Berlins Stadtlandschaft befindet sich im Umbruch: Kiezblocks, Fahrradstraßen und autofreie Zonen verändern das Gesicht ganzer Kieze. Die Mobilitätswende schafft neue Qualitäten, stößt aber auch auf Kritik – etwa von Anwohnenden, Gewerbetreibenden und Rettungskräften. Der öffentliche Stadtraum allerdings zeigt sich längst deutlich gewandelt – unsere Fotostrecke zum Thema.

Wer den Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg besucht, sieht vor allem, dass sich auf den engen Straßen Fußgänger mit kleinen Kindern und Fahrradfahrer ohne Verkehrskonflikte über den Platz bewegen können, Durchfahrtsverkehr von Autos oder größeren Fahrzeugen gibt es hier kaum. Doch mit dem Verkehrskonzept sind längst nicht alle Anwohner zufrieden. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

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Die Stadtlandschaft Berlins befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Immer häufiger wird der öffentliche Raum neu verteilt – zugunsten des Fuß- und Radverkehrs und häufig zulasten des motorisierten Individualverkehrs.

Mit der Einführung von Kiezblocks, dem Ausbau geschützter Radwege und der Einrichtung von Fahrradstraßen verändert sich das städtebauliche Bild zahlreicher Berliner Quartiere sichtbar. Projekte wie „Xhain beruhigt sich“ in Friedrichshain-Kreuzberg stehen exemplarisch für eine Mobilitätswende auf lokaler Ebene, die über verkehrspolitische Maßnahmen hinaus auch die Gestaltung der Stadträume beeinflusst.

Autofreie Zonen und temporäre Durchfahrtssperren: Berlins Stadtlandschaft im tiefgreifenden Wandel

Autofreie Zonen und temporäre Durchfahrtssperren, wie sie am Lausitzer Platz bzw. im gesamten Graefekiez umgesetzt wurden und werden, tragen zur Verkehrsberuhigung und damit zur Aufwertung des öffentlichen Raums bei.

Gleichzeitig entstehen neue städtische Qualitäten, etwa durch die Umwandlung vormals reiner Verkehrsflächen in Aufenthaltsräume mit Sitzgelegenheiten und Begrünung. Fahrradstraßen wie in der Tucholskystraße (Mitte), der Wedekindstraße (Friedrichshain), der Elbe- und Weserstraße (Neukölln) oder der Fasanenstraße (Charlottenburg) verdeutlichen, wie unterschiedlich diese Transformation in den einzelnen Kiezen umgesetzt wird – und doch einem gemeinsamen Ziel folgt.

Graue Asphaltachsen werden durch grünere, verkehrsberuhigte Straßenzüge ersetzt

Das klassische Berliner Stadtbild, geprägt von grauen Asphaltachsen und parkenden Autos, wird sukzessive um neue, vielfach grünere und menschenfreundlichere Komponenten ergänzt. Damit verändert sich nicht nur die Art der Fortbewegung, sondern auch das Erleben und Aneignen des Stadtraums.

Gleichzeitig aber bleiben die baulichen Veränderungen nicht ohne Kontroversen, wie etwa das Beispiel des geplanten Umbaus der Kantstraße in Charlottenburg zeigt. Zahlreiche Maßnahmen stoßen auf Widerstand – insbesondere bei Anwohnerinnen und Anwohnern, die Einschränkungen beim Parkraum oder veränderte Verkehrsführungen als Eingriffe in ihre gewohnte Mobilität empfinden.

Anwohner und Gewerbetreibende äußern Bedenken gegen umfassenden Umbau der Berliner Wohnkieze

Auch Gewerbetreibende äußern teils Bedenken, etwa durch Erreichbarkeitsprobleme für Kunden oder Lieferdienste. Die Umwandlung klassischer Verkehrsachsen in Fahrradstraßen oder autofreie Bereiche wird von Kritikerinnen und Kritikern als einseitige Bevorzugung bestimmter Verkehrsteilnehmer bewertet.

