Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann für das Haus Vaterland eine Phase tiefgreifender Umbrüche. Arisierung, Entlassungen und ideologisch gelenkte Kunst führten zur systematischen Umgestaltung eines einst weltoffenen Vergnügungstempels, der sein letztes großes Highlight während der Olympischen Spiele 1936 erleben sollte. Jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Die Geschichte des Haus Vaterland zeigt exemplarisch, wie Kultur, Gastronomie und Gesellschaft durch das NS-Regime gleichgeschaltet wurden. Jüdische Eigentümer und Künstler verschwanden, deutsche Marschmusik und Zwangsverkäufe traten an ihre Stelle. / © Foto: Wikimedia Commons
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Die Machtübernahme der Nationalsozialisten, die spätestens im Sommer 1934 nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg und Hitlers Ernennung zu seinem Nachfolger die totale Herrschaft im Deutschen Reich bedeutete, änderte vieles im gesellschaftlichen Kontext.
Das betraf natürlich auch das Haus Vaterland mit all seinen Facetten und hauptsächlich im künstlerischen Bereich. Das bisher doch recht differenziert und breit dargebotene Programm wurde insofern verändert, indem ab sofort „deutsch-nationale Kunst“ das Aufführungsrepertoire dominierte. Die vorher dargebotene Kunst galt in den Augen der Nazis als „entartet“. Aufgrund der neuen Staatsideologie begann mit der Arisierungswelle auch der Abschied von den Künstlern, die nicht „arischer Herkunft“ waren und die nicht mehr auftreten durften.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten: Beginnender Abstieg der jüdischen Besitzer
Und die Firma Kempinski, die die Betriebsführung innehatte und bis zur erforderlichen Restrukturierung des Hauses einen großen finanziellen Erfolg verbuchen konnte, sah sich mit der Tatsache konfrontiert, dass den neuen Machthabern dieser jüdische Familienbesitz ein Dorn im Auge war.
Diese für die Familie Kempinski im Hintergrund lauernde permanente Gefahr trat nicht sofort und unmittelbar zutage, aber der schleichende Prozess von der Machtübernahme der Nationalsozialisten bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs verschärfte sich ab Mitte der 1930er-Jahre. Im Zuge des sich verschärfenden Prozesses der „Arisierung“ übernahm 1937 der Gastronomiebetrieb Aschinger die jüdische Firma Kempinski und taufte die Betreibergesellschaft auf „Betrieb Borchardt“ um.
Haus Vaterland am Potsdamer Platz: Erzwungener Austausch der Führungskräfte
Aber auch leitende Angestellte des Hauses, wie Hermann Feiner, der von Leo Kronau, dem „Schöpfer“ des Hauses Vaterland, bereits 1928/29 die Leitung des Hauses übernommen hatte, wurden entlassen. Diese rassistische Ausgrenzung, wenn auch nicht ganz so brutal, setzte sich fort und betraf etwas später auch die schwarzen Musiker und Angestellten, deren Darbietungen als „Negermusik“ und „rassisch minderwertig“ abgetan wurden. Einige dieser auch sehr bekannten Jazz-Größen verblieben vorerst in Deutschland, andere wiederum verließen das Land umgehend.
Allein die Aufzählung dieser Beispiele ist in ausreichendem Maße Beweis dafür, welche Bedeutung der Umbruch in den politischen Verhältnissen für das Haus Vaterland mit sich brachte.
Aufgrund der Regelungen der Reichskulturkammer wurden jüdische und schwarze Künstler entlassen und durch Künstler mit einem „Ariernachweis“ ersetzt. Die bisherigen künstlerischen Zugnummern des Hauses, wie etwa zeitgenössischer und moderner Jazz, wurden aus dem Programm eliminiert – ersetzt durch deutsche Unterhaltungsmusik.
Restrukturierung des Haus Vaterland ab Mitte der 1930er Jahre
Als der bereits erwähnte Sanierungsplan Mitte der 1930er-Jahre aufgelegt wurde, brachte dies allerdings tiefere Einschnitte und Veränderungspotenzial im Haus Vaterland und begann zeitlich eigentlich, bevor die „Arisierungswelle“ einsetzte.
Diese Sanierung oder Restrukturierung des Hauses führte zu einem rationaleren Betriebsablauf und zu einer Verschlankung auf der Managementebene. Die drei bis dato verantwortlichen Manager des betriebswirtschaftlichen, gastronomischen und künstlerischen Bereichs wurden ab sofort in Personalunion von einer Führungsposition wahrgenommen, was dem Haus Vaterland große finanzielle Entlastungen und eine optimiertere Betriebsführung brachte.
Verschlankung der Prozesse unter dem neuen Leiter Richard Fleischer
Es ist anzunehmen, dass der nun alleinherrschende Generalmanager einen guten Draht zu den Nationalsozialisten hatte. Der damals starke Mann hieß Richard Fleischer, dem der Geschäftsführer Hans Kempinski diese Position nahegelegt hatte. Fleischer selbst war bereits seit 1926 im Unternehmen Kempinski und hatte das Restaurant Kempinski am Kurfürstendamm erfolgreich geleitet.
Fakt ist, dass es Fleischer fertigbrachte, das Haus Vaterland durch diese wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeiten durchzubringen, wozu sicher eine dementsprechende, dazu passende politische Einstellung vonnöten war. Fleischer verstand es auch, mit der deutschen Wehrmacht durchaus finanziell gut dotierte Verträge zu vereinbaren. Auch die späteren „arischen“ Besitzer hielten an Fleischer fest und schätzten seine Arbeit als Gesamtdirektor des Hauses, der er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auch blieb.
Straffung des künstlerischen Programms
Der Straffung des Hauses fielen leider auch die vorher großzügig aufgezogenen Programmdarbietungen zum Opfer, so etwa die großen Revuen im Palmensaal. Angesichts des dafür betriebenen Aufwandes deckten die erzielten Einnahmen bei Weitem nicht die Kosten, sodass anstelle dessen nun Darbietungen einzelner Künstler oder kleinerer Künstlergruppen gezeigt wurden – mehr Gesang und Artistik.
Und auch die personell und von der Kostümierung her aufwendig inszenierten Tanzeinlagen der „Vaterland-Girls“ wurden gestrichen, auch wenn sich der neue Direktor durchaus im Klaren war, dass damit das Aushängeschild des Hauses Vaterland eingestampft wurde – alles unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Gesundung des Hauses. Und somit standen auch die „Vaterland-Girls“ auf der Straße
Das Haus Vaterland während der NS-Zeit: Kulinarik mit deutscher Speisekarte
Auch das kulinarische Angebot wurde konzentriert auf eine in allen Restaurants gleiche Speisekarte mit einem stark von deutschen Speisen dominierten Angebot – ohne Rücksicht auf weitere, individuell orientierte regionale Besonderheiten.
All diese Maßnahmen führten zusammen mit den neuen politischen Gegebenheiten und der „Arisierung“ dazu, dass das Haus Vaterland sich entgegen der ursprünglichen strukturellen Ausrichtung im Jahr 1928 ab Mitte der 1930er-Jahre nun in einem völlig neuen Gewand präsentierte.
Der letzte internationale Höhepunkt im Haus Vaterland: Olympia 1936
Trotz der Neuerungen blieb die Anzahl der Besucher hoch, und speziell im Jahr 1936, als die Olympischen Spiele in Berlin ausgetragen wurden und das Haus am Eingangsportal mit den fünf olympischen Ringen dekoriert war, zählte das Haus in diesen 16 Tagen gut 140.000 Besucher.
Das früher mehr als jüdisches Haus bekannte Etablissement, das nach der Machtübernahme der Nazis nicht gut gelitten war, kam jetzt als deutsches Vorzeigeunternehmen daher und repräsentierte – zumindest während der Dauer der Olympischen Spiele – Deutschland und die Reichshauptstadt als international offen und gastfreundlich.
Um das zu garantieren, wurde die Speisekarte dann doch noch einmal temporär internationaler und mit kulinarischen Spezialitäten der an den Spielen teilnehmenden Länder ergänzt.
Trotz der durch die Sanierung erreichten wirtschaftlichen Festigung war bei den getroffenen Entscheidungen augenscheinlich immer mehr der Einfluss der neuen Machthaber spürbar.
Personelle Konsequenzen: Voranschreitende „Arisierung“ traf auch die Angestellten im Haus Vaterland
Die „Arisierung“ schritt voran, und die entlassenen Angestellten waren bei betriebsbedingten Kündigungen vermutlich in der Regel nicht „arische“ Mitarbeiter. Aufgrund dieser politischen Neuausrichtung wurde Hans Kempinski als Geschäftsführer des Hauses Vaterland zum 1. November 1936 gezwungen, seine Position aufzugeben.
Dem vorausgegangen waren seitens des Aufsichtsrats immer wieder erhobene Forderungen nach einer „arischen Geschäftsführung“. Die Entscheidung der Bank für Grundbesitz und Handel, alle Verträge mit dem Haus Kempinski zum 31. März 1938 zu kündigen, kam dann folgerichtig. Damit schloss sich der Teufelskreis, der bereits in der zu Ende gehenden Zeit der Weimarer Republik eingesetzt hatte.
1937: Faktische Enteignung der Familie Kempinski
Diese für das Unternehmen Kempinski bis 1937 permanent nach unten führende Abwärtsspirale, die auch durch den Abbruch der bisher stabilen Lieferantenbeziehungen mit provoziert wurde, führte dazu, dass für teures Geld externe Dienstleistungen hätten eingekauft werden müssen.
Da dies nur über Kreditfinanzierungen zu bewerkstelligen war, keine Bank im Deutschen Reich aber bereit war, an die Firma Kempinski Kredite zu vergeben, waren die Konsequenzen vorhersehbar. Unter diesen Bedingungen konnte man kein Unternehmen weiterführen, sodass sich die jüdischen Eigentümer des Unternehmens Kempinski 1937 entschlossen, das Unternehmen zu verkaufen.
Hypotheken, Darlehen und Kredite: Hoher Verschuldungsgrad des Haus Vaterland
Zum Ende des Jahres 1936 hatten sich die Schulden für das Unternehmen in Form von Hypotheken, Darlehen und Krediten in Höhe von über neun Millionen Reichsmark kumuliert. Die Firma Kempinski entschloss sich daher, das Unternehmen an einen „arischen“ Mitbewerber zu veräußern und bot einem damaligen Mitbewerber in Berlin, der Firma Aschinger, das Unternehmen zum Verkauf an. Ob das mehr aus freiem Willen oder unter Druck geschah, der durch die staatlichen Stellen ausgeübt wurde, ist heute nicht mehr ganz nachzuvollziehen.
Da aber Kempinski sicher in der schwächeren Verhandlungsposition war, liegt die Vermutung nahe, dass seitens der staatlichen Stellen kräftig nachgeholfen wurde. Hans Kempinski emigrierte bereits 1936 nach London und versuchte dort sein Glück mit der Neueröffnung eines Restaurants, der Rest der Familie verließ Deutschland noch rechtzeitig nach den im November 1938 durch die SA verübten Novemberpogromen.
Neuer Eigentümer Aschinger: Profiteur der „Arisierung“ und Übernahme des Haus Vaterland
Die Novemberpogrome hatten der Familie Kempinski und allen anderen jüdischen Geschäftstreibenden und Privatpersonen vor Augen geführt, dass die Nationalsozialisten als neue Machthaber in Deutschland keinerlei Rücksicht mehr walten lassen würden gegenüber jüdischen Mitbürgern.
Der Aschinger-Konzern, der sich seit der Jahrhundertwende um 1900 in Berlin mit einem Netzwerk an Bierlokalen ausgebreitet hatte, würde von diesem Erwerb profitieren – quasi als Nutznießer im Zuge der „Arisierung“ jüdischer Unternehmen.
Fortsetzung folgt…
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Quellen: Vanessa Conze „Haus Vaterland“, Verlag Elsengold, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum