Wie sieht eine Stadt aus, die den Alltag aller Menschen gleichermaßen berücksichtigt? Gendergerechte Stadtplanung verfolgt genau diese Frage – und steht zunehmend im Fokus stadtpolitischer Debatten. In Berlin wurde das Thema beim Symposium „Frauengerechte Stadtplanung“ breit diskutiert. Auch andere europäische Städte liefern bereits erprobte Ansätze.

Dunkle Unterführungen wie an der Greifswalder Straße gelten als Angsträume – sie stehen beispielhaft für eine Stadtplanung, die die Bedürfnisse von Kindern, Frauen oder Menschen mit Einschränkungen zu wenig berücksichtigt. / © Foto: Wikimedia Commons, Geoprofi Lars, CC BY-SA 4.0

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Städte werden geplant, gebaut und genutzt – aber nicht von allen Menschen gleich. Geschlechtsspezifische Unterschiede prägen den Alltag: Frauen legen im Schnitt andere Wege zurück als Männer, sind häufiger zu Fuß oder mit dem ÖPNV unterwegs, leisten mehr Sorgearbeit und erleben öffentliche Räume oft unsicherer, wie die Stadtplanerin Christin Noack gegenüber der GESOBAU erläutert. Gendergerechte Stadtplanung will diese Lebensrealitäten berücksichtigen.

Bereits in den 1980er-Jahren entstanden erste Konzepte. Ziel ist eine Stadt für alle – mit übersichtlichen Wegen, guter Beleuchtung, sicheren öffentlichen Plätzen und vielfältigen Nutzungsangeboten. Heute gilt Wien als Vorreiter: Die Stadt hat in den vergangenen Jahrzehnten gezielt Parks, Spielplätze und Quartiere umgestaltet, um mehr Teilhabe und Sicherheit für Frauen und andere Gruppen zu schaffen.

Städte sind nicht neutral: Warum Gender Planning gebraucht wird und als Gemeinschaftsaufgabe gilt

Am 27. November 2024 veranstaltete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gemeinsam mit urban.policy ein Symposium zur „Frauengerechten Stadtplanung“. Rund 60 Fachleute aus Politik, Verwaltung und Planung diskutierten konkrete Ansätze und Herausforderungen für eine geschlechtergerechte Gestaltung Berlins.

Dabei wurde deutlich: Es mangelt nicht an Ideen oder Beispielen, sondern an systematischer Umsetzung. Berliner Projekte wie der Maxplatz, das RuT-Wohnprojekt oder die Frauensporthalle Marzahn zeigen, wie gendergerechtes Bauen funktionieren kann. Doch sie bleiben oft Insellösungen. Die Teilnehmenden fordern eine zentral gesteuerte Strategie, um die vielfältigen Ansätze in der Breite zu verankern.

Vom Angstraum zum Begegnungsort: Best-Practice-Projekte aus Reinickendorf und Mitte

Wie Gender Planning konkret aussehen kann, zeigt etwa der umgestaltete Letteplatz in Berlin-Reinickendorf. Durch einen partizipativen Prozess entstand hier ein Platz mit vielfältigen Sport- und Freizeitangeboten, ausreichend Beleuchtung und barrierefreien Wegen. Heute wird er von allen Altersgruppen genutzt – ein Gewinn für Sicherheit und Nachbarschaft, so GESOBAU.

Auch der Maxplatz in Berlin-Mitte gilt als Vorzeigeprojekt: Hochbeete, Spiel- und Sportflächen sowie Aufenthaltsmöglichkeiten für ältere Menschen schaffen Raum für unterschiedliche Bedürfnisse. Weitere Beispiele – etwa die gendergerechten Innenhöfe der GESOBAU – zeigen, wie Stadtentwicklung inklusiver gestaltet werden kann.

15-Minuten-Stadt und autoarme Quartiere: Neue Ansätze für alte Fragen am Beispiel von Wien und Paris

Ein Ansatz, der derzeit international diskutiert wird, ist die „15-Minuten-Stadt“: Alle wichtigen Alltagsorte – Kita, Supermarkt, Ärztin – sollen in fußläufiger Nähe liegen. Das würde insbesondere Menschen entlasten, die komplexe Wegeketten zurücklegen – etwa Frauen mit Sorgeverantwortung. In Paris wird das Konzept bereits erprobt. Auch Wien geht mit der Seestadt Aspern, einem autoarmen Stadtteil, neue Wege.

In Berlin gibt es ebenfalls Potenzial: Die Stadt verfügt über ein dichtes ÖPNV-Netz, breite Straßen und lebendige Kieze. Trotzdem zeigen sich in der Planung noch Defizite. Stadtforscherin Christiane Droste betont gegenüber rbb 24, dass eine gerechte Stadtplanung die soziale Frage des Wohnens ebenso wie die Klimafolgen für unterschiedliche Gruppen berücksichtigen muss.

Wenn Planung auf Realität trifft: Zielkonflikte in der gendergerechten Stadt

Gendergerechte Stadtplanung stößt jedoch nicht nur auf Zustimmung. Sobald bestehende Strukturen verändert werden, etwa Parkplätze entfallen oder Fahrspuren für Radwege umgenutzt werden, entstehen Zielkonflikte. Öffentliche Räume sind begrenzt – wer ihnen eine neue Nutzung zuweist, nimmt anderen etwas weg. Zwischen individuellen Interessen und dem Gemeinwohl muss dabei immer wieder neu abgewogen werden.

Auch wenn Gender Planning kein neues Konzept ist, sorgt es oft für Missverständnisse. Bereits in den 1980er-Jahren kritisierten feministische Stadtforscherinnen, dass die Stadtentwicklung vor allem männlich geprägt sei – etwa durch die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Versorgung. Sie forderten eine Planung, die an den Alltag aller Menschen anknüpft. Heute wird das Konzept erweitert gedacht: Es bezieht neben Geschlecht auch Alter, Herkunft, Mobilität oder Sorgearbeit mit ein – und will so die Stadt gerechter für alle machen.

Quellen: urban.policy, deutschlandfunk, GESOBAU, hallonachbar.berlin, rbb 24, Berliner Morgenpost