Das Berliner Verfassungsgericht macht den Weg frei für das Volksbegehren „Berlin autofrei“. Damit beginnt ein spannender politischer Streit um die Zukunft des Verkehrs innerhalb des S-Bahn-Rings. 170.000 Unterschriften werden benötigt, vier Monate Zeit haben die Initiatoren dafür Zeit – die heiße Phase des Volksbegehrens hat begonnen.

Ein Urteil mit Signalwirkung: Das Volksbegehren „Berlin autofrei“ ist zulässig und darf weiterverfolgt werden. Nun steht möglicherweise eine hitzige gesellschaftliche und politische Debatte bevor. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

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Im Plenarsaal des Berliner Kammergerichts am Kleistpark verkündete die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs am Mittwochvormittag das Urteil: Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens „Berlin autofrei“ seien erfüllt. Während die Vertreter der Initiative mit sichtlicher Erleichterung reagierten, zeigten sich Vertreter der Senatsverwaltung enttäuscht.

Dieser heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts ist bereits ein jahrelanger Anbahnungsprozess vorausgegangen, der schon Anfang April die Berliner Justiz beschäftigt hatte. Vor gut zwei Monaten hatte das Landesverfassungsgericht über die Zulässigkeit des Volksbegehrens zur weitgehenden Reduzierung des Pkw-Verkehrs innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings erstmals beraten.

Initiative „Berlin autofrei“ erringt Etappensieg vor dem Verfassungsgerichtshof

Die Aktivisten der Initiative „Berlin autofrei“ wollen mit ihrem Vorstoß eine Neugestaltung des öffentlichen Raums erreichen, begründet durch Klimaschutz, Verkehrssicherheit und mehr Lebensqualität. Der Berliner Senat hingegen äußerte rechtliche Bedenken, verwies auf das Bundesrecht und warnte vor tiefgreifenden Eingriffen in die individuelle Handlungsfreiheit sowie die Berufsausübung.

Im Mittelpunkt der mehrstündigen Anhörung stand im April noch die Frage, ob das Land Berlin überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für eine solche Maßnahme habe. Die Präsidentin des Gerichts betonte, dass es sich nicht um ein Urteil, sondern um eine erste rechtliche und gesellschaftliche Debatte handele.

Wie realistisch ist die vorgesehene Umsetzbarkeit des Vorhabens innerhalb von vier Jahren?

Kritisch wurde damals insbesondere die Umsetzbarkeit innerhalb von vier Jahren bewertet – sowohl in Bezug auf die Finanzierung als auch auf den notwendigen Ausbau des ÖPNV. Die Aktivisten argumentierten, Berlin müsse sich stärker an europäischen Vorbildern orientieren.

Strittig war vor allem, ob ein solches Gesetz mit Verfassung und Grundrechten vereinbar sei. Der heutige Mittwoch darf aus Sicht der Volksinitiative als wichtiger Etappensieg bewertet werden.  Mit dem Urteil (VerfGH 43/22) hat das Gericht vorerst nur entschieden, dass das Volksbegehren „Berlin autofrei“ formal zulässig ist.

Nächste Schritte möglich: Volksbegehren „Berlin autofrei“ ist zulässig

Damit kann die Initiative den nächsten Schritt im Verfahren zur Bürgerbeteiligung einleiten. Der Gesetzentwurf zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs innerhalb des S-Bahn-Rings sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so die Gerichtspräsidentin Ludgera Selting.

Das Gericht nannte mehrere Gründe für seine Entscheidung: Das Land Berlin sei zur Gesetzgebung befugt und könne bestehende straßenrechtliche Widmungen ändern. Ein Eingriff in Grundrechte liege nicht vor, da es keinen Anspruch auf dauerhafte Pkw-Nutzung öffentlicher Straßen gebe.

Gericht: Verhältnismäßigkeitsprinzip wird durch möglichen Volksentscheid nicht verletzt

Der Entwurf verfolge legitime Gemeinwohlziele wie Umwelt- und Gesundheitsschutz und verletze das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht. Auch wirtschaftliche Folgen für Betriebe und Bürgerinnen und Bürger überschritten nicht den gesetzgeberischen Spielraum, zumal Ausnahmen vorgesehen seien.

