Technik, Kulinarik und gesellschaftliche Vision: Das ikonische Haus Vaterland am Potsdamer Platz war mehr als ein Vergnügungstempel – es war ein Symbol moderner Unterhaltungskultur. Aber wie funktionierte das Entertainment-Ensemble logistisch? Eine faszinierende Reise hinter die Kulissen eines der spektakulärsten Großbetriebe der Weimarer Republik.

Das große Leuchten: Als Sinnbild technischer Innovation und massenkompatibler Unterhaltung war das Haus Vaterland ein Meilenstein urbaner Erlebnisarchitektur im Berlin der Zwischenkriegszeit. / © Foto: Wikimedia Commons

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Die ganze Vielfalt an Restaurants, Varietés, Tanzveranstaltungen, Kinovorführungen und dem hinter den Kulissen immens betriebenen Aufwand mit der Zentralküche, den Sicherheits- und technischen Einrichtungen wäre nicht möglich gewesen, wenn sich das Haus Vaterland nicht von Anfang an der technischen Moderne verschrieben hätte.

Der sich zwischen den beiden Weltkriegen entwickelnde technische Fortschritt war im Haus Vaterland jederzeit spürbar und war auch eine der Grundvoraussetzungen für das erfolgreiche Gelingen des Hauses. Das begann mit der Fassadengestaltung und den durch die Elektrizität möglich gemachten unterschiedlichen Beleuchtungsarten, sowohl im Außenbereich als auch innerhalb des Gebäudes.

Dieser Glanz und die Helligkeit bewirkten auch einen zusätzlichen Anreiz für die Besucher – nicht verwunderlich bei der von tausenden Glühbirnen erzeugten Strahlkraft. Die Elektrifizierung Deutschlands und vor allem Berlins als Reichshauptstadt hatte gegen Ende der 1880er-Jahre begonnen, und das Haus Vaterland setzte diesen gewaltigen Vorteil der „Lichtüberflutung“ geschickt ein, um den Besuchern die Architektur des Gebäudes – vor allem die Innenausstattung – buchstäblich im hellen Lichterglanz nahezubringen und sie dafür zu begeistern.

Das Haus Vaterland: Technik hinter der Showfassade

Um die im Haus Vaterland dargebotenen vielfältigen und permanent sich ändernden Attraktionen mit unterschiedlichen Orchestern, Artistik- und Tanzeinlagen, Tanzveranstaltungen im Palmensaal und den differierenden „Welten“ in den einzelnen Restaurants technisch absichern zu können, bedurfte es einer fein aufeinander abgestimmten Haustechnik für die Steuerung und Zurverfügungstellung der unterschiedlichsten Medien.

Das alles passierte hinter der glitzernden Fassade des Show-Business, analog einem architektonisch bewusst konzipierten Hotelneubau der Superlative, mit einem klar abgegrenzten Gästebereich und dem Funktionsbereich, in dem dann rational der Sichtbeton dominierte. Diese differenziert ausgeklügelte Haustechnik sorgte also dafür, dass technisch all das bewerkstelligt werden konnte, was zum jeweiligen Zeitpunkt für das bevorstehende Event benötigt wurde.

Im Gebäude waren 20 Aufzüge installiert, Transformatoren sorgten für eine ausreichende Stromversorgung, eine Frischluftanlage produzierte 100.000 Kubikmeter Frischluft pro Stunde und sorgte damit für eine ausreichende Zirkulation im Haus. Dazu kam eine hauseigene Müllverbrennungsanlage, sodass man angesichts der technischen Möglichkeiten im Haus Vaterland von einer hinter den Kulissen produzierenden Fabrik sprechen konnte.

Berlins Amusement-Tempel am Potsdamer Platz: Gigantische Zentralküche als Herzstück

Europas größte Zentralküche Vergleicht man das erstaunlich perfekt umgesetzte Konzept des Hauses Vaterland mit einem gut organisierten Hotel, dann sind bei der Bewertung eines Hotels zwei Faktoren entscheidend – zum einen die Qualität der Betten, die für einen ausreichenden Schlafkomfort sorgen, und zum zweiten die Küche, die bei der angebotenen Speisenauswahl den Kunden in jeder Hinsicht zufriedenstellt.

Die im Haus Vaterland während der Umgestaltung neu installierte Großküche war zur damaligen Zeit eine der größten Küchen Europas, und Experten beschrieben die Gaskochanlage als die größte der Welt. Alle Restaurants wurden von dieser Zentralküche aus beliefert; die Bestellungen aus den einzelnen Etablissements wurden über eine Rohrpostanlage in das Obergeschoss des Hauses geschickt, in dem die Großküche untergebracht war.

Die fertig angerichteten Speisen wurden über eine Paternosteranlage in die jeweiligen Restaurants geliefert; das gebrauchte Geschirr gelangte dann über einen eigens dafür vorgesehenen Aufzug in die Großküche zurück, wo es über Laufbänder zu den Spülmaschinen gelangte. Aber das theoretische Konzept ließ sich praktisch so einfach nicht umsetzen.

