Im Neuköllner Rollbergkiez entsteht ein innovatives Zukunftsprojekt in einem ehemaligen Getränkelager der früheren Kindl-Brauerei. Die Vollgut-Genossenschaft entwickelt 25.000 Quadratmeter Fläche nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und plant, bezahlbare Gewerbemieten dauerhaft zu sichern.

Vorplatz der Lagerhalle: Hier finden regelmäßig Flohmärkte statt, es gibt Sitzgelegenheiten und sogar ein kleines Café. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
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Ein großes Gewerbegelände mitten in Berlin-Neukölln, selbstverwaltet von seinen Mieterinnen und Mietern und zugleich ein Motor für gemeinnützige Projekte im Kiez – das ist die Grundidee der Vollgut-Genossenschaft. Das gleichnamige ehemalige Getränkelager der früheren Kindl-Brauerei im Neuköllner Rollbergkiez soll zu einem lebendigen Ort transformiert werden, der unterschiedlichste Nutzungen vereint: Geplant sind unter anderem Sportangebote, Gastronomie, Kiezräume, Kinderbetreuung und vieles mehr.
Umweltfreundliche Grundprinzipien: Wie ein ehemaliges Getränkelager in Neukölln transformiert wird
Das größte Potenzial für nachhaltiges Bauen stecke im Erhalt bestehender Strukturen, betont die Genossenschaft. Durch die Weiternutzung des ehemaligen Lagers werden Rohstoffe und Energie gespart sowie Bauabfälle vermieden, die bei einem Abriss entstehen würden. Die Vollgut-Genossenschaft bewahrt daher möglichst viel der vorhandenen Bausubstanz und gibt Materialien aus anderen Projekten ein zweites Leben, anstatt neu zu kaufen.
Damit will das Projekt neue Maßstäbe in einer zeitgemäßen Architekturpraxis setzen und positioniert sich bewusst gegen die herkömmliche Baubranche, die als einer der größten Umweltverschmutzer gilt und für 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Die Sanierung soll lichtdurchflutete Innenhöfe und öffentlichen Raum schaffen und viele Flächen für Gewerbe nutzbar machen.
Innovatives Konzept im Rollbergkiez: „Lokalwohl“ statt Gemeinwohl als Grundidee
Die Vollgut-Genossenschaft vertritt einen neuen Ansatz, den sie als „Lokalwohlorientierung“ bezeichnet – eine Vertiefung des Gemeinwohlgedankens mit lokalem Fokus. Asli Varol und Simon Lee vom Vorstand der Trnsfrm eG, aus der die Vollgut-Genossenschaft entstanden ist, erklären, dass nicht nur die Mieten für Wohnungen, sondern auch für Gewerbeflächen stetig steigen. Für viele Vereine, Initiativen und andere Gewerbebetriebe werde es zunehmend schwieriger, bezahlbare Räume zu finden.
Besonders betroffen seien jene Akteure, die für eine funktionierende Nachbarschaft wichtig sind: soziale Einrichtungen, Werkstätten, kleine Kiezgewerbe und Sportangebote. Genau hier will die Vollgut-Genossenschaft ansetzen: Die Gewerbetreibenden werden Mitglieder und zahlen einen Genossenschaftsanteil, der sich an der Größe der Fläche sowie der Lage bemisst. Der festgelegte Mietpreis soll deutlich unter dem marktüblichen liegen.
Vielfältige Nutzung und Finanzierungsmodell: Das sind die künftigen Mitglieder und Nutzer
Nach mehreren Jahren Vorbereitungszeit wurde die Genossenschaft im Herbst 2024 gegründet. Zu den Mitgliedern und künftigen Nutzer und Nutzerinnen zählen unter anderem eine gemeinnützige Filmschule, eine Kita, eine koreanische Markthalle, die Werkstätten einer humanitären Hilfsorganisation, eine Boulderhalle und ein Cateringunternehmen. Auch der Club Schwuz sowie die queeren Archive FFBIZ, Spinnboden und die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sind Teil des Projekts. Aktuell sind noch nicht alle Flächen vergeben. Wer den Anforderungen der Genossenschaft entspricht, kann sich noch auf Fläche bewerben.
Die Finanzierung stellt eine große Herausforderung dar. Um die Preise möglichst niedrig zu halten, sind nur geringe Umbauten am Gebäude geplant. Dennoch kalkuliert die Genossenschaft mit Kosten in Höhe von rund 50 Millionen Euro. Ein Teil davon kommt aus dem Eigenkapital der Mitglieder, der größte Teil über Kredite. Etwa zehn Millionen Euro muss die Genossenschaft noch bei Investoren und Investorinnen einwerben. Davon hängt letztlich das Gelingen des gesamten Projekts ab.
Bezahlbare Kultur- und Gewerbeflächen dauerhaft sichern: Modellcharakter für zukünftige Stadtentwicklung
Das Vollgut-Areal wird als „großer Bruder“ des bereits realisierten „Crclr House“ beschrieben, bei dem die Trnsfrm eG überwiegend recycelte Baustoffe und eine ökologische Bauweise aus Holz, Lehm und Stroh verwendete. Dieses beherbergt ein Café, ein interkulturelles Wohnprojekt und Coworking-Plätze.
Mit dem Vollgut-Projekt entsteht ein Modell, das zeigen soll, wie Stadtentwicklung anders funktionieren kann: nicht profitorientiert, sondern am Wohl aller Beteiligten ausgerichtet. Die Genossenschaft handelt im Interesse der Menschen, die das Gebäude nutzen: durch niedrige Baukosten und passgenaue Nutzungskonzepte. Sie unterstützt die Nachbarschaft mit solidarischen Mietzuschlägen, aus denen soziale und kulturelle Projekte finanziert werden. Und sie schafft einen Mehrwert für alle, indem sie Kultur- und Gewerbeflächen in zentraler Lage dauerhaft sichert, Arbeits- und Ausbildungsplätze schafft und Räume öffnet, die auch ohne Konsum zugänglich sind.

Die ehemalige Lagerhalle hat eine enorme Fläche von über 15.000 Quadratmetern. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Es finden schon jetzt regelmäßige Veranstaltungen im Hof statt. Eine gute Möglichkeit den Ort zu beleben und Austausch zu fördern. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
Quellen: Vollgut, Tagesspiegel, Deutschlandfunk, architektur-urbanistik.berlin