Mit dem Urteil ist der Weg frei für die nächste Phase des Verfahrens: Das Berliner Abgeordnetenhaus muss den Gesetzentwurf binnen vier Monaten beraten. Lehnt es ihn ab, kann die Initiative ein offizielles Volksbegehren starten.

Volksbegehren „Berlin autofrei“: Initiatoren brauchen 170.000 Unterschriften binnen vier Monaten

Dafür müssen innerhalb von vier Monaten rund 170.000 gültige Unterschriften gesammelt werden. Kommt das Begehren zustande, folgt ein Volksentscheid. Eine Mehrheit der Teilnehmenden sowie mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten müssten zustimmen, damit das Gesetz in Kraft tritt.

Die Initiative „Berlin autofrei“ zeigte sich, wenig überraschend, hocherfreut über das Urteil. Sprecherin Marie Wolf erklärte, man habe auf einen positiven Entscheid gehofft, dennoch sei die Erleichterung groß.

Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde: Gesetzentwurf nicht sinnvoll

Nach über drei Jahren Stillstand könne die Arbeit nun endlich weitergehen. Die Senatsinnenverwaltung äußerte sich hingegen nicht inhaltlich, kündigte aber die Einleitung der nächsten Verfahrensschritte an.

CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde sprach sich deutlich gegen das Vorhaben aus. Zwar seien die Auswirkungen verfassungsrechtlich vertretbar, doch hält sie sie politisch und praktisch für nicht sinnvoll. Auch Wirtschaftsverbände wie die UVB äußerten scharfe Kritik. Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp warnte vor massiven Problemen für Berufspendler, da der öffentliche Nahverkehr keine ausreichende Alternative biete.

Grüne und Linke skeptisch, Verein „Changing Cities“ begrüßt das Urteil

Kritik kam auch aus den Reihen der Berliner Grünen. Die Landesvorsitzenden befürchten eine gesellschaftliche Spaltung zwischen Innen- und Außenstadt. Die Linke unterstützt zwar das Ziel der Verkehrswende, verweist jedoch auf den hohen bürokratischen Aufwand und fordert schon heute Nachbesserungen am Gesetzentwurf.

Der Verein Changing Cities, der sich seit vielen Jahren für den Ausbau des Berliner Radwegenetzes einsetzt, begrüßte in einem offiziellen Statement hingegen die Entscheidung des Gerichts. „In Zeiten, wo Volksentscheide in der Hauptstadt zunehmend ignoriert werden – siehe das Mobilitätsgesetz, Tempelhofer Feld, Deutsche Wohnen und Co enteignen – ist das Urteil ein klares Bekenntnis zur Bürger*innenbeteiligung. Der Senat kann den Willen der Bürger*innen nicht einfach ignorieren. Jetzt können wir über die Inhalte streiten – und wir freuen uns auf eine spannende Debatte über die besten Wege zur Mobilitätswende„, sagt Ragnhild Sørensen.

Dass über die Inhalte des geplanten Volksentscheids in den kommenden Wochen und Monaten weiter gestritten wird, ist absehbar. Für die Initiatoren des Vorhabens hat spätestens heute die heiße Phase begonnen.

Die Berliner Initiative „Berlin autofrei“ hat einen juristischen Etappensieg errungen. Doch die Umsetzung bleibt eine Herausforderung – sowohl politisch als auch praktisch. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Vorbild für die gesamte Berliner Innenstadt? Der autofrei gestaltete Lausitzer Platz in Kreuzberg. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Quellen: Berliner Morgenpost, Initiative Volksentscheid Berlin autofrei, Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, UVB, Changing Cities e.V.

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One Comment

  1. A.Tirpitz 26. Juni 2025 at 12:50 - Reply

    Ha, so etwas auf den Weg bringen wollen, was ja völlig seine Berechtigung hat….aber dann gleichzeitig den Widerstand gegen eine TVO zelebrieren…

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