Der Konflikt zwischen Bauvorhaben und Artenschutz scheint in Berlin allgegenwärtig. Immer wieder verzögern geschützte Tierarten wichtige Bauprojekte – mit teils drastischen Konsequenzen für die Stadtentwicklung. Umsiedlungsprogramme und ökologische Ausgleichsmaßnahmen gelten als übliche Instrumente, um einen Kompromiss zwischen Umweltverbänden und Bauherren zu finden. Trotzdem stocken viele Projekte und verharren in jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen – wie löst man das Problem?
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Text: Björn Leffler
Der Berliner Senat möchte den Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark in Prenzlauer Berg zu einem modernen Inklusionspark umbauen, mit neuen Sportstätten und einer modernen, barrierefreien Infrastruktur. Eine neue Arena mit Platz für 20.000 Zuschauer soll im Zentrum des Areals stehen. Nach fast einem Jahrzehnt an Diskussionen, Dialogwerkstätten und Wettbewerben konnte mühsam ein städtebaulicher Kompromiss gefunden werden, wie der Jahnsportpark zukünftig gestaltet werden soll.
In das Projekt unweit der Schönhauser Allee möchte der Berliner Senat mehrere hundert Millionen Euro investieren. Die Modernisierung von Sport-Infrastruktur, von der nicht nur der Leistungssport, sondern auch zahlreiche umliegende Vereine und Schulen profitieren würden, erscheint sinnvoll, vor allem weil das Gelände an vielen Stellen schwer in die Jahre gekommen ist.
Umbau des Jahnsportparks: Umweltschützer stoppen Bauprojekt in Prenzlauer Berg
Doch just in dem Moment, als der Abriss des alten Cantianstadions begonnen hatte, meldeten sich Naturschutzverbände zu Wort, die beklagten, der Berliner Senat habe sich nicht an die Vorgaben des Artenschutzes gehalten – schließlich brüte der Haussperling auf dem Gelände. Der Umweltverband Naturfreunde Berlin hatte im Oktober Klage gegen den fortschreitenden Abriss des Jahnstadions eingereicht und argumentiert, dass der Senat die Verpflichtungen zum Artenschutz unzureichend umgesetzt habe.
Das Verwaltungsgericht folgte schließlich dieser Auffassung und beschloss, den Abriss vorläufig zu untersagen. Laut Gericht würden hinreichende Maßnahmen fehlen, um die Brutplätze des Haussperlings und weiterer Arten zu schützen. Insgesamt seien 94 Brutplätze des Haussperlings betroffen, für die keine ausreichenden Ersatzmaßnahmen vorgesehen seien.
Stadion-Abriss in Pankow gestoppt – Bauprojekt verzögert sich signifikant
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen hatte den Bau von sogenannten „Sperlingshäusern“ mit 108 Nistkästen als Kompensation angekündigt, diese jedoch bisher nicht installiert. Da die Brutperiode der Vögel im Frühjahr beginnt und bis zum Herbst dauert, ist der Baustopp zumindest bis März 2025 wirksam. Damit könnte sich die geplante Fertigstellung des neuen Stadions weiter verzögern, was den ursprünglichen Zeitplan, der einen Abschluss bis 2027 vorsieht, erheblich gefährden könnte.
Das Projekt in Prenzlauer Berg ist dabei kein Einzelfall. Immer wieder führt der Konflikt zwischen Bauherren und Naturschützern dazu, dass große und relevante Bauvorhaben in Berlin durch den Artenschutz stark verzögert oder – wie beim Beispiel „Pankower Tor“ – gänzlich verhindert werden, zumindest bislang. Dieses Bauprojekt – wenn man es denn noch so nennen kann, denn ob tatsächlich jemals gebaut wird, ist mittlerweile mehr als unklar – hat bereits eine selbst für Berliner Verhältnisse ausgesprochen lange Vorlaufzeit hinter sich.
