Die Lynarstraße im Berliner Sprengelkiez ist nun eine Fahrradstraße. Mit neuen Markierungen, Stellplätzen für Zweiräder und Modalfiltern soll der Radverkehr priorisiert werden. Nach Verzögerungen wurde das Projekt jetzt abgeschlossen.

Am Sparrplatz verhindern Modalfilter den Durchgangsverkehr, während Rettungsfahrzeuge und die Müllabfuhr die Fahrradstraße weiterhin passieren können. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
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In Wedding ist die Lynarstraße seit März 2025 offiziell eine Fahrradstraße. Sie verläuft zwischen dem Nordufer und dem S- und U-Bahnhof Wedding. Auf einer Länge von rund 550 Metern hat der Radverkehr nun Vorrang. Kfz sind nur noch als Anlieger zugelassen, Modalfilter am Sparrplatz verhindern den Durchgangsverkehr.
Die Umgestaltung ist Teil des Kiezblocks Sprengelkiez und entspricht den Vorgaben des Berliner Radnetzes. Zusätzlich wurden Stellplätze für Fahrräder, Lastenräder, E-Scooter und Motorräder geschaffen. Auch Fußgängerinnen und Fußgänger profitieren von den Maßnahmen, da die Fahrbahn an mehreren Stellen leichter überquert werden kann.
Verzögerungen bei der Umsetzung — Baukosten der Fahrradstraße betrugen rund 90.000 Euro
Ursprünglich sollte die Lynarstraße bereits 2022 zur Fahrradstraße umgewandelt werden. Aufgrund von Kapazitätsproblemen der beauftragten Unternehmen kam es jedoch zu Verzögerungen. Da in dieser Zeit zahlreiche Fahrradstraßen in Berlin eingerichtet wurden, reichten die verfügbaren Markierungs- und Beschilderungsfirmen nicht aus. Erst im Sommer 2024 wurde die Baumaßnahme neu ausgeschrieben und konnte nun abgeschlossen werden.
Vor dem Umbau standen in der Lynarstraße 135 Parkplätze für Pkw zur Verfügung. Nach der Neugestaltung sind es noch 131 Stellplätze. Sechs wurden zur Verbesserung der Sichtverhältnisse an Kreuzungen entfernt. Gleichzeitig entstanden durch die Umstellung auf Senkrechtparken neue Stellmöglichkeiten. Zusätzlich gibt es jetzt 184 Abstellplätze für Zweiräder. Die Baukosten für die Fahrradstraße betrugen rund 90.000 Euro. Weitere 60.000 Euro wurden in die Sanierung und Umgestaltung der Kreuzung zur Tegeler Straße investiert. Die Arbeiten an den Mittelinseln dauern aufgrund von Fernwärmebauarbeiten noch an.
Anradeln zur Eröffnung: Mehr Raum für den Radverkehr im Sprengelkiez
Zum Abschluss der Baumaßnahmen lud der Bezirk Mitte am 17. März zum gemeinsamen Anradeln an der Kreuzung Lynarstraße/Tegeler Straße ein. Bezirksstadtrat Christopher Schriner (Bündnis 90/ Die Grünen) hob die Bedeutung der neuen Fahrradstraße für eine nachhaltige Mobilität hervor. Sie solle nicht nur Radfahrenden mehr Sicherheit bieten, sondern auch die Aufenthaltsqualität im Sprengelkiez verbessern. Beim Anradeln waren unter anderem Vertreter des Deutschen Fahrradclubs sowie des Netzwerks Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg vor Ort.
Mit der Freigabe der Lynarstraße wird ein weiteres Projekt zur Stärkung des Radverkehrs in Berlin abgeschlossen. Künftig soll auch das Nordufer in Richtung Hauptbahnhof für den Radverkehr ausgebaut werden. Schriner betonte, dass die neue Fahrradstraße eine gute Übersicht für Radfahrende bietet. Der Sparrplatz bleibe durch die Modalfilter verkehrsberuhigt. Da die angrenzenden Straßen mit Kopfsteinpflaster verlegt sind, ist für dieses Jahr eine Beteiligung geplant, um mögliche Alternativen für eine komfortablere Fahrweise zu diskutieren.
Verkehrsberuhigung und Kritik: Die Debatte um neue Mobilitätsprojekte
Unweit der Lynarstraße entsteht im Sprengelkiez eine neue Grünverbindung, die den Sprengelpark mit dem Pekinger Platz und dem Spreeufer verknüpft. Dafür wird der Autoverkehr in der Kiautschoustraße eingeschränkt, um mehr Raum für Erholung und Freizeit zu schaffen. Auch in der Ungarnstraße wird ein weiteres Projekt abgeschlossen: Auf 600 Metern zwischen Müllerstraße und Indischer Straße entsteht ebenfalls eine Fahrradstraße. Modalfilter begrenzen den Durchgangsverkehr, während Einsatzfahrzeuge die Strecke weiterhin nutzen können. Gleichzeitig werden Querungsmöglichkeiten zum Schillerpark verbessert, und künftige Maßnahmen zur Entsiegelung sowie zur Einbindung von Schulen sind geplant.
Kritiker stehen den Maßnahmen jedoch skeptisch gegenüber – ähnlich wie bei der Umgestaltung der Lynarstraße zur Fahrradstraße. Sie befürchten, dass solche Projekte den motorisierten Verkehr verdrängen und zu längeren Fahrwegen sowie einer höheren Belastung in den umliegenden Straßen führen könnten. Während Befürworter die Maßnahmen als wichtigen Schritt hin zu einer umweltfreundlicheren und sichereren Mobilität sehen, bleibt die Debatte über die Auswirkungen auf den motorisierten Verkehr bestehen. Wie sich die neuen Verkehrsführungen langfristig auf den Kiez auswirken, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Direkt an die neue Fahrradstraße grenzen eine Private Grundschule und eine Kindertagesstätte von Kindergarten City. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
Rat
Quellen: Bezirksamt Mitte, Weddingweiser, Deutsche Bahn, infravelo, Changing Cities
Die sogenannten Modalfilter sollten auch auf den Gehweg ausgeweitet werden, denn wie ich selbst gesehen habe, fahren manche Autofahrer einfach über den Gehweg.
Als Verkehrsplaner finde ich doch erstaunlich, dass in einem Fachmedium im Zusammenhang mit Artikeln zu Fahrradstraßen oder anderen Maßnahmen zur (Kfz-)Verkehrsberuhigung stets erneut und v.a. unkommentiert auf Sorgen von Anwohnern vor vermeintlich entstehenden Kfz-Ausweichverkehren hingewiesen wird. Während andere Perspektiven bzw. Sorgen an der aktuellen Bestandssituation keine explizite Nennung erfahren. Stattdessen könnte gerade hier auch zur Versachlichung des Themas beigetragen werden, ohne solche Sorgen wohlgemerkt zu ignorieren.
Dabei möchte ich festhalten: Subjektiv aus Betroffenensicht sind diese Befürchtungen erstmal völlig verständlich, gerade aus Perspektive von Personen, die sich primär per Kfz durch die Stadt bewegen. Und in den ersten 1-6 Monaten nach Umgestaltung ist eine direkte Verkehrsverlagerung auf andere Straßen z.T. auch vorhanden.
Nur: Zum einen ist das eher die Ausnahme von der Regel. Zum anderen ist Verkehr wie Wasser, nur schlauer:
Wo der Widerstand durch Geschwindigkeitsreduktion oder eine Verkehrsumlenkung steigt, werden von einem Großteil der Verkehrsteilnehmer nach und nach andere Routen, Ziele oder in vielen Fällen auch andere Verkehrsmittel genutzt. Anders als Wasser können viele (nicht alle!) Personen wählen, wie und wohin sie sich bewegen. Es kommt also i.d.R. nach einer ersten Periode der Umgewöhnung nicht etwa zu einer Zu-, sondern im Gegenteil zu einen Abnahme der Kfz-Verkehre im näheren Umfeld der Verkehrsberuhigung. Besonders stark ist der Effekt nach einer aktuellen Modellierung der TU Berlin (FG Verkehrssystemplanung), wenn Ziel und Quelle in einem Bereich liegen, wo der Kfz-Verkehr flächenhaft beruhigten ist.
Das macht auch insofern schon Sinn, da viele der Anlieger nun deutlich sicherer und komfortabler zu Fuß oder per Rad ihre Ziele bzw. den ÖPNV erreichen können. Stichwort: Nahmobilität. Interessant zudem: Bisher in der Mobilität und besonders gefährdete bzw. benachteiligte Verkehrsteilnehmer wie Kinder, Jugendliche, ärmere oder ältere Personengruppen profitieren i.d.R. überproportional von diesen Maßnahmen (insb. wenn Liefern und Laden per Kfz weiter möglich ist).
Spannend, dass diese Perspektive als Kritik am weiterhin durch fahrende und stehende Kfz absolut dominierenden Status Quo im Stadt- und Straßenraum immer wieder vergessen wird – während der Kritik an der Veränderung immer wieder Raum eingeräumt wird, wider jeder Evidenz. Ich würde mir hier von einem Fachjournal eine etwas ausgewogenere Kritik erwarten und wünschen.
Die Kritik(en) kann und sollte man vortragen, das kann Planung besser machen. Aber in einem Fachjournal wäre es m.E. angemessen, diese fachlich einzuordnen und an Bedarfen unterschiedlicher Nutzergruppen und dem aktuell dominierenden Status Quo zu reflektieren.
Für die regelmäßige und fachlich meist gelungene Berichterstattung über die vielen aktuellen Vorhaben im Bereich der Stadt- und Straßenplanung möchte ich mich an dieser Stelle ansonsten ausdrücklich bedanken!
Zur besseren Nachvollziehbarkeit empfehle ich die folgenden Beiträge aus der Fachliteratur:
Das DifU als Forschungsstelle des dt. Städtetags hat hierzu 2023 eine großangelegte Übersichtsstudie erstellt, die die aktuellste Publikation zum Thema Verkehrsverlagerung im DACH-Raum darstellt:
„Es zeigte sich, dass vielmehr das Gegenteil der befürchteten Auswirkungen auftritt […]: Fast alle Erhebungen bestätigen das Phänomen der „traffic evaporation“, für das es bisher im Deutschen keinen treffenden Fachbegriff gibt. Es besagt, dass das Verkehrsaufkommen nicht wie Flüssigkeit eins zu eins an anderer Stelle abfließt, sondern sich insgesamt – im Anschluss an die Intervention und Straßenumgestaltung – verringert.Die Größenordnung der Verringerung liegt in den analysierten Verkehrsberuhigungsprojekten in der Fläche zwischen 15 und 28 Prozent, bei Innenstädten zwischen 25 und 69 Prozent und im Umfeld einzelner umgestalteter Straßen zwischen 4 und 52 Prozent.“
https://difu.de/publikationen/2023/verkehrsberuhigung-entlastung-statt-kollaps
Die Studie bestätigt dabei auch die schon seit 15 Jahren bekannten Ergebnisse der großen Studie von Cairns et al. 2009:
https://nacto.org/docs/usdg/disappearing_traffic_cairns.pdf
Natürlich ist jede Planung anders, aber die Erfahrung aus anderen Projekten zeigt, dass eine langfristige Mehrbelastung umliegender Straßen durch ausweichende Kfz-Verkehre sehr unwahrscheinlich ist. Entsprechend führt der letzte Absatz des Artikels in die Irre – natürlich kann in einer Stadt als komplexes System immer alles passieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu starken (bzw. überhaupt) Mehrbelastungen auf umliegenden Straßen kommt ist erfahrungsgemäß aber sehr gering.
Das Ausweiten der Poller auf den Gehweg ist nur eine Frage der Zeit. Auch im Bellermannkiez hat man es erst mit einer minimalen Pollerdichte versucht. Nachdem Kfz-Führende jedoch regelmäßig illegal über den Gehsteig abgekürzt und dabei dann auch noch Fußgänger gefährdet haben, hat der Bezirk nachgesteuert.
Dass solche Menschen, die sich zum Führen von Kraftfahrzeugen täglich selbst disqualifizieren, nicht geahndet werden, ist sowieso eins der Hauptprobleme auf Berlins Straßen. Da wird eine Kultur geschaffen, bei der Fehlverhalten und Gefährdung anderer keinerlei Konsequenzen hat und auf manche geradezu cool wirkt. Dass gerade eine CDU-geführte Regierung „Law & Order“ in anderen Politikfeldern große Aufmerksamkeit schenkt, im Verkehr aber jeder Mut verlässt, sich mit den vermeintlich eigenen Wählern anzulegen, strotzt nicht gerade von Vernunft und staatspolitischer Verantwortung. Dazu passt die unter Iris Spranger zunehmend verwahrloste Innenverwaltung, die die Überwachung der Verkehrssicherheit seit Jahren vernachlässigt, mit einer Bußgeldstelle die mit sich selbst überfordert ist.
In Berlin kaum vorstellbar, gibt es in Europa Städte, da braucht es keine Poller, weil sich Leute einfach an Verkehrsregeln halten – und ohne übertriebene Überwachung doch regelmäßig genug dazu gebracht werden. Da sie sonst erstmal für längere Zeit laufen dürfen. Während alle anderen, die ein Kfz sozialverträglich führen können, deutlich weniger Stress und Probleme haben, durch drängeln, hupen, schneiden und Beschimpfungen.
Die aktuelle Studie der UdV zum „Verkehrsklima“ in Deutschland und u.a. auch Berlin spricht da eine deutliche Sprache:
https://www.udv.de/udv/themen/verkehrsklima-in-deutschland-2023-155368