Im Stadtteil Prenzlauer Berg prägt historisches Kopfsteinpflaster noch immer das Straßenbild. Doch zwischen ästhetischem Erbe und modernen Mobilitätsansprüchen wächst der Druck, praktikable Lösungen für den Radverkehr zu finden. Ein Pilotprojekt aus Tempelhof-Schöneberg liefert nun Argumente für einen Kompromiss.

Gneiststraße in Prenzlauer Berg: Das historische Kopfsteinpflaster, ist ästhetisches Markenzeichen und zugleich eine Herausforderung für Radverkehr und Lärmschutz diskutiert wird. / © Foto: Wikimedia Commons, Tino Kotte @ Schönhauser Höfe, CC BY-SA 3.0

© Titelbild: ENTWICKLUNGSSTADT

 

Auch Jahrzehnte nach der Sanierungswelle der 1990er-Jahre sind ganze Straßenzüge im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg mit grob behauenen Natursteinen gepflastert. Besonders markant zeigt sich dies in Straßen wie der Gneiststraße, der Rykestraße, der Christburger Straße oder der Marienstraße, wo Fassaden aus rotem Backstein und das unebene Straßenbett eine optische Einheit bilden.

Denkmalpfleger und Denkmalpflegerinnen betonen in Gesprächen, dass Pflaster sei Teil des Milieuschutzes und damit ein identitätsstiftendes Merkmal des Quartiers. Im Denkmalschutzkonzept des Bezirks, die ursprüngliche Straßenoberfläche vermittle ein „authentisches Bild des gründerzeitlichen Straßenraums“ und solle möglichst erhalten bleiben.

Schön anzusehen, aber uneben: Warum Radfahrende die Fahrbahn meiden und auf den Gehweg ausweichen

Das Kopfsteinpflaster ist zwar optisch ansprechend, weist aber Unebenheiten und Rillen auf, die Radfahrenden zu schaffen machen. Die Steine wirken sich nicht nur auf das Fahrgefühl aus. Schmale Reifen geraten auch leicht in die Fugen und bei Nässe steigt die Rutschgefahr.

Fahrradfahrer berichten, dass sie zur eigenen Sicherheit auf den Gehweg ausweichen. Das mindert das Sturzrisiko, verursacht jedoch Spannungen, weil dieser Raum eigentlich den Fußgängerinnen und Fußgängern vorbehalten sein soll. Insbesondere in den letzten Jahren wird das, aufgrund der steigenden Zahlen an Fahrradfahrenden, vermehrt zum Problem.

Konfliktzone Gehweg: Wenn Fahrräder, Kinderwagen und mobilitätseingeschränkte Personen um Platz ringen

Die Verlagerung des Radverkehrs auf den Bürgersteig führt zu Problemen insbesondere für Kinder und Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Sie müssen damit rechnen, dass Fahrräder unvermittelt auftauchen oder ins Schlingern geraten.

Anwohnende schildern, dass die Grenze zwischen Fahrbahn und Fußweg zunehmend verschwimmt. Eine klare Trennung der Verkehrsarten gelingt unter den aktuellen Bedingungen kaum, weil der Fahrkomfort auf dem Pflaster als unzureichend wahrgenommen wird.

Mehr Dezibel im Kiez: Wie rollender Lieferverkehr das Geräuschniveau in Straßen erhöht

Neben den Sicherheitsaspekten rückt aber auch die Lärmbelastung in den Fokus, die durch den historischen Straßenbelag verursacht wird. Autos und Lieferfahrzeuge rollen von früh morgens bis spät abends über die holprigen Steine, was Stöße und Vibrationen erzeugt.

Anwohner berichten, dass sich der Schall in den Straßen verstärkt. Außerdem sind die Altbauten, insbesondere deren Fenster, meist nicht schalldicht. Das historische Pflaster wird daher trotz seines ästhetischen Wertes als akustische Belastung wahrgenommen.