Haus Vaterland in der Weimarer Republik: Herausforderungen in der Ablauforganisation

Aufgrund der Menge an Bestellungen waren die Aufzüge bei der Planung zu klein bemessen, sodass zu viel Zeit verstrich, bevor die Gäste ihr Essen bekamen, das zudem dann meist kalt war. Die Qualität des Essens litt also unter diesen Umständen, und um diesen Missstand zu beseitigen, mussten die Kellner – zirka 150 – zwischenzeitlich auf Nebentreppen zwischen den Restaurants und der Großküche im Obergeschoss pendeln, um den Service einigermaßen zufriedenstellend aufrechtzuerhalten.

Da dieser Zustand nicht auf Dauer haltbar war, wurden im Nachhinein in den großen Restaurants sogenannte Pantrys – kleine Serviceküchen – nachgerüstet. Der Aufwand, der in dieser Großküche zur Absicherung des kulinarischen Angebots geleistet wurde, war enorm. Quellenangaben zufolge sollen bis zu 2.000 Küchen- und Servicekräfte für eine leistungsfähige Abwicklung gesorgt haben.

Kulinarik zwischen Illusion und Pragmatismus

In den großen Restaurants mit ihren unterschiedlichen Küchen sollen 80 Köche und 120 Hilfsköche angestellt gewesen sein, um die vielfältigen Anforderungen zu erfüllen. Kulinarik im Haus Vaterland Die großen Mengen an Besuchern und Gästen verlangten nach einer rationalen und leistungsgemäß arbeitenden Küche. Der Betreiber des Hauses, die Familie Kempinski, hatte darin jahrzehntelange Erfahrungen, speziell bei der gastronomischen Versorgung von Massenveranstaltungen.

Im Haus Vaterland bedeutete das allerdings einen relativ großen Spagat zwischen den Angeboten für besser und weniger Betuchte. Das Speisen- und Getränkeangebot für mehr oder weniger alle Schichten der Gäste war auch ein generelles Konzept seitens Kempinski, denn damit bestand die Chance, hohe Umsätze zu generieren.

Exotik auf der Karte, deutsch-ungarisch auf dem Teller

Und so konnte man auswählen zwischen preiswerten Gerichten wie Würstchen mit Kartoffelsalat, aber auch höherpreisigen Angeboten wie Kaviar oder Austern. Obwohl die Speisekarte mit exotischen Gerichten warb, blieb die Küche doch eine überwiegend deutsche oder bayerische beziehungsweise österreichisch-ungarische. Für diejenigen Köche und Hilfskräfte, die diese Speisen in der Großküche zubereiten mussten, war dies vom Produktionsablauf her leichter.

Ähnlich wie hinter den Kulissen des Business umgarnte man die Gäste mit „fremdartigen“ Speiseangeboten, was nicht immer mit den jeweiligen landestypischen Essgewohnheiten übereinstimmte. Und so war das Angebot insgesamt vergleichbar mit einem mitteleuropäisch-deutschen Geschmacksempfinden.

Kulinarische Highlights im Zentrum Berlins: Markenbildung mit Haussekt und Millionenumsätzen

Vermutlich war es für eine Vielzahl der Besucher schon exotisch genug, wenn auf den Speisezetteln ausländische Rezepte angeboten wurden, die zumindest eine Illusion der jeweiligen Länder hervorriefen. Beim Getränkesortiment in den einzelnen Bars bot man aber schon die landestypischen Spirituosen an – wahrscheinlich waren die Gäste beim Trinken etwas risikobereiter.

Insgesamt war angesichts der hohen Gästezahlen im Haus Vaterland der Umsatz in den Restaurants und Bars hoch, und so konnte Kempinski es sich auch leisten, eine Eigenmarke zu kreieren. Dafür ließ man einen speziellen Sekt mit dem Namen „Haus Vaterland“ und einem dazu passenden Etikett abfüllen, der zu einem Verkaufsschlager im Haus avancierte.

Bei den Getränken belief sich der Bierkonsum in den ersten zehn Jahren auf fünf Millionen Liter, beim Wein gingen dreieinhalb Millionen Flaschen über die Theke, und beim Speisenverzehr war der Kartoffelverbrauch mit vier Millionen Kilogramm Spitzenreiter – vor dem Fleischverzehr mit zwei Millionen Kilogramm.

Haus Vaterland: Gästestrukturen und soziale Zielgruppen

Beim Dessert schlug der Kuchenverzehr mit eineinhalb Millionen Stück zu Buche. Besucher und Gäste des Hauses Die Betreiber des Großbetriebes, das Unternehmen Kempinski, gaben immer zum Besten, dass im Haus Vaterland alle Bevölkerungsschichten ein und aus gingen. Beim genaueren Hinschauen musste man aber feststellen, dass die Arbeiterschicht dort höchst selten vertreten war.

Den größten Anteil der Gäste stellten die Angestellten, was auch mit der zunehmenden Industrialisierung zusammenhing. Neben der Arbeiterschaft, die primär mit ihrer Arbeit per Hand dafür sorgte, dass die Schornsteine qualmten und die Fabriken hohe Produktionsausstöße verzeichneten, siedelten sich parallel um diese Industrieareale Servicebetriebe an – mit Geschäften, Büros, Handel und Gewerbe.

