In Marzahn entsteht ein neuer Aldi-Markt auf einer Fläche, die im Flächennutzungsplan für die Nahverkehrstangente Ost (NVT) vorgesehen ist. Trotz bestehender Verkehrsplanungen wurde eine Baugenehmigung erteilt – was die Frage aufwirft, wie es um die Zukunft des Berliner Nahverkehrs im Osten steht.
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Ein Baukran an der Märkischen Allee 59 in Marzahn kündigt einen neuen Supermarkt an – doch genau dort sollte eigentlich eine zentrale S-Bahn-Verbindung verlaufen. Das Gelände gehört zur Trasse der geplanten Nahverkehrstangente Ost, einem lang diskutierten Infrastrukturprojekt zur besseren Anbindung des Berliner Ostens.
Das Vorhaben, eine Aldi-Filiale auf dieser Fläche zu errichten, sorgt nun für Diskussionen. Denn die Baugenehmigung wurde trotz der planerischen Widmung als Bahntrasse erteilt. Der Fall wirft grundlegende Fragen zur Abstimmung zwischen Bezirken und Senat auf – und zur Durchsetzbarkeit langfristiger Stadtentwicklungsziele.
Supermarkt auf Bahnfläche an der Märkischen Allee? Ein Verwaltungsfehler mit Folgen
Die betroffene Fläche an der Märkischen Allee ist seit Jahrzehnten im Flächennutzungsplan als Bahntrasse ausgewiesen. Sie gehört zur geplanten Nahverkehrstangente Ost (NVT), einer neuen S-Bahn-Strecke von Pankow über Marzahn bis nach Treptow-Köpenick. Doch wie einem Dokument der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen zu entnehmen ist, befindet sich das Grundstück in privatem Besitz. Die Eigentümerin, die KGG GmbH & Co KG, habe im August 2024 eine rechtlich gültige Baugenehmigung für ein Geschäftshaus mit Supermarkt erhalten.
Das Bezirksamt hatte bereits 2021 einen positiven Bauvorbescheid erteilt. Demnach gebe es „keine rechtliche Grundlage zur Versagung des Vorhabens“. Zwar wurde die Senatsverwaltung für Verkehr informiert, nicht jedoch die eigentlich zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Dies widerspricht der gesetzlichen Pflicht zur Einbindung übergeordneter Behörden bei potenziellen Konflikten mit stadtweiten Planungen, so die Berliner Morgenpost.
Die Nahverkehrstangente Ost: Rückgrat für die Mobilitätswende im Osten
Die NVT ist Teil des Infrastrukturprogramms „i2030“ und soll den Berliner Osten besser an das S-Bahn-Netz anbinden. Geplant ist eine Trasse entlang des Berliner Außenrings, mit neuen Stationen unter anderem in Parkstadt Pankow, Biesdorf Süd und am Karower Kreuz. Die geplante Verlängerung der S75 im Berliner Nordosten wurde bereits ausgeschrieben und könnte die Anbindung wachsender Stadtteile deutlich verbessern.
Derzeit befinden sich die Planungen im Vorbereitungsstadium. Erste Abschnitte könnten frühestens ab 2033 in Betrieb gehen. Doch gerade die langfristige Natur solcher Projekte erfordert vorausschauende Flächensicherung. Die Bebauung einer Schlüsselparzelle mit einem Discounter steht exemplarisch für die Herausforderungen, mit denen städtebauliche Langfristplanung in einem fragmentierten Verwaltungsgefüge konfrontiert ist.
Rechtliche Komplexität und politische Verantwortung: Bau des Supermarkts kaum noch aufzuhalten
Der Fall offenbart ein strukturelles Problem: Der Bezirk war nicht verpflichtet, die Baugenehmigung zu versagen, da kein förmliches Planfeststellungsverfahren für die S-Bahn-Trasse vorlag. Eine befristete Nutzung wurde zwar von der Verkehrsverwaltung als denkbar eingestuft, doch laut Bezirksamt wäre eine solche Einschränkung rechtswidrig gewesen.
Die Versäumnisse bei der Abstimmung zwischen den Behörden führten dazu, dass der Bau des Supermarktes nun kaum noch aufzuhalten ist. Eine Rücknahme der Genehmigung ist nach Einschätzung der Senatsverwaltung rechtlich nicht möglich. Langfristig könnte eine Enteignung erforderlich werden – mit unklaren Kosten und Folgen für den Zeitplan der NVT.
Kritik aus der Politik und von Verkehrsverbänden: So äußern sich die Beteiligten
Verkehrspolitische Sprecher und Verbände äußern sich kritisch. Sie sehen in dem Vorgang ein Beispiel für mangelnde Priorisierung öffentlicher Mobilitätsinteressen gegenüber kurzfristiger Nutzung. Die Initiative „Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg“ spricht von einem eklatanten Planungsversagen, das zentrale Zukunftsprojekte gefährde.
Auch der Linken-Abgeordnete Kristian Ronneburg übt scharfe Kritik an der Rolle des Bezirksamts. Die politische Zielsetzung der NVT stehe im Widerspruch zur tatsächlichen Entwicklung vor Ort. Gleichzeitig sieht er das Projekt insgesamt nicht gefährdet – wenn auch mit höherem finanziellen und organisatorischen Aufwand. Ähnliche Probleme zeigen sich auch beim Projekt Tangentialverbindung Ost (TVO), einer seit Jahrzehnten geplanten Schnellstraße im Berliner Südosten, deren Umsetzung mehrfach verschoben wurde. Wie es nun mit den Projekten weitergeht, bleibt vorerst abzuwarten.
Quellen: Berliner Morgenpost, Berliner Kurier, Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen