Sie sollte Radverkehr, Stadtgrün und Aufenthaltsqualität unter einem Dach vereinen – doch die Radbahn-Teststrecke in Berlin-Kreuzberg hat ihren Glanz verloren. Was bleibt, ist ein fragmentiertes Reallabor ohne Anschluss und Perspektive. Ohne den politischen Mut zur Umgestaltung der Skalitzer Straße bleibt sie ein stummes Symbol verpasster Chancen.

Das Radbahn-Projekt unter der U1 war einst eine interessante Vision – heute wirkt die Teststrecke wie ein vergessener Rest städtischer Ambition. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

© Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT

 

Beim mittlerweile stadtbekannten Radbahn-Projekt auf der Skalitzer Straße in Berlin-Kreuzberg sollte ein Teil des Viadukts unter der U-Bahnlinie 1 dauerhaft in eine Fahrstrecke für Radfahrer transformiert werden. Die Idee und das Projekt hatten bereits eine Laufzeit von mittlerweile zehn Jahren in den Knochen und kulminierte im vergangenen Sommer in einem mehrere Monate dauernden Testlauf.

Radbahn-Projekt in Kreuzberg: Eine Teststrecke wurde unter der Linie U1 realisiert

Hierfür wurde eigens eine mehrere hundert Meter lange Teststrecke angelegt, die von der Öffentlichkeit auch intensiv genutzt wurde und von den Projektinitiatoren mehrfach mit Veranstaltungen und Workshops bespielt wurde.

Die ursprüngliche Idee für das Projekt war vom Verein Paper Planes ausgegangen, der das Projekt über die gesamte Zeit begleitet hat und auch im Rahmen der Pressekonferenz fast vollständig anwesend war. Im September 2024 war am Lausitzer Platz eine abschließende Projektpräsentation gezeigt worden, mit dem Vorschlag, das Modellprojekt Radbahn auf die gesamte Skalitzer Straße auszuweiten.

Die Projektverantwortlichen hoben vor knapp einem Jahr im Rahmen ihrer Präsentation hervor, dass auf dem Gelände des jetzigen Testfelds Parkplätze umgewandelt und entsiegelt wurden und neues Stadtgrün angepflanzt wurde. Die Pflastersteine, die auf den Parkplatzflächen verlegt waren, wurden entnommen und an anderer Stelle wieder eingesetzt – aber so, dass Regenwasser optimaler im Boden versinken kann, mit ausreichend großen Fugen zwischen den Steinen.

Das Reallabor Radbahn ist sehr viel mehr geworden als ein reines Verkehrsprojekt

Schnell wurde während der Pressekonferenz deutlich, dass es beim Projekt Radbahn längst um sehr viel mehr ging, als schlichtweg einen Radweg unter einer U-Bahntrasse zu errichten. Es wurde (und wird) Wasser gesammelt und gefiltert, geforscht, ausprobiert und analysiert. An vielen verschiedenen Orten der recht kurzen Strecke wurden Plätze geschaffen, an denen die Anwohner und Durchreisende zusammenkommen und sich austauschen können.

Nach fünf Jahren ging das Förderprojekt, welches seit 2019 vom Bund mit finanziellen Mitteln unterstützt worden war, im Herbst 2024 allerdings zu Ende. Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts in Friedrichshain-Kreuzberg, stellte im Rahmen des Pressetermins im September 2024 das Konzept zur dauerhaften Erweiterung der Teststrecke vor, um Teile der stark belasteten Skalitzer Straße in die Radbahn zu integrieren.

Kreuzberg: Bezirk wünscht sich Neuverteilung des Verkehrs auf der Skalitzer Straße

Ziel ist eine klima- und verkehrsfreundlichere Umgestaltung mit mehr Raum für Rad- und Fußverkehr sowie einer möglichen Entsiegelung von bis zu 40 Prozent der Flächen. Der Autoverkehr soll dabei nicht verbannt, sondern neu verteilt werden.

Stephan Machulik, Staatssekretär für Wohnen und Mieterschutz der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, wollte sich im Rahmen des Gesprächs allerdings nicht darauf einlassen, konkrete nächste Schritte anzukündigen. Er betonte, dass das Konzept sehr sinnvoll und realitätsbezogen erarbeitet worden sei und wies darauf hin, dass die Senatsverwaltung dem Vorhaben wohlwollend gegenüberstehe.

Reallabor Radbahn: Um das einstige Modellprojekt ist es sehr still geworden

Mittlerweile ist es um das Thema sehr still geworden. Mit einer permanenten Ausweitung der Teststrecke auf die Skalitzer Straße und einer Neuverteilung der Verkehrsspuren scheint sich derzeit in der Senatsverkehrsverwaltung niemand ernsthaft zu beschäftigen, was eigentlich erstaunlich ist.

Denn das entwickelte Konzept für eine Weiterführung des Projekts Radbahn liest sich spannend und ist schlüssig hergeleitet, da viele Erkenntnisse nicht neu sind und auf der Hand liegen. Das Vorhaben ist allerdings sehr schnell auf die haushaltspolitische und infrastrukturelle Realität der Berliner Verwaltung getroffen – und steckt dort bis auf Weiteres fest.

Radweg in Kreuzberg: Wie sieht die Teststrecke unter dem U1-Viadukt heute aus?