Die Angestellten als Hauptklientel

Der Anteil der Angestellten erhöhte sich bis 1925 innerhalb eines Zeitraums von gut 30 Jahren auf dreieinhalb Millionen Menschen, davon waren im Deutschen Reich zirka 35 Prozent weiblich. Angestellte im Fokus Die Gruppe der Angestellten war speziell in den Großstädten stark vertreten; für Berlin galt das ganz besonders. In der Weimarer Republik waren die Angestellten sozusagen die klassischen Vertreter einer „konsumorientierten Freizeitkultur“.

Und die Berliner Unterhaltungs- und Tanzlokale reagierten auf diese sozialen Unterschiede zwischen der Freizeitgestaltung der Arbeiterschicht und der Angestellten. Die Angestellten, die sich als Teil des Bürgertums verstanden, aber bei weitem nicht über deren finanzielle Möglichkeiten verfügten, waren bereit, für den Genuss von Luxus, so wie ihn das Vaterland anbot, ihr Geld auszugeben – auch wenn sie oft nicht wesentlich mehr verdienten als die Arbeiter in den Fabriken.

Illusion von Status und neue Rollenbilder

Das im Haus Vaterland aufwendig gestaltete Interieur vermittelte den Gästen, in der Mehrzahl also den Angestellten, zumindest die Illusion eines besseren sozialen Status. Konzeptionell war das Haus Vaterland auf diese Klientel – auch aufgrund des hohen Anteils an Gästen – ausgerichtet. Kempinski als Vorreiter für Kinderbetreuung Darüber hinaus entwickelte das Unternehmen Kempinski für damalige Verhältnisse moderne Konzepte, um den Frauen und Müttern einen größeren Raum an Emanzipation einzuräumen.

Wie bereits erwähnt, lag der Anteil der im Deutschen Reich beschäftigten Frauen bei über dreißig Prozent – ein volkswirtschaftlich nicht zu unterschätzender Faktor. Die im „Grinzing“ angebotene Möglichkeit der Kinderbetreuung war somit ein Vorgriff auf die in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland in den Konsumtempeln eingerichteten Angebote zur „Kinderaufbewahrung“.

Tourismus, Werbung und Netzwerke

Damit wurde auch deutlich, dass sich die Rolle der Frauen zu wandeln begann und zu einem selbständigen Konsumfaktor wurde. Anziehungspunkt für Touristen Schließlich darf man den Anteil der Touristen, die im Haus Vaterland einkehrten, nicht unterschätzen, denn allein die Nähe zum Bahnhof Potsdamer Platz, dem ältesten Bahnhof Berlins überhaupt, die zentrale Lage des Potsdamer Platzes und dessen Sogwirkung bedingten das Interesse der Touristen an diesem pulsierenden Epizentrum des Berliner Nachtlebens. Die Gästezahlen im Haus wuchsen speziell in den Zeiträumen an, in denen große Messen stattfanden.

Und was suchten diese Messebesucher speziell in den Abend- und Nachtstunden in der Reichshauptstadt? – Das Amüsement, Tanz, Unterhaltung und Spaß! In Werbebroschüren des Hauses wies man ganz gezielt darauf hin, den Gästen zu suggerieren, dass ein Berlin-Besuch unvollständig wäre, wenn man nicht das Haus Vaterland besucht hätte. Das zielte natürlich auch gezielt auf Geschäftsleute ab, bei denen man auch ein dementsprechendes „Spesenbudget“ voraussetzte.

Empfehlung durch Portiers als Erfolgsmodell

Beziehungsnetzwerk in Berlin Um diesen Besucherstrom ständig sicherzustellen, verstand es das Management des Hauses geschickt, ein Netzwerk zu den Portiers der großen Hotels aufzubauen. Denn diese Portiers waren es, die von den Gästen gefragt wurden, wo man sich denn des Abends in Berlin amüsieren könne – und die Portiers verwiesen dann ganz selbstverständlich auf das Haus Vaterland. Die Pflege dieses Beziehungsnetzwerkes seitens des Managements ging so weit, dass ein Berliner Hotelportier immer auf Kosten des Hauses essen und trinken durfte.

Ging das einmal schief und der Portier hatte versehentlich die Rechnung doch selbst beglichen, wurde ihm der Betrag zurückgezahlt. Eine sehr weise Entscheidung des Hauses – angesichts der Tatsache, dass es damals noch kein Internet gab.

Darüber hinaus war die kulturelle Leitung des Hauses immer an der Umsetzung neuer Ideen beim Unterhaltungsprogramm bemüht. Den Gästen musste Attraktivität geboten werden, denn der Vorwurf, althergebrachte Vorführungen, die schon Grünspan angesetzt hatten, würde schnell die Runde machen. Die hohen Besucherzahlen an Touristen und Berlinern sprechen dafür wohl eine eindeutige Sprache.

Fortsetzung folgt…

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Quellen: Vanessa Conze „Haus Vaterland“, Verlag Elsengold, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum