz des DDR-Rundfunks soll revitalisiert werden
Von 1956 bis 1990 hatte der Rundfunk der DDR seinen Sitz in dem beeindruckenden Gebäudeensemble. In diesem spannenden Umfeld soll in den kommenden Jahren ein Kultur- und Gewerbeprojekt realisiert werden, welches einen engen thematischen Bezug zur Funk- und Radiogeschichte des Areals aufweisen soll.
Das wird allein schon durch den ungewöhnlichen Namen deutlich, den das Bauvorhaben erhalten hat: “Funkytown”. Zudem soll der Bestandsbau, der sogenannte “Block-E”, nicht abgerissen, sondern erhalten und modernisiert werden – obwohl dieser nicht unter Denkmalschutz steht.
Neben der Reaktivierung von “Block-E” sind insgesamt acht Neubauten auf dem Gelände geplant, die auf der freien Fläche zwischen Bestandsbau und Rummelsburger Landstraße platziert werden sollen.
Jannowitzbrücke: Neubau mit Bezug zur DDR-Architektur
An der Jannowitzbrücke wird derzeit sogar ein komplettes Neubauprojekt umgesetzt, welches sich architektonisch an der Architektur der DDR-Postmoderne orientiert.
Auf dem Grundstück befand sich noch bis Ende letzten Jahres eine ehemalige DDR-Kaufhalle, die mittlerweile abgerissen worden ist. Das baufällige Gebäude war in den vergangenen Jahren immer wieder für Zwischennutzungen gemietet worden, hatte auf dem Baugrund jedoch keine Zukunft.
Tatsächlich gab es zwischenzeitlich die Überlegung, den Flachbau in die zukünftige Gestaltung des Areals einzubeziehen, diese Pläne sind allerdings nicht verwirklich worden.
Wohnungen und Büros sind im Neubau an der Alexanderstraße geplant
Nun wird auf dem Gelände unweit des Alexanderplatzes gänzlich neu gebaut, und zwar nach einem Entwurf des Berliner Büros Diercks & Schönberger Architekten mit Peter Meyer. Im Erdgeschoss sollen nach Auskunft der Projektverantwortlichen insgesamt acht Gewerbeeinheiten für Gastronomie und Einzelhandel eingerichtet werden, auch Wohnungen sind geplant. An der Ostseite des Neubaus soll ein neuer Stadtplatz mit Außengastronomie, Spielplatz und Grünflächen entstehen.
Die architektonische Gestaltung des Gebäudes, mit seiner teilweisen Fassadenverkleidung durch gelbe Kacheln, darf durchaus als Hommage an die in den 1960er und 1970er Jahren in diesem Stadtareal umgesetzten Bauprojekte verstanden werden.
Karl-Marx-Allee: Vollendung des städtebaulichen Entwurfs
Ähnliches soll an der Karl-Marx-Allee umgesetzt werden. Neben einer weiteren Entwicklung der denkmalgeschützten Magistrale hin zu einer besseren Klimaresilienz soll es auch neue Gebäude im Abschnitt zwischen Schillingstraße und Alexanderplatz geben.
Dabei soll die ursprüngliche städtebauliche Idee aus den 1960er Jahren fortgeführt und gewissermaßen vollendet werden. Ursprünglich waren entlang der Straße elf Pavillons geplant. Gebaut wurden letztlich jedoch nur sechs davon. Nun sollen die restlichen Pavillons neu gebaut und mit kulturellen Nutzungen versehen werden.
Kino International: Modernisierung einer Kultur-Ikone
Ein weiteres Bauprojekt mit DDR-Bezug soll ebenfalls auf der Karl-Marx-Allee umgesetzt werden. Das Kino International, gelegen an der Grenze zwischen Mitte und Friedrichshain, soll ab Frühjahr 2024 umfassend saniert und modernisiert werden.
Das traditionsreiche Lichtspielhaus, entworfen von den Architekten Josef Kaiser und Heinz Aust, strahlt bis heute einen besonderen Glanz aus und wird wegen seiner Architektur zurecht als Beispiel für herausragende Neubauten der Nachkriegszeit gefeiert.
Ab Frühjahr 2024 schließt das Lichtspielhaus für 15 Monate
Der Kulturbau wurde nach rund zweijähriger Bauzeit am 15. November 1963 eröffnet und beherbergte nicht nur den Kinosaal für über 500 Gäste, sondern auch die Panoramabar, eine Lounge sowie eine Bibliothek. Zu DDR-Zeiten hatte die Lounge im Volksmund den süffisanten Beinamen “Honecker-Lounge”.
Zusätzlich zur Sanierung der bestehenden Räumlichkeiten sollen auch die ehemalige Bibliothek und andere Bereiche wieder nutzbar gemacht werden. Ziel der anstehenden Arbeiten ist es, neben den regulären Filmvorführungen weitere Veranstaltungen wie Lesungen, Tagungen oder Ausstellungen zu ermöglichen.
Pankow: Umbau der ehemaligen Australischen Botschaft
Ein weiteres Sanierungs- und Umbauprojekt wird in Pankow auf dem Gelände der ehemaligen Botschaft Australiens, die während der deutschen Teilung die Vertretung des Landes in der DDR war, umgesetzt. Das Gebäude befindet sich im Ortsteil Niederschönhausen, an der Grabbeallee 34.
Um die Vielzahl neuer diplomatischer Vertretungen in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren unterzubringen, gab der DDR-Ministerrat seinerzeit rund 140 vorfabrizierte Gebäude in Auftrag.
An der Grabbeallee soll ein neuer Bildungscampus entstehen
Australische Diplomaten nutzten das Gebäude in der Zeit von 1973 bis 1986. Der Mietvertrag wurde dann vom australischen Staat aufgelöst. Bis 1990 wurden alle diplomatischen Beziehungen mit den beiden deutschen Staaten von Warschau aus geregelt.
Der Humanistische Landesverband Berlin/Brandenburg hatte das Grundstück im Jahr 2019 erworben und beabsichtigt nun, eine Kindertagesstätte sowie eine Grundschule im Gebäude einzurichten. Gegenwärtig sind die Bauarbeiten unter Leitung des Architekturbüros Hinz im Gang, erste Teile des Projekts wurden bereits fertiggestellt.
„Ostmoderne“ als markanter Bestandteil des Berliner Stadtbilds
Diese Projekte sind nur ein Ausschnitt der Bauprojekte, die derzeit umgesetzt werden oder in den kommenden Jahren aufgenommen werden. Zahlreiche Gebäude warten noch immer darauf, modernisiert und neu genutzt zu werden.
Diese mitunter sehr aufwendigen Bauvorhaben zeigen, dass die Architektur der „Ostmoderne“ also auch weiterhin sichtbarer und markanter Bestandteil des Berliner Stadtbildes bleiben wird, wobei zahlreiche in den Nachkriegsjahrzehnten errichteten Gebäude künftig mit völlig neuen Nutzungskonzepten versehen werden.
EIN BUCH ÜBER DDR-ARCHITEKTUR KÖNNT IHR HIER BESTELLEN
Weitere Bilder zum Thema findet Ihr hier:
Weitere Gewerbeprojekte gibt es hier
Weitere Wohnprojekte sind hier zu finden
Weitere Bildungsprojekte sind hier zu finden
Quellen: Trockland, Schwingenstein Stiftung gGmbH, Diercks & Schönberger Architekten Partnerschaft mbB, ADOMUM Holzmarktstraße 66 GmbH, Bezirksamt Pankow, Berliner Morgenpost, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, Humanistischer Verband Deutschlands, Landesverband Berlin-Brandenburg KdöR, Humanistische Kindertagesstätte Grabbeallee, ostmodern.org
Weitere Artikel zu ähnlichen Themen findet Ihr hier:
Newsletter
Abo-Modell
Neue Artikel
9. November 2024
9. November 2024
9. November 2024
Als ich im Rundfunk arbeitete (1962-1970) waren wir stets der Ansicht, das Gebäude wäre einst eine Möbel- oder Holzfabrik gewesen – wegen der langen Gänge im Blick A. Und in der Nazizeit gebaut…. Sie schreiben der Bau ist aus den 50er Jahren, doch der Funk DDR, der nach Kriegsende in der Masurenallee arbeitete, war vor 1956 dort eingezogen… spätestens 1953 – die politische Lage war da bereits sehr angespannt u d die Stadt spürbar geteilt. Der RIAS sendete aus Westberlin. Oder irre ich mich?
[…] Erhalt statt Abriss: Neuer Umgang mit der Architektur der “Ostmoderne” […]
[…] Tuczek kritisiert den Berliner Senat und meint, der geplante Abriss würde ein einzigartiges Denkmal der “Ostmoderne” […]
[…] Tuczek kritisiert den Berliner Senat und meint, der geplante Abriss würde ein einzigartiges Denkmal der “Ostmoderne” […]