Doch nicht nur das Vorhaben, die Verkehrsströme auf der Skalitzer Straße neu zu verteilen, hat seinen Auftrieb verloren. Auch die Teststrecke selbst kommt mittlerweile eher unscheinbar daher. Die einst so hohen Ambitionen scheinen deutlich verblasst, wenn man die Strecke heute besucht.

Umtost vom beiderseitigen Autoverkehr der Skalitzer Straße wirkt die Teststrecke heute wie ein Fremdkörper, der in großen Teilen entsiegelt und von parkenden Autos befreit wurde – der allerdings auch von sonst niemanden genutzt wird. Die installierten Schilder sind beschmiert, die vorhandenen Bänke und Sitzmöbel werden kaum genutzt.

Die Fahrradstrecke unter der U-Bahn ist isoliert – und wird kaum genutzt

Die spärliche Nutzung des Raums hängt wohl vor allem damit zusammen, dass der Strecke eine sinnvolle Anbindung an das bestehende Radwegenetz fehlt und sie damit eine autonome „Stummelstrecke“ bleibt, die von Radfahrenden, die schnell von A nach B kommen wollen, nicht genutzt wird.

So ist es sehr leer auf der Teststrecke, immerhin wird aber weiterhin Regenwasser gesammelt, um die gepflanzte Begrünung links und rechts des Radwegs zu bewässern, was offensichtlich auch recht gut funktioniert.

Servicestationen, Luftmessgerät, Fahrradampel – all das findet sich auf dem Radweg heute nicht mehr

Die zahlreichen weiteren Angebote, die hier getestet wurden – darunter Fahrradleitsysteme, Beleuchtung, verschiedenes Stadtmobiliar, Aufstellflächen, Servicestationen oder technische Angebote wie ein Luftmessgerät und eine Fahrradampel – sind auf der Strecke nicht mehr anzufinden, denn sie waren Teil des geförderten Projekts. Eine Überführung der meisten dieser getesteten Angebote in den tatsächlichen Alltag ist nicht erfolgt.

So scheint die einstige Teststrecke, auf der mehrere Schilder und Hinweistafeln noch immer vom Modellprojekt erzählen, heute ein merkwürdig undefinierter Raum zu sein, der nicht vollkommen verwahrlost daherkommt, aber in keinster Weise ambitioniert erscheint. Ob man das Projekt als gelungen oder gescheitert einschätzen sollte, darüber lässt sich wohl trefflich streiten.

Reallabor Radbahn: Ohne Umbau der Skalitzer Straße kann die Teststrecke keinen Mehrwert bieten

Klar scheint jedoch: in der heutigen Form bietet die einstige Teststrecke für Anwohnerinnen und Anwohner kaum einen Mehrwert. Um die Ergebnisse des Modellprojekts sinnvoll fortführen zu können, wäre eine Umgestaltung der Skalitzer Straße unumgänglich.

Es ist zu hoffen, dass das Vorhaben in den schweren Mühlen der Berliner Senats- und Bezirkspolitik nicht zerrieben wird. Denn ohne den politischen Willen der Entscheidungsträger wird der ohne Zweifel komplexe Umbau einer so wichtigen Verkehrsachse nicht zu stemmen sein.

© Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

© Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

© Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Vision des Vereins Paper Planes: Eine echte Zukunft hat der Radweg unter dem U1-Viadukt nur, wenn die Skalitzer Straße städtebaulich neu gedacht wird. / © Visualisierung: Reallabor Radbahn UG, paper planes e.V.

Quellen: Reallabor Radbahn UG, paper planes e.V., Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen

Tags (Schlagwörter) zu diesem Beitrag

3 Kommentare

  1. Franz 26. Juni 2025 at 07:57 - Reply

    Sorry, aber dieses Scheiterns des Projekts und die damit einhergehende Geldverschwendung war von vornherein absehbar. Der vermeintliche Radweg wurde und wird nicht genutzt: zu oft unterbrochen und man müsste ständig wieder auf die Seitenstreifen der Skalitzer wechseln.
    Das mit den lockerer gelegten Pflastersteinen ist – sorry – auch Quatsch. Die Fugen spülen noch schneller bei (Stark-)Regen aus. Und falls der Bezirk dann nach lagem Zuwarten repariert, lässt er zu asphaltieren (so an diversen Stellen nach Anzeige über die Ordnungsamtsapp in SO 36 erlebt). Das Projekt ist tot. Das Geld besser für anderes ausgeben als für diese Phantasien.

    • Franz 26. Juni 2025 at 07:59 - Reply

      Und nich zu vergessen, dass der Bezirk unter der U-Trasse am Lausitzer Platz die enorme Verdreckung der Strecke mit Taubenkot hinnimmt und eigentlich nicht reinigt oder reinigen lässt. Bei Regen: Riesenrutschgefahr.

  2. Mehringdamm1 26. Juni 2025 at 08:16 - Reply

    Absehbare Geldverschwendung. Vielleicht berechtigt, wenn der Bezirk auf ein herausnehmen der Skalitzer aus dem übergeordneten Verkehrsnetz gehofft hat, aber das war schon unter der grünen Verkehrsführung nicht angedacht.

    Was ich mich immer bei Gestaltungen von Mittelstreifen zwischen Hauptverkehrsstr. frage: Es glaubt doch auch von den Planern am Ende niemand wirklich, dass sich Menschen inmitten von starkem Lärm und Dreck „niederlassen“ und begegnen, oder?!

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..