„Pankower Tor“: Der Bau von 2.000 Wohnungen wird durch Artenschutz-Konflikt seit Jahren verzögert
Der Baustart für das eigentlich sinnvolle und vor allem durchaus notwendige Projekt, das ein neues Stadtquartier mit rund 2.000 Wohnungen schaffen soll, war nach letztem Stand für 2025 geplant, wurde jedoch durch den Streit um die Umsiedlung der streng geschützten Kreuzkröten behindert. Die Berliner Senatsverwaltung hatte zunächst geplant, die Tiere nach Brandenburg umzusiedeln, um den Baustart zu beschleunigen, doch der Naturschutzbund NABU klagte gegen diese Entscheidung und forderte eindringlich, dass die Kröten auf dem Gelände verbleiben sollten.
Nach langen Verhandlungen und juristischen Auseinandersetzungen einigten sich beide Seiten schließlich im Oktober 2023 darauf, die Kröten auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs zu belassen und einen Dialog über die zukünftige Fläche für die Tiere zu führen. Doch die Diskussion um die Umsiedlung der Kreuzkröten bleibt weiterhin verfahren. Während das Bezirksamt Pankow fünf Hektar Schutzfläche anbot, fordert der NABU mindestens zehn Hektar, um die Population von rund 800 Tieren zu sichern.
Eine Teil-Umsiedlung der Kreuzkröten nach Brandenburg lehnt der NABU kategorisch ab
Eine Teil-Umsiedlung nach Brandenburg wird derzeit geprüft, was der NABU aufgrund ungeeigneter Bedingungen dort ablehnt. Stattdessen fordert der Verband, die Kröten auf ihrem bisherigen Standort zu belassen und den Bau des Möbelhauses zu überdenken. Der Senat plant, den Bebauungsplan bis 2026 festzusetzen, doch ein genauer Baubeginn bleibt aufgrund artenschutzrechtlicher Maßnahmen ungewiss – genauso wie der geplante Bau der 2.000 Wohnungen, die auf dem Berliner Wohnungsmarkt eigentlich dringend gebraucht werden.
Es gibt in Berlin noch weitere Beispiele, wo das Thema Artenschutz wichtige Bauprojekte entscheidend verzögerte. So musste beim Bau des Einheitsdenkmals am Humboldt Forum auf eine Fledermaus-Art Rücksicht genommen werden, beim geplanten „Marienhöfe“-Quartier im Süden Tempelhof-Schönebergs, bei dem knapp 800 Wohnungen entstehen sollen, musste ebenfalls eine Eidechsenart umgesiedelt werden, um einen Baustart zu ermöglichen, der nach aktuellem Planungsstand nun im Frühjahr 2025 erfolgen soll.
In Berlin-Staaken konnten Bauarbeiten trotz der Umsiedlung von Zauneidechsen für eine Wohnanlage im „Metropolitan Park“ ohne Verzögerung beginnen – es geht also auch anders. Sehr viel schwieriger verlief es jedoch in Marzahn, wo ein Batterie-Testzentrum wegen der geschützten Wechselkröten nicht gebaut werden durfte. Nach einer Klage der Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz stoppte das Oberverwaltungsgericht das Projekt, um den Lebensraum der Kröten zu schützen.
Pankow: Bau von Wohnungen für geflüchtete Menschen scheitert bislang am Widerstand von Umweltschützern
Ein weiteres, hoch umstrittenes Bauvorhaben soll ebenfalls in Pankow umgesetzt werden, doch auch hier streiten sich Umweltverbände mit dem Berliner Senat um eine Umsetzung. Im Wohnquartier am Schlosspark Schönhausen, welches sich im Bestand der landeseigenen GESOBAU befindet, gibt es zwei größere Freiflächen mit insgesamt knapp 40 Bäumen, die für den Bau von zwei neuen Wohnhäusern gerodet werden sollen. Die Wohnanlage liegt zwischen der Kavalierstraße und der Ossietzkystraße.
Entstehen sollen Wohnungen für insgesamt rund 400 Geflüchtete. Das Projekt wurde vom Berliner Senat bereits genehmigt. So sollen zwei L-förmige Gebäude in den Höfen an der Kavalierstraße errichtet werden. Gegen das Projekt gibt es von Seiten der Anwohnerinnen und Anwohner seit mehreren Jahren große Vorbehalte. In der Nachbarschaftsgruppe „Grüner Kiez Pankow“ etwa wird vermutet, dass der Berliner Senat und die GESOBAU die Flüchtlingskrise und ein entsprechendes Sonderbaurecht als Vorwand nutzen, um ein eigentlich bereits abgewehrtes Wohnprojekt mit bis zu 170 Wohnungen nun doch noch durchzusetzen.
Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um dieses Projekt laufen seit mehreren Jahren, immer wieder stemmen sich Naturschutzverbände und Bezirk gegen das Vorhaben, wobei nicht immer klar ist, ob es den Projektgegnern dabei wirklich um den Schutz der Natur geht oder schlichtweg die Nachverdichtung des Grundstücks mit zusätzlichen Wohnhäusern verhindert werden soll. Die Voraussetzungen für die Umsetzung von Bauvorhaben sind dabei eigentlich klar geregelt.
In Deutschland gibt es verschiedene Gesetze zum Erhalt von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen
In Deutschland gibt es grundsätzlich verschiedene gesetzliche Regelungen, die den Erhalt von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen sicherstellen sollen. Dabei steht nicht nur der Schutz der einzelnen Tiere im Fokus, sondern auch die Bewahrung ganzer Arten, wobei seltene Arten besonderen Schutz genießen. Tatsächlich unterliegen nahezu alle heimischen Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Insekten gesetzlichen Schutzvorschriften.
Für Bauherren – öffentlich oder privat – stellen diese hohen Anforderungen natürlich immer wieder einen großen Unsicherheitsfaktor dar, da somit große Investitionsvorhaben und wichtige Bauprojekte massiv verzögert werden können. Nach Ansicht von Berlins Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) ist es überhaupt nicht zielführend, dass Anliegen wie Arten- oder Denkmalschutz wichtige Bauprojekte jahrelang aufhielten.
Hier forderte Gaebler schnellere Entscheidungsfindungen und flexiblere Modelle, um Bauvorhaben nicht in ihrer Gesamtheit auszubremsen. So sollte es laut Gaebler möglich sein, nicht betroffene Bereiche eines Projekts parallel weiterzuentwickeln, um einen vollständigen Stillstand des Projekts auszuschließen. Der Berliner Senat muss sich am Beispiel den Stadionprojekts in Prenzlauer Berg allerdings vorwerfen lassen, die eigentlich bekannten Maßnahmen schlichtweg nicht umgesetzt zu haben.
Jahnsportpark: Warum hat der Berliner Senat die Anbringung von Nistplätzen angekündigt, aber nicht umgesetzt?
Denn wenn der Abriss des alten Stadions im Jahnsportpark nach einem so langen, komplexen und zähfließenden Entwicklungs- und Planungsprozess für das gesamte Areal endlich beginnt, sollten längst alle nötigen Maßnahmen bekannt und umgesetzt sein, die notwendig sind, um die Voraussetzungen des Artenschutzes zu erfüllen. Dass die fehlende Anbringung von einigen dutzend Nistplätzen ein Bauvorhaben mit einem Investitionsvolumen von 188 Millionen Euro so gravierend behindert, muss sich der Berliner Senat wohl selbst auf die Fahnen schreiben lassen.
Denn nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen mit Umwelt- und Artenschutzverbänden, die ihre Anliegen auf der Grundlage geltender Gesetze formulieren und durchsetzen wollen, sollten die Berliner Behörden doch eigentlich entsprechend darauf vorbereitet sein, das Thema Artenschutz sowohl in der Projektanbahnung als auch in der tatsächlichen Umsetzung entsprechend zu berücksichtigen. Dass dies beim Cantianstadion nicht der Fall war, verzögert ein wichtiges Sportprojekt im Berliner Zentrum um mindestens ein halbes Jahr, womöglich sogar länger. Eine Situation, die auf jeden Fall hätte vermieden werden müssen.
Quellen: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Senatskommission Wohnungsbau, Berliner Morgenpost, Der Tagesspiegel, Nöfer Architekten, Bezirksamt Pankow, NABU, Der Tagesspiegel, GESOBAU, Berliner Woche, Tagesschau, NaturFreunde Berlin, O+M Architekten GmbH, LOR Landschaftsarchitekten, Bürgerinitiative Jahnsportpark, Fachhochschule Erfurt, Verein Pfeffersport