Auch Polizei und Feuerwehr äußern regelmäßig Bedenken und kritisieren, dass durch versperrte Zufahrten oder falsch abgestellte Fahrräder auf neuen Radwegen mitunter wichtige Rettungswege beeinträchtigt werden.

Emotionale Debatten: Polizei und Feuerwehr mahnen fehlende Rettungswege an

In vielen Kiezen – etwa im Graefekiez oder rund um den Lausitzer Platz – kam es zu emotional geführten Debatten, Bürgerbegehren und Protestaktionen. Diese Konflikte machen deutlich, dass eine nachhaltige und gerechte Stadtentwicklung nicht nur bauliche, sondern auch kommunikative und soziale Herausforderungen mit sich bringt.

Der Berliner Senat verfolgt derweil offenbar eine neue Strategie. Die Senatsverwaltung für Verkehr hat überraschend die Finanzierung von Kiezblocks in der gesamten Stadt eingestellt. Betroffen ist insbesondere ein Modellprojekt im Bezirk Mitte. Die Entscheidung stößt auf breite Kritik – sowohl innerhalb der Regierungskoalition als auch bei Anwohnenden und Verbänden.

Klimafreundlich und lebenswert? Diskussion um Neugestaltung der Berliner Kieze ist weiterhin im Gang

Der Umbau Berlins zur lebenswerteren, klimafreundlicheren Stadt ist in vollem Gange – sichtbar, spürbar und zunehmend unumkehrbar. Doch die Diskussion darüber, welches das passende Gleichgewicht zwischen Flächen für den Autoverkehr und verkehrsberuhigtem Stadtraum ist, ist längst nicht abgeschlossen – und wird es so schnell wohl auch nicht sein.

© Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

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Wilmersdorf: Zwischen Lietzenburger Straße und Hohenzollerndamm ist die Fasanenstraße auf einer Länge von 550 Metern in eine Fahrradstraße umgewandelt worden. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Die Tucholskystraße wurde zur Fahrradstraße – doch nicht alle sind damit einverstanden. Ein juristischer Streit wurde kürzlich zu Gunsten des Bezirks Mitte entschieden. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

In der Kreuzberger Böckhstraße wurden bestehende Parkplätze entsiegelt und zu Grünflächen umgewandelt. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

An der Muskauerstraße in Kreuzberg wurden in den letzten Jahren bereits einige Vorhaben zur Beruhigung umgesetzt, weitere sollen folgen. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Kinzigstraße, Ecke Scharnweberstraße in Friedrichshain: Hier befinden sich zur Verkehrsberuhigung nahe der Jane-Goodall-Grundschule neu installierte Poller. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

So sehen die Markierungen auf der Ober- und Niederwallstraße in Berlin-Mitte aus. Hier hat der Fahrradverkehr mittlerweile Vorfahrt. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Berlin-Wedding: Am Sparrplatz verhindern Modalfilter den Durchgangsverkehr, während Rettungsfahrzeuge und die Müllabfuhr die Fahrradstraße weiterhin passieren können. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Nach langen Jahren der Planung wurden die neuen Radwege auf der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg fertiggestellt. Für den Autoverkehr ist dadurch eine Fahrspur entfallen, mehr Platz haben dafür die Fahrradfahrer und Fußgänger. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Die Linienstraße in Berlin-Mitte war eine der ersten Straßen, die in eine Fahrradstraße umgewandelt wurde. Die Straße wird von Radfahrenden stark frequentiert. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Das Radbahn-Projekt hat gezeigt, wie Kreuzberg seine Verkehrsflächen neu denken könnte: Mit einem Testlauf unter der U1 wurden innovative Ansätze für die Umgestaltung der Stadt diskutiert – und ein Blick in die mögliche Zukunft der Verkehrsplanung geworfen. / © Foto: Reallabor Radbahn UG

Quellen: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Architektur Urbanistik Berlin, Deutsches Architektur Forum, ARCH+, berlin.de

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