Die schwarzrote Regierungskoalition strebt einen Masterplan für die Entwicklung der historischen Mitte Berlins an, während der landeseigene Projektentwickler „Grün Berlin“ die ursprünglichen Planungen für die Schaffung einer Grünfläche konsequent weiterverfolgt. Gestern präsentierte das Unternehmen den aktuellen Projektstand: der Baustart soll im kommenden Jahr erfolgen. Aber der Interessenkonflikt bleibt weiter bestehen.
© Visualisierungen: Grün Berlin GmbH
Text: Björn Leffler
Wie wird es weitergehen in Berlins historischer Mitte? Diese Frage darf man sich getrost stellen, wenn man die aktuellen Entwicklungen rund um den Stadtraum zwischen Molkenmarkt, Humboldt Forum und Marienkirche betrachtet.
Auf eben jenem Gelände stand bis zum Zweiten Weltkrieg – und teilweise auch noch einige Jahrzehnte danach – Berlins historische Altstadt, von der heute jedoch fast nichts mehr zu finden ist. Die Stadtplanung der vergangenen Jahrzehnte hat die Spuren der historischen Bebauung fast unsichtbar gemacht.
Seit 2016 wurde die Entwicklung des Rathausforums vorangetrieben
In einem jahrelangen Beteiligungsverfahren hatten die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen sowie der Bezirk Mitte ermittelt, wie die Zukunft des Areals gestaltet werden soll – und wie nicht.
Auf Basis von mühsam erarbeiteten Bürgerleitlinien kam ein Konzept heraus, welches aus dem einstigen Altstadt-Areal eine Grünfläche machen soll. Im Grunde ist dieses Konzept keine gravierende Veränderung des bestehenden Areals, denn bereits heute sind weite Teile des Geländes begrünt oder als Freiraum angelegt, als Folge der Neugestaltung des Areals in den 1960er und 1970er Jahren.
Freiraum zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche soll neu gestaltet werden
Dieser Freiraum soll also in den vergangenen Jahren modernisiert, neu gestaltet und erweitert werden. Was im östlichen Zentrum Berlins entstehen soll, ist eine öffentlich nutzbare, moderne Grünfläche.
Diese Entscheidung hatte jedoch gleich verschiedene Stürme der Entrüstung von mehreren Seiten verursacht, da viele Gruppen, Initiativen und Bürgervereine eine historische oder zumindest historisch orientierte Bebauung des Areals forderten – und dies bis heute fordern.
Aktueller Plan: Ab 2024 soll das Rathausforum-Gelände umgebaut werden
Von ihrem Konzept rückte die Senatsverwaltung der rot-grün-roten Vorgängerregierung jedoch nicht mehr ab. Denn es ging letztlich hervor aus vielen Wünschen der Beteiligten in den Bürgerforen, die sich mehr grün und weniger Verkehr in diesem Bereich wünschten.
Ab 2024 sollte der Umbau der Fläche nach ursprünglichem Planungsstand also beginnen. Seit der Wiederholungswahl im Februar jedoch sind CDU und SPD im Rahmen ihrer schwarzroten Regierungskoalition dabei, zahlreiche Stadtentwicklungsprojekte der Vorgängerregierung einzukassieren.
Das passiert derzeit etwa mit einem Großteil der in den Berliner Bezirken geplanten Fahrradwegprojekte, die von der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) auf Eis gelegt wurden.
Berlin-Mitte: Die große Koalition hat für das Rathausforum völlig andere Pläne
Und auch für das Rathausforum in Berlin-Mitte hat die neue Regierung offenbar ganz andere Pläne. Bereits Ende Januar 2023 hatten wir erstmals darüber berichtet, dass es in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, genauer gesagt bei Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt, mögliche Bestrebungen gibt, die zukünftige Bebauung der Berliner Innenstadt noch einmal neu anzugehen.
Befeuert wurden diese Planspiele offenbar durch die im vergangenen Jahr gegründete Stiftung Mitte Berlin, die sich für eine Bebauung der historischen Berliner Innenstadt nach dem Vorbild des Stadtbilds der 1920er Jahre einsetzt. Die Unternehmerin und Autorin Marie-Luise Schwarz-Schilling hat die Stiftung gegründet.
Koalitionsvertrag: städtebaulicher Masterplan für Berlins historische Mitte
Schon im Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD angekündigt, einen städtebaulichen Masterplan für die historische Mitte der Hauptstadt auf den Weg bringen zu wollen. Die Vergabeunterlagen für die Erstellung eines sogenannten “Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts” für den Bereich Historische Mitte Berlin stehen seit dem 11. Mai 2023 online. Damit ist die Erstellung eines Masterplans offiziell ausgeschrieben.
Ungeachtet dessen gibt es für das Areal ein gültiges Entwicklungskonzezt, auf Basis des 2021 gekürten Siegerentwurfs von RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten, welcher vom landeseigenen Unternehmen Grün Berlin in den vergangenen zwei Jahren weiterentwickelt und konkretisiert worden ist.
Rathausforum: „Grün Berlin“ hält am bisherigen Entwicklungskonzept fest
Im Rahmen einer öffentlichen Informationsveranstaltung haben am gestrigen Dienstag die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt sowie Grün Berlin den aktuellen Planungsstand zur Neugestaltung des Rathausforums vorgestellt.
Dabei wurde deutlich, dass die Projektpartner von der ursprünglichen Planung nicht abweichen wollen. Die weiter ausgearbeiteten Planungen sehen eine barrierefreie Erschließung des Spreeufers, Freizeit-, Sport- und Spielplätze in den seitlichen Baumhainen sowie ein innovatives Regenwassermanagement vor – aber keine Altstadt-Rekonstruktion.
Berlin-Mitte: Rund 5.000 Quadratmeter Fläche sollen entsiegelt werden
Die Vorplanung für das Projekt wurde nun im Mai 2023 abgeschlossen. Die denkmalgeschützten Bereiche des Rathausforums und des Marx-Engels-Forums sollen nach Plänen von Grün Berlin künftig zu einem durchgehenden Freiraumband verbunden werden, welches vom Alexanderplatz bis zur Spree führen soll.
Zentrale Flächen des mehr als sieben Hektar großen Areals sollen im Zuge des Umbauprojekts entsiegelt werden (insgesamt 5.000 Quadratmeter). Die heute relativ steile Böschung zum Spreeufer soll zukünftig deutlich flacher ausgebildet und mit einer neuen Stufenanlage ausgestattet werden.
Mit Rampe: Böschung zum Spreeufer soll neu gestaltet und weniger steil werden
Eine Rampe soll dabei für die barrierefreie Erschließung des Uferbereichs sorgen und überwindet den Höhenunterschied von rund 3,50 Metern vom Spreeufer bis zur Platzfläche des Marx-Engels-Forums. Eine Möglichkeit zur Abkühlung soll am Fuß der Treppenanlage künftig ein Wasserspiel mit erfrischenden Fontänen oder Nebelwolken bieten.
In den Seitenbereichen des Rathaus- und Marx-Engels-Forums sollen eine Vielzahl an Nutzungsangeboten für alle Altersgruppen geschaffen werden. Am Nikolaiviertel soll beispielsweise ein neuer, rund 3.400 Quadratmeter großer Spielbereich für Kinder von drei bis zwölf Jahren entstehen.
Regenwassermanagement soll Rathausforum zur „Schwammstadt“ machen
Ein innovatives System zum Regenwassermanagement und zur Versickerung soll das Areal in eine nachhaltige „Schwammstadt“ transformieren. Anstatt über die Kanalisation abzufließen, bleibt das Regenwasser vor Ort und wird direkt auf der Grünfläche genutzt, verdunstet oder trägt zur Grundwasserbildung bei – und soll somit gleichzeitig die Kanalisation entlasten.
Für das Land Berlin soll Grün Berlin in den kommenden Jahren die Bauherrenfunktion und das Gesamtprojektmanagement übernehmen, knapp 40 Millionen Euro sollen in den Umbau investiert werden. Die Kosten sollen aus dem Förderprogramm Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)“ sowie aus Investitionsmitteln des Landes Berlin gestemmt werden.
Zum Interessenkonflikt um die historische Altstadt äußert sich „Grün Berlin“ nicht
Zum derzeit schwelenden Interessenkonflikt wollten sich Vertreter von Grün Berlin bislang aber nicht äußern. Das Unternehmen machte am gestrigen Abend aber deutlich, dass es an der bestehenden Planung festhält und die Entwicklung des Rathausforums zu einer Grünfläche unvermindert vorantreibt.
Ab dem kommenden Jahr sollen die ersten Bauarbeiten beginnen – zumindest ist das der heutige Stand. Es wäre jedoch nicht vollkommen überraschend, wenn es vielleicht doch noch anders kommt. Derzeit scheint in der schwarzroten Regierungskoalition ja vieles möglich.
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Quellen: Architektur Urbanistik Berlin, Berliner Morgenpost, Der Tagesspiegel, Grün Berlin, Bezirksamt Mitte, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
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