Einst boten sie bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten – heute sind Sozialwohnungen in Berlin Mangelware. Seit der Wende hat die Hauptstadt drei Viertel ihrer geförderten Wohnungen verloren. Warum dieser Rückgang kein Zufall ist, zeigt der erste Teil unserer Reihe „Sozialwohnungen in Berlin“.

Seit 1990 sind in Berlin über 250.000 Sozialwohnungen aus der Bindung gefallen. Besonders stark betroffen sind Stadtteile wie die Gropiusstadt oder Marienfelde – trotz Neubauförderung bleibt der Bedarf groß. / © Foto: pixabay, Geraldfriedrich2
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Jeden Tag verliert Berlin ein Stück seines bezahlbaren Wohnraums. Durchschnittlich zwölf Sozialwohnungen fallen täglich aus der Bindung und stehen künftig nicht mehr zu vergünstigten Mieten zur Verfügung. In den vergangenen drei Jahrzehnten ist der Rückgang dramatisch ausgefallen: Von einst rund 350.000 Sozialwohnungen sind heute nur noch etwa 85.000 übrig.
Besonders sichtbar wird dieser Verlust in Stadtteilen wie der Gropiusstadt, Marienfelde oder Kreuzberg-Nord. Dort schrumpfte der Anteil sozial gebundener Wohnungen auf teils alarmierende Werte. In der Gropiusstadt etwa sank er von einem Drittel auf nur noch 4,4 Prozent. Ursache für diesen schleichenden Verlust ist ein System mit eingebauten Ablaufdaten.
Bezahlbar, aber befristet: Warum Sozialwohnungen in Berlin aus der Bindung fallen
Sozialwohnungen sind Menschen mit geringem Einkommen vorbehalten und ihre Mieten gesetzlich gedeckelt. Doch diese Bindungen sind befristet. Nach 20 bis 30 Jahren – oder früher, wenn Förderdarlehen abgelöst werden – enden diese Vorgaben. Eigentümer können die Wohnungen dann frei am Markt vermieten, oft zu deutlich höheren Preisen.
So schrumpft der Bestand an bezahlbarem Wohnraum seit Jahren stetig und verschärft die Wohnungsnot in der Hauptstadt weiter. Vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren verkaufte der Senat viele ehemals geförderte Wohnungen. Oft gingen sie an große Immobilienkonzerne. Dort stehen Rendite und Mietsteigerungen im Vordergrund. Investitionen in die soziale Nutzung sind selten.
Vom sozialen Zweck zum Renditeobjekt: Die Folgen politischer Entscheidungen der 1990er-Jahre
In West-Berlin sorgten einst Steuervergünstigungen für einen Boom beim sozialen Wohnungsbau. Viele Projekte entstanden mit öffentlicher Förderung. Im Osten hingegen blieben die meisten Wohnungen nach der Wende im Besitz von Genossenschaften oder landeseigenen Gesellschaften – allerdings ohne klassische Sozialbindung. Auch strukturelle Gründe beschleunigen den Verlust. Förderdarlehen werden oft vorzeitig abgelöst, was die Sozialbindung verkürzt. So wird der Bindungszeitraum auf zehn oder zwölf Jahre reduziert. Für viele Wohnungen bedeutet das das vorzeitige Ende als Sozialwohnung.
Seit 2014 wurden rund 14.000 neue Sozialwohnungen fertiggestellt. Fördermittel und Zuschüsse sollen den Neubau attraktiver machen. Für 2025 stellt der Senat rund 1,5 Milliarden Euro bereit. Über eine Neubauförderung entstehen wieder Sozialwohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung. Zudem sollen Zinssenkungen Eigentümer dazu bewegen, ihre Förderdarlehen nicht vorzeitig zurückzuzahlen. Trotz aller Maßnahmen bleibt die Lücke groß. Über die Hälfte der Berliner Haushalte hätte Anspruch auf eine Sozialwohnung.
5.000 neue Wohnungen jährlich — doch vorzeitige Rückzahlungen verkürzen die Bindungen weiter
Trotz neuer Förderprogramme bleibt der Rückgang der Sozialwohnungen spürbar. Zwar plant der Senat, jährlich rund 5.000 neue Einheiten zu schaffen, doch diese Zahl reicht lediglich aus, um den Wegfall auslaufender Bindungen auszugleichen. Ein deutlicher Zuwachs im Bestand ist damit nicht verbunden.
Gleichzeitig übersteigt der Bedarf die vorhandenen Kapazitäten bei weitem. Zwar verfügen aktuell nur etwa 50.000 Haushalte über einen gültigen Wohnberechtigungsschein (WBS), doch mehr als die Hälfte aller Berliner Haushalte wäre grundsätzlich berechtigt. Angesichts der im Vergleich zum freien Markt günstigen Mieten von durchschnittlich sieben Euro pro Quadratmeter bleibt die Nachfrage hoch – viele Anspruchsberechtigte gehen jedoch leer aus.
Verluste durch Systemfehler: Nur zusätzliche Förderung und langfristige Bindungen können gegensteuern
Der soziale Wohnungsbau steht damit unter erheblichem Druck. Der bestehende Bestand kann die Nachfrage nicht decken, was die angespannte Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt weiter verschärft. Die Ursachen für die Misere liegen in der Systematik selbst: Zeitlich befristete Bindungen und politische Entscheidungen der Vergangenheit führen dazu, dass Sozialwohnungen kontinuierlich aus dem Markt verschwinden.
Zwar wird inzwischen wieder gebaut, doch Neubau allein kann die Lücke nicht schließen. Fachleute fordern daher ergänzende Maßnahmen. Neben einer längerfristigen Bindung setzen sie auf eine stärkere Förderung gemeinwohlorientierter Träger wie Genossenschaften und Stiftungen.
Vergesellschaftung als Option: Politische Debatte über dauerhaft gesicherten Wohnraum
Auch die politische Debatte über die Zukunft des sozialen Wohnens ist längst eröffnet. Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ brachte die Frage der Vergesellschaftung auf die Agenda. Ein entsprechendes Gesetz ist derzeit in Arbeit. Sollte es umgesetzt werden, könnte es den Weg zu dauerhaft gesichertem Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten ebnen.
Das Volksbegehren fordert seit 2018 die Vergesellschaftung großer profitorientierter Wohnungsunternehmen in Berlin und erreichte im Jahr 2021 mit 59,1 Prozent Zustimmung einen erfolgreichen, jedoch rechtlich nicht bindenden Volksentscheid.
Trotz eines positiven Gutachtens zur Verfassungsmäßigkeit der Enteignung gemäß Artikel 15 Grundgesetz verzögert der Berliner Senat die Umsetzung, was zu Kritik an politischen Hinhaltetaktiken führt. Die Debatte polarisiert weiterhin: Befürworter sehen darin ein Mittel gegen steigende Mieten, während Gegner rechtliche und finanzielle Bedenken äußern.
Ausblick: Im zweiten Teil unserer Serie richten wir den Blick auf die landeseigenen Wohnungsunternehmen. Sie sind längst zu einem der wichtigsten Akteure im sozialen Wohnungsbau geworden.
Quellen: rbb, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, inberlinwohnen,de, Tagesspiegel, Wikipedia