Eine Studie des Mobility Institutes Berlin offenbart, dass in deutschen Großstädten der motorisierte Individualverkehr häufig deutlich schneller ist als der öffentliche Nahverkehr – und gibt Empfehlungen zur Verbesserung.
Die Reisezeit ist nicht das einzige, aber für viele Menschen das wichtigste Kriterium für die Verkehrsmittelwahl. Die vom in Berlin ansässigen Mobility Institute durchgeführte Mobilitätsstudie hat kürzlich aufgezeigt, dass der ÖPNV in deutschen Großstädten – auch in Berlin – mit dem Auto nicht konkurrieren kann, wenn man allein die reine Reisezeit betrachtet.
Natürlich handelt es sich hierbei um einen Durchschnittswert, der sich aus den Reisezeiten in Innenstadtbezirken und Außenbereichen der Städte zusammensetzt. Aber vor allem in Berlin, der flächen- und bevölkerungsmäßig größten deutschen Stadt, gehören die Bezirke außerhalb des S-Bahnrings natürlich mit zu dieser Studie und beeinflussen das Ergebnis maßgeblich.
Zahl der Autos in Großstädten wächst weiter
Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl der Autos selbst in den Großstädten weiter wächst, vielerorts sogar schneller als die Zahl der Einwohner*innen. Das Auto ist für die meisten Strecken schlichtweg die schnellste Wahl. Auf dem Land gilt das sowieso, aber auch in den Ballungsgebieten mit gut ausgebautem Nahverkehr.
Mit Blick auf die gewünschte und aus ökologischer Sicht auch unbedingt notwendige Verkehrswende sind das natürlich deprimierende Zahlen. Fraglich ist nur: Was ist der Grund dafür, dass der öffentliche Nahverkehr im Vergleich so schlecht abschneidet?
Die elf größten deutschen Städte im Vergleich
Das Unternehmen Mobility Institute berät Nahverkehrsbetriebe wie die Hamburger Hochbahn und die Berliner BVG. Der Auswertung zufolge benötigt man in den elf größten deutschen Städten im Schnitt doppelt so lange wie mit dem Auto, um mit Bus und Bahn zum Zielort zu gelangen, selbst an Tagen ohne Streik.
Die Unterschiede zwischen den Städten sind dabei eher gering. In München und Stuttgart ist man mit dem Nahverkehr vergleichsweise am schnellsten, braucht durchschnittlich 1,94-mal so lange wie mit dem Auto. In Hamburg ist die Differenz am größten, hier dauert es 2,24-mal länger.
Schwächen des ÖPNV sollen aufgezeigt werden
Allerdings: Fahrradfahren wurde nicht in die Analyse einbezogen, da das Mobility Institute mit der vorliegenden Studie auf die Schwachstellen des öffentlichen Nahverkehrs hinweisen will. Das ist durchaus ein signifikanter Schwachpunkt der Analyse.
Der ÖPNV hat seit jeher den entscheidenden Nachteil, dass er eben kein Individualverkehr ist. Er kann keine direkten Verbindungen von Tür zu Tür anbieten, fast immer ist er mit Fußwegen, Umstiegen und Wartezeiten verbunden. Und er ist vor allem dann besonders schwach, wenn kein eigenes, autarkes Schienennetz vorhanden ist. So stecken Bus- und Tramlinien häufig im Verkehrsstau fest.
Wie kann der Öffentliche Nahverkehr optimiert werden?
Aber es gibt auch Vorschläge des Instituts zur Verbesserung des ÖPNV, um ihn deutlich wettbewerbsfähiger zu machen. Hier eine Auswahl der Vorschläge:
Mehr Schienenstrecken
Der ÖPNV ist besonders schnell, wenn er auf eigenen Strecken unabhängig vom Straßenverkehr ist. In den Städten werden mehr ÖPNV-Strecken mit U-, S- und Straßenbahnlinien – mit eigenem Gleisbett – benötigt.
„Grüne Welle“ für Bus und Bahn auf den Straßen
ÖPNV-Fahrzeuge müssen durch gesteuerte Ampelschaltungen bevorzugt werden und sollten zukünftig nur noch an Haltestellen anhalten. Die „Grüne Welle“ sollte für Straßenbahnen durch eine eigene Fahrspur und für Busse durch „Busschleusen“ vor Kreuzungen gewährleistet werden.
Weniger Umwege und Umstiege
Im ÖPNV sind zum Teil größere Umwege und mehrfache Umstiege erforderlich, um ans Ziel zu gelangen. Durch veränderte Linienführungen und zielgerichtete Lückenschlüsse im Netz lassen sich ÖPNV-Wege deutlich verkürzen – und so Zeit sparen.
Der Wille zum Wandel prallt auf harte Realitäten
In Berlin ist das Thema Mobilität ein ausgesprochen intensiv diskutiertes Thema, da sich viele der oben beschriebenen Tatsachen auch in der Hauptstadt wiederfinden, aber dennoch der Wille zum Wandel bei vielen Menschen vorhanden ist.
Dieser Wille stößt aber eben oft auch auf die oben beschriebenen Realitäten. Und das, obwohl der ÖPNV im Berliner Innenstadtbereich zu den am besten ausgebauten Verkehrsnetzen der Welt zählt und die Taktung vor allem des U-Bahnnetzes sehr dicht ist.
Rot-Rot-Grün hat punktuell, aber nicht flächendeckend an der Verkehrswende gearbeitet
Aber es ist eben nur die halbe Wahrheit, denn vor allem in den dünner besiedelten Außenbezirken sind die Wege zu den Stationen und Haltestellen der BVG und S-Bahn sehr viel weiter als im Stadtzentrum. Dennoch hat die rot-rot-grüne Regierung in den vergangenen vier Jahren vor allem bei der Entwicklung innenstadtferner Wohnquartiere wie dem Pankower Tor, dem ehemaligen Güterbahnhof Köpenick oder den Marienhöfen auf das Thema autoarme Infrastruktur gesetzt.
Beim Ausbau des Schienennetzes hingegen, einem zentralen Thema der Mobilitätswende, kommt die Stadt trotz wichtiger Projekte wie der Anbindung des Hauptbahnhofs an die Ringbahn oder der Verlängerung der M10 bis nach Neukölln und zur Turmstraße nur langsam voran.
Der Ausbau von U-Bahnlinien kommt kaum voran
Wichtige Infrastrukturprojekte wie die Verlängerung oder der Neubau von U-Bahnlinien werden vor allem aus Kostengründen gescheut, dabei zeigt die Verlängerung der Linie U5 zum Hauptbahnhof schon jetzt, wie viel schneller der Weg durch die Innenstadt durch die neue Strecken-Alternative sein kann.
Neben den hohen Kosten sind solche Baumaßnahmen allerdings auch nicht sehr populär bei den betroffenen Anwohner*innen, die sich auf jahrelange Baustellen einstellen müssen und nicht selten gegen entsprechende Bauvorhaben vorgehen – wie beispielsweise das mühsame Beispiel Tram-Verlängerung durch die Friedrichshainer Sonntagstraße zeigt.
Aufgabe für die Zukunft: Attraktiver und schneller ÖPNV
Der im September neu zu wählende Berliner Senat sollte die Studie des Mobility Institutes jedenfalls sehr genau analysieren, um die richtigen Konzepte für die Mobilitätsstrategie der Zukunft entwickeln zu können.
Die Zukunft kann nicht das Auto sein, darin sind sich viele einig. Aber wenn die Menschen vom Auto auf den ÖPNV umsteigen sollen, müssen die Angebote attraktiv und vor allem schnell sein. Eine große Aufgabe in dieser großen Stadt.
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Problem von Bus und Tram: Sie stecken häufig im Verkehrsstau und sind daher viel zu langsam.
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12. Oktober 2024