Ein Ort, der von Krieg und Krise geprägt wurde – und sich doch dem Vergnügen verschrieb: In den 1920er Jahren wurde aus dem Haus Potsdam das Haus Vaterland. Wie ein Café zur Bühne des Zeitgeists wurde und sich in einen der spektakulärsten Vergnügungstempel Europas verwandelte. Dritter Teil unserer historischen Artikelreihe – jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Das Haus Vaterland am Potsdamer Platz, kurz nach seiner Fertigstellung im Jahr 1913. / © Foto: Wikimedia Commons
© Foto Titelbild: Das Haus Vaterland am Potsdamer Platz auf einer Fotografie im Jahre 1932 (Wikimedia Commons / Bundesarchiv Bild 102-13681)
Nur zwei Jahre nach Eröffnung des Hauses am Potsdamer Platz brach der Erste Weltkrieg aus. Angesichts der Kriegsgegner Frankreich und Großbritannien und der im ganzen Deutschen Reich dadurch immer mehr zunehmenden nationalistischen Gesinnung wollte man keine Anlehnungen mehr an englische und französische Vorbilder wie etwa „Piccadilly“ oder „Café“.
Café Piccadilly am Potsdamer Platz: Politische Verhältnisse führen zu Namensänderungen
Und so entschied sich die Berliner Gesellschaft im August 1914, dem Café den Namen „Kaffee Vaterland“ zu geben. Die Bezeichnung „Vaterland“ hatte einen dazu passenden patriotischen Klang und entsprach ganz schnell dem neuen, vorherrschenden Zeitgeist.
Selbst das Restaurant, das den Gästen im Kino in den Pausen gastronomische Versorgung lieferte, wurde nach dem Sieg der deutschen Kaiserlichen Armee unmittelbar nach Kriegsausbruch in Belgien mit der Einnahme von Lüttich umgetauft in „Deutsch-Lüttich“. Diese Umbenennungswelle betraf übrigens nicht nur das Haus Potsdam am Potsdamer Platz, sondern die Reichshauptstadt und das Deutsche Reich insgesamt wurden von dieser Kampagne der Deutschtümelei erfasst.
Haus Potsdam: Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs
Die Ereignisse im Ersten Weltkrieg hatten natürlich auch Auswirkungen auf das „Treiben“ im Haus Potsdam. In den Kammerlichtspielen waren nur noch Filme zu sehen, die dem „Ernst der Zeit und dem patriotischen Empfinden der Bevölkerung“¹ entsprachen. Ausländische Filmproduktionen, hauptsächlich französische Filme, fielen gänzlich dem Verbot zum Opfer.
Auch Tanzveranstaltungen wurden verboten, und die bisher im Kaffee Vaterland gespielte Musik veränderte ab sofort ihren Charakter und kam nun als „angemessen patriotisch mit ernstem Inhalt“¹ daher. Der zweijährige Kriegsverlauf und die Seeblockade der Alliierten gegen Deutschland führten im Jahr 1916 zu massiven Problemen bei Lebensmittel- und Rohstofflieferungen, sodass es zu erheblichen Preissteigerungen und einer ernsten Versorgungskrise kam.
Lebensmittelmarken und „Kuchen-Verordnung“: Scheren für Kellner im Kaffee Vaterland
Die Kellner im Kaffee Vaterland am Potsdamer Platz wurden mit Scheren ausgestattet, um die von den Gästen mitgebrachten Lebensmittelmarken, speziell für Brot und Fett, herauszuschneiden. Aber die bereits 1915 gesetzlich vorgeschriebene „Kuchen-Verordnung“ setzte dem Ganzen die Krone auf. Demnach war es verboten, Kuchen, Torten und Gebäck zum Zwecke des Weiterverkaufs zu backen.
Ebenfalls abgeschaltet wurde während der Dauer des anhaltenden Krieges die elektrische Lichtreklame. Für das Café Vaterland, so wie es kurzzeitig ab 1919 wieder heißen durfte, war das natürlich ein absoluter Negativschlag ins Kontor.
Hyperinflation nach dem Kriegsende: Wirtschaftskrise 1923 mit verheerenden Folgen
Dieses revolutionäre Nachkriegsgeschehen mit dem Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft und die Deutschland im Vertrag von Versailles aufgebürdeten Reparationen führten letztendlich zu einer schweren Wirtschaftskrise, die im Jahr 1923 mit der Hyperinflation ihren Höhepunkt erreichte.
Trotz der wirtschaftlichen Probleme blieb das Café Vaterland geöffnet, wenn auch die vorher ausgiebig zelebrierten Vergnügungen nicht mehr in dem Maße stattfanden. Erst nach 1924 begann sich mit Unterstützung des Dawes-Plans und einer Währungsreform das Deutsche Reich wieder zu stabilisieren.
Aufschwung: „Goldene Zwanziger“ ab 1925 in der Weimarer Republik
Ab Mitte der 1920er begann die Phase in der Weimarer Republik, die als die „Goldenen Zwanziger“ bekannt ist und noch heute verherrlicht wird, wenn es auch eine relativ kurze Zeitspanne war.
Aber der Hunger in Berlin nach Tanz und Vergnügungen war groß und schrie geradezu gegen die Folgen der Wirtschaftskrise. Die Vier-Millionen-Metropole hatte 450.000 Arbeitslose, sodass Ablenkung gefragt war.
Die Weimarer Republik lechzte nach Vergnügungen, und die Berliner Gastronomie wollte sie liefern! Vor diesem Hintergrund wurde das Haus Potsdam komplett umgekrempelt, das Gebäude bautechnisch entkernt und zu einem Ort des Vergnügens neu konzipiert.
Umbau des Gebäudes zum Haus Vaterland
Die Bank für Grundbesitz und Handel kaufte das Gebäude nach mehreren Eigentümerwechseln wieder zurück und hatte den Plan, das Konzept des Hauses mit einem dem Trend der Zeit angepassten Nutzungskonzept als gigantischen Vergnügungskomplex umzugestalten.
Der Name „Haus Vaterland“ war damit aus der Taufe gehoben. Es erfolgte die Gründung einer „Haus Vaterland Gaststätten GmbH“, deren Aufsichtsrat unter anderem die Unternehmerfamilie Kempinski angehörte. Kempinski sollte den Gaststättenbetrieb übernehmen und mit seinen Produkten beliefern.
Kempinski übernahme die Leitung des Hauses am Potsdamer Platz
Das Firmengeflecht von Kempinski war dafür wie geschaffen, denn Kempinski war zur damaligen Zeit in Berlin der bekannteste Weinhändler. Berthold Kempinski kam aus Breslau und packte nach der Proklamation des Deutschen Kaiserreiches in der neuen Reichshauptstadt die Chance beim Schopf und eröffnete 1872 in der Friedrichstraße 176 ein kleines Ladenlokal, in dem er der Kundschaft nicht nur Wein, sondern auch ein entsprechendes Speisensortiment präsentierte.
Der florierenden Geschäftstätigkeit geschuldet, errichtete Kempinski in der Friedrichstraße 255 eine 7.000 Quadratmeter große Zentralkellerei, in der circa 10 Millionen Flaschen Wein lagerten – was bei einem Tagesumsatz von 10.000 Flaschen garantiert eine Investition wert war. Und Kempinski expandierte weiter und eröffnete eine weitere Filiale am Kurfürstendamm, der neuen, wachsenden und sich entwickelnden westlichen Innenstadt.
Mittlerweile stand der Name Kempinski in Berlin auch für ein vorzügliches Speisenangebot, und diesen Trend zur Verlagerung des Absatzes vom Wein zu delikaten Lebensmitteln nahm er auf und entwickelte ihn fortan weiter in der Kombination Wein und Speisen. Im Eckhaus Krausenstraße 71 / Friedrichstraße 198–199 eröffnete Kempinski folgerichtig sein eigenes Delikatessen- und Feinkostgeschäft. Am Kurfürstendamm erweiterte er das Firmenkonstrukt um ein exklusives Restaurant – genau an der Stelle, wo lange das gleichnamige Hotel Bristol Kempinski florierte. Das Gebäude steht noch heute an der Ecke Kurfürstendamm / Ecke Fasanenstraße.
Aufgrund der starken Einflussnahme der Familie Kempinski auf die Geschicke des Hauses Vaterland wurde das Haus quasi als Kempinski-Betrieb angesehen, auch wenn es angesichts der komplizierten Eigentumsverhältnisse nicht so war. Die große Einflussnahme von Kempinski auf das Haus Vaterland wurde übrigens noch unterstrichen durch die Kempinski-Lichtreklame an der Fassade des Gebäudes.
Innerstädtischer Vergnügungstempel: Leo Kronau als Ideengeber für das Haus Vaterland
Am 31. August 1928 eröffnete nach dem kompletten Umbau des Gebäudes ein Amüsiertempel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Leo Kronau unterbreitete bereits im Jahr 1926 Kempinski seine Vorstellungen eines innerstädtischen Vergnügungstempels. Er war zur damaligen Zeit mit der anbrechenden „Welt des Vergnügens“ eine bekannte und schillernde Persönlichkeit.
Kronau kam nach vielen Stationen weltweit, wo er seine künstlerischen Vorstellungen hatte einbringen und umsetzen können, 1926 aus Wien, wo er mit Gabor Steiner den Vergnügungspark Kaisergarten entwickelt und schließlich auch geleitet hatte. In Berlin übernahm er die künstlerische Leitung des Luna-Parks, 1909 gegründet und neben dem 1880 eröffneten Park „Neue Welt“ einer der ältesten Vergnügungsparks in Berlin. Sein Engagement im Luna-Park dauerte allerdings nur ein Jahr.
Kronaus jahrelange Erfahrungen mit Vergnügungsparks im Freien mündeten angesichts der „Schönwetterparks“, die zu wetterabhängig waren und daher saisonal bedingt unter Minderauslastung und somit fehlenden Einnahmen litten, in der Idee, solche Elemente wie Restaurants, Musik und Unterhaltung, gemischt mit der notwendigen „Exotik“, den Besuchern in Innenräumen darzubieten. Damit war Kronaus Idee als Geschäftsidee geboren!
Ein ganzes Haus mit unterschiedlichen Attraktionen wurde konzipiert
Die von Kronau entwickelte Idee unterschied sich von anderen, normalen Tanz- und Revuevarietétheatern vor allem in der Großzügigkeit, Flexibilität und der räumlichen Dimension. Ihm schwebte vor, ein ganzes Haus mit den unterschiedlichsten Attraktionen und einer ständig wechselnden Erlebniswelt darzubieten. Kronau kannte die Welt des Vergnügens zur Genüge, wusste, was die Menschen darin begehrten, und wusste auch, wie man damit Geld verdienen konnte.
Aber die entscheidende „Kleinigkeit“, die ihm zur Umsetzung seiner Idee persönlich fehlte, war das notwendige Kapital, sodass er einen Geldgeber finden musste – einen Investor also nach heutigem Sprachgebrauch. Das konnte nur einer sein, der über reichlich Erfahrung in der Gastronomie verfügte, das Metier also bestens kannte und in der Lage war, den Bedarf großer Mengen an Speisen und Getränken auf den Punkt mit der entsprechenden Qualität servieren zu können. In Berlin konnte das eigentlich nur Kempinski, der sich mit seinen Restaurants und seinem differenzierten gastronomischen Angebot bereits einen hervorragenden Ruf erworben hatte.
Berlin in den 1920er Jahren: Kempinski auf Expansionskurs
Aber auch das Unternehmen Kempinski hatte unter den wirtschaftlichen Missständen seit Anfang der 1920er-Jahre und der fatalen Währungskrise gelitten. Ab dem Jahr 1925 begann sich die wirtschaftliche Situation zu entspannen, und es zog in der Weimarer Republik nun wieder mehr Stabilität ein.
Angesichts dessen begann man nun selbst wieder, über neue Unternehmenskonzepte nachzudenken. Dieser Umstand, mit einer gewissen wirtschaftlichen Sicherheit im Rücken, weckte bei Kempinski die Hoffnung auf mehr Wachstum und verlässlichere wirtschaftliche Verhältnisse. Kempinskis Wunsch nach Ausdehnung seiner Geschäftsfelder und Kronaus Idee nach einem bis dato noch nicht dagewesenen monströsen Gastronomie- und Vergnügungstempel trafen nun zusammen.
Was beiden gemeinsam dazu fehlte, war eine geeignete Immobilie, die man letztendlich 1926/27 im Haus Potsdam fand, das zu diesem Zeitpunkt gerade verkauft wurde. Das Zusammentreffen einer genialen Idee mit einem gut aufgestellten und erfahrenen Restaurantbetreiber und einer zur gleichen Zeit passenden Location war die Basis für den im Jahr 1928 eröffneten weltoffenen Vergnügungspalast am Potsdamer Platz.
Fortsetzung folgt…
Quellen: (1) Vanessa Conze „Haus Vaterland“, Verlag Elsengold, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum