Trotz Milliardeninvestitionen schrumpft der Bestand an Sozialwohnungen in Berlin weiter. Der dritte Teil unserer Reihe „Sozialwohnungen in Berlin“ zeigt, wo die Lücken besonders groß sind, warum das System an seine Grenzen stößt – und wo Reformen ansetzen könnten. Jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Trotz Neubauförderung schrumpft der Bestand an Sozialwohnungen in Berlin weiter. Besonders in Stadtteilen wie der Gropiusstadt zeigt sich, wie stark sich der Rückgang auf die soziale Durchmischung auswirkt. / © Foto: pixabay, Geraldfriedrich2
Teil 1 der Reihe „Sozialwohnungen in Berlin“
Teil 2 der Reihe „Sozialwohnungen in Berlin“
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Der Sozialwohnungsbestand Berlins ruht auf zwei zentralen Säulen: dem „Ersten Förderweg“ bis 1997 nach dem II. Wohnungsbaugesetz und der seit 2014 laufenden Neubauförderung. Ein Großteil der rund 95.000 Sozialwohnungen im Jahr 2019 stammt aus den älteren Förderprogrammen.
Viele dieser Bindungen laufen jedoch aus – sei es aufgrund der starken Baujahrgänge der 1960er- und 1970er-Jahre oder wegen vorzeitiger Darlehensrückzahlungen. Ohne Gegenmaßnahmen würde der Bestand bis 2028 auf etwa 59.000 Wohnungen sinken. Der Rückgang hat strukturelle Ursachen und betrifft besonders ältere Bestände mit bald auslaufender Förderung.
Politische Gegenmaßnahmen: Neubauförderungen und rechtliche Nachbesserungen
Seit 2014 fördert der Senat wieder gezielt den Neubau mit Mietpreis- und Belegungsbindungen. Zinssenkungen sollen Eigentümerinnen und Eigentümer davon abhalten, Förderdarlehen frühzeitig abzulösen. Ergänzt wird dies durch gesetzliche Anpassungen wie das Wohnraumversorgungsgesetz von 2016 und dessen Novelle 2017: Mietzuschüsse bei hoher Belastung, die Aussetzung automatischer Mieterhöhungen und strengere Prüfpflichten gehören zu den eingeführten Instrumenten.
Diese Maßnahmen zielen darauf ab, den Bestand zu stabilisieren und Haushalte mit geringem Einkommen gezielter zu unterstützen. Dennoch reicht der Effekt bislang kaum aus, um die jährlichen Verluste zu kompensieren.
Ein schleichender Rückgang: Verlust von Sozialwohnungen seit den 1990er Jahren und regionale Unterschiede
Anfang der 1990er-Jahre verfügte Berlin über fast 350.000 Sozialwohnungen. Heute sind es weniger als 86.000. Allein zwischen 2017 und 2023 entfielen in Berlin und Brandenburg mehr als 46.000 Wohnungen aus der Bindung – der Trend hält an.
Besonders betroffen sind Stadtteile wie die Gropiusstadt in Neukölln, wo der Anteil der Sozialwohnungen von einem Drittel (2010) auf nur noch 4,4 Prozent (2023) fiel. Auch in Marienfelde, Kreuzberg-Nord, im Märkischen Viertel und Spandau schrumpfte der Bestand deutlich. Einzige Ausnahme ist Hellersdorf, wo zuletzt über 1.100 neue Sozialwohnungen entstanden.
Hoher Bedarf, begrenztes Angebot: Die wachsende Lücke im Berliner Sozialwohnungsmarkt
Zwar verfügen rund 50.000 Haushalte laut Senatsverwaltung über einen gültigen Wohnberechtigungsschein (WBS). Tatsächlich wäre jedoch mehr als die Hälfte aller Berliner Haushalte anspruchsberechtigt – etwa 1,1 Millionen. Grund dafür ist die zuletzt angehobene Einkommensgrenze – sie macht das Ausmaß der Versorgungslücke deutlich.
Die aktuelle Neubauquote von rund 5.000 geförderten Wohnungen pro Jahr reicht lediglich aus, um den weiteren Rückgang abzufedern. Ohne grundlegende Reformen wird der Bestand in den kommenden Jahren weiter stagnieren – trotz steigender Fördersummen und wachsendem Bedarf.
Ursachenanalyse: Systemische Schwächen im Fördermodell für den Bau von Sozialwohnungen
Ein zentrales Problem ist die befristete Sozialbindung. Meist endet sie nach 20 bis 30 Jahren. Bei vorzeitiger Rückzahlung von Fördermitteln verkürzt sich die Laufzeit nochmals. Die Wohnungen können anschließend zu Marktpreisen weitervermietet werden – ein Vorgang, den Experten wie Matthias Bernt vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung als „Investitionsförderung mit sozialer Zwischennutzung“ (gegenüber dem rbb) kritisieren.
Zudem setzten frühere Förderprogramme zu stark auf private Träger und kurzfristige Anreize. Gemeinwohlorientierte Akteure wie Genossenschaften oder Stiftungen erhielten bislang vergleichsweise wenig strukturelle Unterstützung.
Schneller und günstiger: Modularbau als möglicher neuer Lösungsansatz?
Ein Ansatz zur Beschleunigung und Kostenreduktion ist der serielle Wohnungsbau. In Berlin-Lichtenberg entstehen derzeit durch die landeseigene Gewobag 1.500 Sozialwohnungen in Modulbauweise. Vorgefertigte Raumelemente werden vor Ort montiert – das spart Zeit, Fachkräfte und Geld.
Mit Baukosten von rund 2.000 Euro pro Quadratmeter gilt das Verfahren als effizient. Gleichzeitig bleiben Herausforderungen: Nachverdichtungen im Bestand und innerstädtische Lagen sind nur bedingt für den Modulbau geeignet. Zudem warnt die IG BAU vor Qualitätsverlusten und schlechteren Arbeitsbedingungen.
Standards senken? Wie vereinfachte Bauvorschriften den Wohnungsbau beschleunigen sollen
Auch auf Ebene der Bauvorschriften wird über Reformen diskutiert. In Schleswig-Holstein wurden Schallschutz, Stellplatzverpflichtungen und andere Anforderungen bereits reduziert. Ziel ist es, Baukosten zu senken und damit mehr Sozialwohnungen zu ermöglichen.
In Berlin laufen ähnliche Überlegungen. Doch ob Einsparungen bei Fenstern, Wänden oder Balkonen langfristig zu mehr bezahlbarem Wohnraum führen, bleibt umstritten. Solange Förderbindungen auslaufen, verpuffen auch günstige Neubauten nach einigen Jahrzehnten.
Schärfere Sanktionen gegen Zweckentfremdung geförderter Wohnungen
Der Berliner Senat hat kürzlich die Sanktionen für missbräuchlich vermietete Sozialwohnungen deutlich verschärft. Bußgelder können nun bis zu 100.000 Euro betragen. Zudem dürfen bei Verstößen künftig 15 Euro pro Quadratmeter monatlich vom Land eingezogen werden – zuvor waren es nur fünf Euro.
Auch bei Mietzuschüssen wurde nachgesteuert: Wer bereits bundesrechtliches Wohngeld erhält, hat künftig keinen Anspruch mehr auf den landeseigenen Zuschuss. Das Ziel ist eine effizientere Steuerung und der Abbau paralleler Förderstrukturen.
Strukturelles Dilemma: Warum Reformen allein nicht ausreichen werden
Der soziale Wohnungsbau in Berlin steht vor einem strukturellen Dilemma. Trotz Förderung, Rückkäufen und neuen Bauformen bleibt der Bestand weitgehend konstant – zu viele Bindungen laufen aus, zu wenig wird langfristig gesichert.
Reformen bei der Förderpraxis, eine stärkere Rolle gemeinwohlorientierter Akteure und dauerhafte Sozialbindungen könnten den Trend langfristig bremsen. Doch der Weg dahin bleibt steinig – und dringend.
Quellen: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, rbb, Gewobag, Tagesspiegel,