720 Millionen Euro für 3,2 Kilometer Autobahn, die Eröffnung der A100 in Treptow soll Ende August erfolgen.  Doch in der Berliner Innenstadt wäre auch innovative Landwirtschaft auf Asphalt möglich gewesen. Das spannende Urban-Gardening-Konzept von Paper Planes zeigte, wie sich Verkehrsflächen in produktive, nachhaltige Räume verwandeln ließen. Jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Was hätte aus der A100 werden können, wenn Stadtentwicklung anders gedacht worden wäre? Paper Planes präsentierte ein Konzept jenseits des Autos – und eröffnete damit eine Debatte über die Zukunft des urbanen Raums. / © Visualisierung: Paper Planes Berlin / reindeer renderings

© Visualisierung Titelbild: Paper Planes Berlin / reindeer renderings

 

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Nach rund zehn Jahren Bauzeit soll der 3,2 Kilometer lange 16. Bauabschnitt der Bundesautobahn A100 zwischen dem Autobahndreieck Neukölln und dem Treptower Park im Spätsommer freigegeben werden. Die bundeseigene Autobahn GmbH nennt die letzte Augustwoche oder Anfang September als möglichen Eröffnungstermin. Die Kosten des Neubaus belaufen sich laut Unternehmensangaben auf etwa 720 Millionen Euro.

Noch vor der Fertigstellung der benachbarten Elsenbrücke soll der neue Autobahnabschnitt in Betrieb gehen. Da diese Brücke jedoch bis Anfang 2026 nur eine Fahrspur pro Richtung bietet, ist mit Rückstaus an der Anschlussstelle zu rechnen. Die Verkehrssteuerung setzt deshalb auf eine dosierte Ampelregelung, die den Abfluss ins Stadtstraßennetz begrenzen soll.

Schleichwege und Stau: Bezirk und Grüne sehen Risiken für Wohnquartiere in Treptow-Köpenick

Die Verkehrsstadträtin von Treptow-Köpenick, Claudia Leistner (Grüne), äußerte im Verkehrsausschuss deutliche Kritik, wie der Tagesspiegel berichtet. Sie verwies auf steigende Einwohnerzahlen und befürchtete Ausweichverkehr durch Wohnstraßen. Durch die Nutzung moderner Navigationssysteme würden viele Fahrerinnen und Fahrer bereits heute Schleichwege suchen, auf Kosten der Anwohnenden.

Die Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick hatte sich zuvor gegen eine Freigabe vor Fertigstellung der Elsenbrücke ausgesprochen. Auch die Grünen im Abgeordnetenhaus forderten, den Autobahnanschluss nicht vorzeitig zu öffnen. Die Verkehrsverwaltung des Senats und die Autobahn GmbH hielten dagegen: Die neue Strecke werde vor allem bereits vorhandenen Verkehr bündeln und nicht wesentlich zusätzlichen Verkehr erzeugen.

Verein Paper Planes hatte ganz andere Pläne für den A100-Weiterbau in Neukölln und Treptow

Ganz andere Pläne hatte der Berliner Verein Paper Planes zwischenzeitlich für die nicht fertig werdende A100-Trasse veröffentlicht. Die bereits 2021 im Rohbau in großen Teile fertige Trasse sollte nach Vorstellungen des Vereins zum innerstädtischen Landwirtschaftsbetrieb werden, mit künstlicher Beleuchtung und Klimatisierung, deren Energie von einem Solardach gewonnen wird. Auf diese Weise sollten die Lieferwege für landwirtschaftliche Erzeugnisse radikal reduziert werden.

Urban Gardening auf der Autobahn: Reduzierung der Lieferwege für landwirtschaftliche Produkte

Paper Planes wird von den Initiatoren selbst als Denkfabrik von etwa einem Dutzend Menschen aus den Bereichen Architektur, Stadtentwicklung, Mobilitätsforschung, Kultur und Marketing beschrieben. Es sind weitgehend dieselben Leute, die 2015 das Konzept der „Radbahn“ unter dem Viadukt der U1 entwickelt haben.

Da auch ein Rückbau des betonierten Autobahntroges eine immense Ressourcenverschwendung wäre, schlug der Verein vor rund vier Jahren den Weiterbau des Projekts vor, allerdings mit vollkommen andersartiger Nutzung.

„Paper Planes“: Weiterbau der A100-Trasse, aber mit anderer Nutzung

Denn nicht nur der Autoverkehr könnte auf diese Weise reduziert werden, so die Ideengeber. Global betrachtet sei die konventionelle Landwirtschaft ein noch bedeutenderer Umweltzerstörer und Klimaschädiger als der Autoverkehr.

Vertikale Farmen hingegen, wie sie die Mitglieder von Paper Planes auf der Autobahntrasse umsetzen wollten, funktionierten nicht nur unabhängig vom Wetter, sondern kämen auch ohne Pestizide und mit 90 Prozent weniger Bewässerung aus als herkömmliche Landbewirtschaftung.

Wetterunabhängige Landbewirtschaftung: Urban Gardening nachhaltiger als „herkömmliche“ Landwirtschaft?

Auch die unterschiedlichen Erzeugnisse, die in der vertikalen Farm produziert werden könnten, hatte Paper Planes damals detailliert recherchiert: Prinzipiell könnten Gemüse und Speisepilze ebenso gezüchtet werden wie Algen und Insekten.

Die Idee für ein solches Projekt war mitnichten exklusiv: Weltweit fließt zurzeit viel Kapital in den Aufbau ähnlicher Farmen, unter anderem in Ländern wie Dänemark, Süd-Korea oder auch in den USA. Die nötige Technik zur LED-Beleuchtung und Solarstromerzeugung entwickelt sich zudem in enormem Tempo.

Paper-Planes-Idee wurde nicht umgesetzt: Bau der A100 wurde wie geplant fortgeführt

Die Idee einer riesigen Urban-Gardening-Trasse inmitten der Berliner Innenstadt blieb jedoch, wenig überraschend, ein Luftschloss. Trotz immenser Kostensteigerungen und mehrerer Jahre Verzögerung zog der Berliner Senat das Projekt durch und wird die neue Stadtautobahn im August 2025 eröffnen.

Immerhin: bei den Grünen und den Linken war die Zustimmung für die Idee von Paper Planes durchaus gegeben. Eine innovative Idee, die ernsthaft hätte diskutiert werden können, war der Vorschlag allemal. Vor allem vor dem Hintergrund der von vielen Menschen gewünschten Verkehrswende.

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Eine solche Umwidmung der A100-Trasse schlug der Verein Paper Planes 2021 vor – die Idee wurde aber nie ernsthaft diskutiert. / © Visualisierung: Paper Planes Berlin / reindeer renderings

Der Status Quo: Die A100 wird, wie geplant, eine Autobahn, und keine Fläche für Urban Gardening. Im August soll die Trasse eröffnet werden. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

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Quellen: rbb24, Der Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Paper Planes Berlin, IMAGO, Deutsches Architektur Forum, reindeer renderings, A100 stoppen, Wikipedia, Die Autobahn AG, A100 wegbassen