Pilotprojekt Priesterweg: 1.200 Quadratmeter gefräst und ein entscheidender Lückenschluss für die Nord-Süd-Radroute

Ein Lösungsvorschlag könnte das Abschleifen der Pflastersteine sein. Die Kanten sollen geglättet und die Oberfläche leicht nivelliert werden, ohne den Naturstein zu entfernen. Vorbilder dafür gibt es bereits.

Tempelhof-Schöneberg testete das Verfahren: Am Priesterweg wurden im März 2025 auf 250 Metern Länge rund 1 200 Quadratmeter Kopfsteinpflaster abgefräst, um die Fahrbahn für den Radverkehr zu glätten.

Fräsung des Natursteinpflasters als kostensparende Variante?

Laut Bezirksstadträtin Dr. Mara Ellenbeck handelte es sich um den fehlenden Lückenschluss der vielgenutzten Nord-Süd-Route zwischen Südkreuz und dem Berliner Südwesten. Sie erklärte, eine ursprünglich geplante Asphaltierung hätte zusätzliche Entwässerungsbauten erfordert, höhere Kosten verursacht und den Zielen einer nachhaltigen Stadtgestaltung widersprochen.

Stattdessen sei das Pflaster an Ort und Stelle gefräst worden; das Regenwasser könne weiterhin versickern, während der Fahrkomfort merklich gestiegen sei. Am 11. April 2025 stellte der Bezirk die Ergebnisse Fachleuten aus Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft vor.

Neben dem angenehmeren Rollgeräusch bestätigten sie, dass die historische Optik erhalten blieb und die Maßnahme eine günstige Kosten-Nutzen-Bilanz aufweist. Vorausgegangen waren Forschungen an der Technischen Hochschule Wildau, die das Verfahren als geeignete Option für denkmalgeschützte Pflasterflächen empfiehlt.

Umweltfreundlich und denkmalgerecht: Warum geschliffenes Kopfsteinpflaster eine nachhaltige Alternative zum Asphalt darstellt

Naturstein gilt als langlebiger und ökologischer als Asphalt, weil er seltener erneuert werden muss und Niederschlagswasser besser versickern lässt. Durch das Schleifen bleiben diese Vorteile bestehen, während Barriere- und Lärmschutz profitieren. Zudem wird das historische Erscheinungsbild gewahrt. So lassen sich Denkmalschutz und moderne Mobilitätsansprüche miteinander vereinbaren, ohne dass der Kiez seinen Charakter verliert.

Ein weiteres Beispiel für eine ähnliche Umsetzung findet sich ebenfalls im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, in der Wohnanlage „Am Lokdepot„, zwischen Potsdamer Platz und Südkreuz gelegen. Auch dort wurde das historische Kopfsteinpflaster an einigen Stellen so geglättet, dass Fahrradfahrer komfortabel darüber fahren können.

Priesterweg, Tempelhof-Schöneberg: Auf 250 Metern dient das geschliffene Kopfsteinpflaster als Pilotstrecke für leisere, radfreundliche Natursteinwege. / © Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT

Gewohntes Bild in Prenzlauer Berg: Viele Straßenzüge sind mit Kopfsteinpflaster versehen – was es für Fahrradfahrer und Fahrradfahrerinnen nicht einfach macht, auf der Straße zu fahren, vor allem bei Nässe. / © Foto: Wikimedia Commons

Auch außerhalb von Prenzlauer Berg ein Thema: Fulda- und Parallelstraßen im Donaukiez – Kopfsteinpflaster und dichter Radverkehr treffen aufeinander. Weil die benachbarten Fahrradstraßen Weserstraße und Weigandufer stark frequentiert sind, queren viele Radfahrende hier die Straße und weichen dabei oft auf die schmalen, belebten Gehwege aus. / © Foto Wikimedia Commons, Nicor, Tabsnic, CC BY-SA 3.0

Wohnquartier „Am Lokdepot“ in Berlin-Schöneberg: Auch hier wurde das historische Kopfsteinpflaster geglättet, damit Radfahrende den Belag komfortabler nutzen können. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Quellen: Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg

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One Comment

  1. Max 6. Juni 2025 at 10:06 - Reply

    Man muss nicht mal die ganze Straße fräsen, Spuren für die Radfahrer reichen.

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