Am traditionsreichen Standort Scheringstraße in Berlin-Wedding plant Rheinmetall die Umstellung eines ehemaligen Autozulieferwerks auf die Produktion militärischer Komponenten. Während einige Beschäftigte von Arbeitsplatzsicherheit sprechen, formiert sich Protest gegen die neue Rolle des Werks im Rüstungssektor, mitten in einem dicht besiedelten Kiez.

Die Rheinmetall-Tochter Pierburg am Humboldthain plant, noch 2025 mit der Produktion von Patronenhülsen zu beginnen. Der Konzern sieht großes Wachstumspotenzial, denn durch die Grundgesetzänderung und neue Investitionen fließen bundesweit Milliarden in die Rüstungsindustrie. / © Foto: IMAGO / STPP
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Die Pierburg GmbH, Tochterunternehmen des Rüstungskonzerns Rheinmetall, soll am Standort Scheringstraße in Berlin-Wedding, nahe des S-Bahnhofs Humboldthain, künftig militärische Komponenten herstellen. Noch werden dort Bauteile für die Autoindustrie gefertigt, doch ab Juli 2025 ist eine schrittweise Umstellung auf die mechanische Bearbeitung von Munitionsbestandteilen geplant. Die Produktion werde keine explosiven Stoffe beinhalten, teilte das Unternehmen mit. Perspektivisch soll das Werk unter dem Namen Rheinmetall Waffen Munitions GmbH firmieren.
Nach Angaben von Rheinmetall erfolgt der Umbau des Standorts schrittweise, da laufende Verträge mit Autoherstellern zunächst erfüllt werden müssten. Mit einer vollständigen Umstellung rechnet der Konzern frühestens ab der zweiten Jahreshälfte 2026. In der Berliner Produktionsstätte sind derzeit rund 350 Beschäftigte tätig. Laut Unternehmensangaben soll es keine Stellenstreichungen geben, wie die Berliner Morgenpost berichtet.
Neue Maschinen, Qualifizierung, Arbeitsplatzsicherheit: Warum die Belegschaft mehrheitlich hinter dem Wandel steht
Aus Sicht des Betriebsrats sei die Umstellung ein wichtiger Schritt zur Sicherung des Standorts, wie die IG Metall Berlin berichtet. Bernd Benninghaus, Vorsitzender des Betriebsrats, sprach von einem „alternativlosen Transformationsprozess“, der neue Maschinen, Qualifizierungen und Planungssicherheit mit sich bringe. Das bisherige Produktionsmodell sei angesichts der Krise in der Automobilbranche kaum noch tragfähig gewesen.
Auch sein Stellvertreter, Martin Hoffmann, erklärte in dem Zuge, dass die neue Ausrichtung langfristig Beschäftigung sichere. Ein Großteil der Belegschaft sehe die Entwicklung positiv. Es gebe aber auch vereinzelt kritische Stimmen – der Betriebsrat biete diesen Beschäftigten Gespräche an.
Proteste gegen Waffenproduktion: Kritik an Militarisierung und Erinnerung an die NS-Vergangenheit
Die geplante Umstellung stößt jedoch auf Widerstand. Am 10. Mai demonstrierten laut taz rund 1.500 Menschen unter dem Motto „Kein Rheinmetall im Wedding“ vor dem Werk. Organisiert wurde der Protest von der Linken in Mitte, linken Basisgruppen sowie Studierendeninitiativen. Besonders junge Menschen kritisierten die Militarisierung der Industrie, auch Forschung an Hochschulen gerate zunehmend in den Dienst der Aufrüstung.
Zudem erinnerten Aktivistinnen und Aktivisten an die Geschichte des Standorts: Schon im Ersten Weltkrieg war das Werk Teil der deutschen Rüstungsindustrie, im Zweiten Weltkrieg wurden dort Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt. Das Moabiter Theater X stellte dies in einer Performance vor dem Werkseingang dar.
Zwischen Standortpolitik und Zeitenwende: Rüstungsboom trifft auf zivilgesellschaftlichen Widerstand
Die Linke fordert eine klare Positionierung des Bezirks gegen die Rüstungsproduktion in einem Wohngebiet. Das Bezirksamt Mitte verweist auf fehlende Einflussmöglichkeiten, da es sich um ein privates Unternehmen handle. Sicherheitsfragen würden auf Landes- und Bundesebene entschieden.
Gleichzeitig wird der Fall Wedding zum Symbol einer bundesweiten Entwicklung: Rheinmetall und andere Rüstungsunternehmen bauen ihre Kapazitäten massiv aus. Hintergrund ist die sogenannte „Zeitenwende“ mit milliardenschweren Investitionen der EU und Bundesregierung in die Verteidigung. Die Kritikerinnen und Kritiker fordern dagegen einen sozial-ökologischen Umbau: statt Waffenproduktion sollten laut der Linken öffentliche Gelder in Bildung, Gesundheit und klimagerechten Verkehr fließen.
Die Pierburg-Transformation zeigt, wie eng wirtschaftliche Krisen, politische Entscheidungen und soziale Bewegungen miteinander verflochten sind. Während ein Teil der Belegschaft Stabilität erwartet, sehen Anwohnende und Aktivistinnen und Aktivisten in der neuen Rüstungsproduktion eine Gefährdung von Frieden und Gemeinwohl.
Quellen: IG Metall, Taz, Die Linke Mitte, Berliner Morgenpost, Rheinmetall