Inmitten von Jazz, Tanzrevuen und Schlagergesang bot das Haus Vaterland Unterhaltung für die Massen – bis der Börsencrash von 1929 den wirtschaftlichen Glanz dämpfte. Der Spagat zwischen Kulturtempel und Geschäftsbetrieb wurde zur existenziellen Herausforderung. Jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Mit Tanz, Musik und Revuen wurde das Haus Vaterland zum Symbol einer unbeschwerten Zeit. Doch wirtschaftlicher Druck und gesellschaftlicher Wandel ließen die Illusion einer „perfekten Vergnügungswelt“ brüchig werden. / © Foto Titelbild: Wikimedia Commons
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Der Erfolg eines Unternehmens hängt im Wesentlichen ab von den Angestellten, die die Aufgabenstellungen tagtäglich mit Engagement, Konstanz und Kreativität bewerkstelligen. So war es auch im Haus Vaterland, speziell bei der Auswahl der Künstler und deren Programmen, die sie allabendlich vor den Gästen zelebrierten. Die künstlerische Leitung des Hauses legte dabei besonderen Wert auf Abwechslungsreichtum und dem Zeitgeist der „Goldenen Zwanziger Jahre“ geschuldet.
Die musikalischen Darbietungen entsprachen den unterschiedlichen Restaurants und Bars, wo die Bands auf die jeweiligen nationalen Eigenheiten in ihrer Musik Bezug nahmen. Zum einen wurde moderne zeitgenössische Musik geboten, wie etwa Jazz, aber auch deutsche Schlager hatten im Haus Hochkonjunktur. Und wer gern Heimatmusik hören wollte, kam im „Löwenbräu“ auf seine Kosten, wo alpenländische Lieder und Jodeleinlagen zu hören waren.
Moderne Musik, Schlager und Heimatmusik: Im Haus Vaterland gab es ein vielfältiges kulturelles Angebot
Auch ein Winzerorchester sorgte in den Rheinterrassen für die jeweilige „Winzerstimmung“, und eine „Zigeuner-Kapelle“ spielte in der Csardas-Bar auf und sorgte für die daran interessierten Besucher für die gewünschte heimelige osteuropäische Atmosphäre.
Dieses rundum geschnürte musikalische Gesamtpaket entsprach den Ansprüchen des Publikums, das dies mit einer doch relativ langen Treue dem Haus Vaterland gegenüber honorierte. Aber es gab natürlich auch, speziell aus Intellektuellenkreisen, Kritik an dieser Art der Musik, die oft ins Lächerliche gezogen wurde. Diejenigen Gäste allerdings, die weniger intellektuell-kritisch die gezeigten Darbietungen bewusst erlebten, gefiel dieses künstlerische Angebot – und dies war durchaus die Mehrzahl der Besucher. Genau das war das Anliegen der Betreiber des Hauses.
Große Revuen, speziell für das Haus Vaterland geschrieben, wurden im großen Palmensaal inszeniert
Erwähnenswert sind noch die großen Revuen, speziell für das Haus Vaterland geschrieben, die dann im großen Palmensaal inszeniert wurden. Diese Revuen waren so konzipiert, dass sie ganze Abende mit ihren künstlerischen und schauspielerischen Darbietungen füllten.
Die in den Anfangsjahren gezeigten fulminanten Aufführungen, oft als „Kitsch“ verhöhnt, wurden ab Mitte der 1930er Jahre von etwas abgespeckteren Darbietungen abgelöst, was auch der erste Fingerzeig auf die zu Ende gehenden „Goldenen Zwanziger Jahre“ und die unterschwellig sich anbahnende Weltwirtschaftskrise war. Das eigentliche Ansinnen des Hauses, „je mehr, desto besser, je aufwendiger, desto erfolgreicher“, war der Grundtenor bei der Inszenierung der „Gesamtschau“.
Beliebte Tanzgruppe der „Goldenen Zwanziger“: Die „Vaterland Girls“
Ein markanter Bestandteil des Hauses Vaterland, der nicht unerwähnt bleiben darf, waren die sogenannten „Vaterland-Girls“, die als eine doch recht homogene Einheit auftraten und bei deren „Casting“ der Tänzerinnen großer Wert auf Größe, Körperbau und Aussehen gelegt wurde.
Für die Vergnügungswelt der „Goldenen Zwanziger Jahre“ waren diese tanzenden Mädchengruppen typisch. Mit ihren Auftritten im Haus Vaterland vermittelten sie den Gästen das Bild von „immer fröhlichen, jederzeit in unterschiedlichen Rollen zur Verfügung stehenden Mädchen“, was allerdings auch bezeichnend war für die Rolle der Frauen in der Vergnügungswelt der Weimarer Republik.
Frauen in der Vergnügungswelt der Weimarer Republik
In den Werbeprospekten wurde die „Schönheit“ der Mädchen angepriesen; dabei handelte es sich mehrheitlich um zierliche, hellhäutige und oft als „deutsche blonde Girls“ vorgestellte Tänzerinnen. Im Haus Vaterland bestand diese Tanzgruppe aus 16 Mädchen, die in den künstlerischen Programmen fest verankert waren und je nach Bedarf als Gruppe, oft aber auch einzeln in den jeweiligen Bars oder Restaurants auftraten.
Man darf aber nicht verhehlen, dass die Ausstrahlung dieser „Vaterland-Girls“ vor allem darauf beruhte, dass die Mädchen technisch hervorragend mit einer beeindruckenden Präzision zusammenarbeiteten – was nur mit der harten Schule, aus der sie kamen, und dem täglichen Training von bis zu drei Stunden zu erreichen war.
Internationale Gäste: Hester Harvey und Sidney Bechet traten im Haus Vaterland auf
Dunkelhäutige Künstlerinnen und Künstler traten im Haus Vaterland selten auf, aber genannt werden muss die Sängerin Hester Harvey aus Südafrika, die 1928 in der Wild-West-Bar auftrat, und der Jazz-Musiker Sidney Bechet aus New Orleans, der etwa zur gleichen Zeit im Haus gastierte.
Daneben waren auch noch „andere exotische Nationalitäten“ im Haus Vaterland beschäftigt, hauptsächlich um die Inszenierungen in den Bars und Restaurants sehr realitätsnah aussehen zu lassen. Ein Grundtenor der Betreiber des Hauses war nicht nur die in den Werbeprospekten angepriesenen Künstler, sondern auch die Botschaft, dass die Angestellten des Hauses – sowohl Küchen- als auch Servicepersonal – Vergnügen bei ihrer Arbeit verspürten.
Haus Vaterland am Potsdamer Platz: Die Illusion einer „perfekten Welt des Vergnügens“
Dies unterstreicht nachhaltig die vom Haus hochgehaltene Illusion einer „perfekten Welt des Vergnügens“, der alles für den Erfolg untergeordnet werden musste. Dass dies in der harten Realität oft anders aussah, braucht man wohl nicht zu betonen.
Jedes Unternehmen und jeder Unternehmer, der mit einer neuen Geschäftsidee in den Markt eintritt, verfolgt einzig und allein das Ziel der Gewinnerzielung. Wenn dieses wirtschaftliche Ziel nicht das Handeln eines Unternehmers dominieren würde, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Finanzamt irgendwann die Frage stellt, was sie in ihrem Unternehmen eigentlich so veranstalten.
Nach 1929: Das wirtschaftliche Wagnis des neu eröffneten Haus Vaterland
Das heißt im Umkehrschluss allerdings auch, dass sich ein Unternehmen, um zu überleben, einem permanenten Handlungs- oder auch Veränderungsdruck ausgesetzt sieht. Unternehmen werden sich nur dann über einen relativ langen Zeitraum wirtschaftlich am Markt behaupten können, wenn sie bereit sind für Veränderungen.
Diese Zeitwende setzte für das Haus Vaterland bereits im Jahr 1929 ein, erst ein Jahr nach Inbetriebnahme dieses Projektes, das von Anfang an aufgrund seiner Dimensionen und dieser völlig neuartigen Großgastronomie ein wirtschaftliches Wagnis darstellte. In wirtschaftlich ruhigeren Zeiten nach 1925 etwa war diese große Investition in die Geschäftsidee des Hauses Vaterland sinnvoll und rentabel.
25. Oktober 1929: Kurssturz an den internationalen Börsen – mit weitreichenden Folgen
Der Hintergrund der Investition in das Projekt Haus Vaterland war der Optimismus und die Aufbruchstimmung in den „Goldenen Zwanzigern“, obwohl es überall nach wie vor Probleme gab.
Das wirtschaftliche Risiko des Projektes „Haus Vaterland“ lag auf der Hand – aufgrund der hohen Umbaukosten des Gebäudes, den technischen Unterhaltungs- und Personalkosten sowie den nicht unerheblichen Künstlergagen. Die Besitzer und Betreiber, die Familie Kempinski, hatten aber von vornherein einzig und allein das Ziel der Expansion und Gewinnerzielung.
Obwohl das Haus Vaterland vom ersten Tag an die Besuchermassen wie ein Magnet anzog – im ersten Jahr zählte man an die 3.000 Besucher täglich – überstiegen die tatsächlichen Kosten die ursprünglich zu Beginn des Vorhabens kalkulierten Kosten deutlich. Daher sahen sich die Betreiber gezwungen, noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise Sparmaßnahmen einzuleiten. Und dann erfolgte die Implosion, ausgelöst durch den „Schwarzen Freitag“ am 25.10.1929, bei dem heftige Kursschwankungen in den USA zu einem verheerenden Kurssturz der Deutschen Börse führten.
Die folgende Weltwirtschaftskrise hatte immense Auswirkungen auf das Deutsche Reich
Die dadurch verursachte Wirtschaftskrise hatte immense Auswirkungen auf das Deutsche Reich, denn vorher verausgabte Kredite wurden wieder einkassiert, Firmen mussten Konkurs anmelden und selbst Banken konnten sich nicht mehr halten und mussten schließen.
Die Arbeitslosenquote stieg drastisch an, und das Bürgereinkommen pro Kopf sank um ein Drittel – die „Goldenen Zwanziger“ waren somit vorbei! Dies hatte natürlich auch Auswirkungen auf das Haus Vaterland, denn die Weimarer Republik fiel in eine drastische politische und wirtschaftliche Krise, deren Folgen nicht spurlos am Haus Vaterland vorbeizogen.
Haus Vaterland: Geringeres Einkommen der Gäste führte zu geringerem Konsum
Die geringeren Einkommen der Gäste führten zu geringerem Konsum, aber die Kosten des Hauses blieben dem gegenüber gleichbleibend hoch. Geringerer Umsatz – geringerer Gewinn plus die Rückzahlung des mit dem Umbau aufgenommenen hohen Kredits – das Haus Vaterland war von Stunde an ein Verlustgeschäft.
Nur der Größe des Kempinski-Gaststättenimperiums war es zu verdanken, dass das Haus Vaterland nach wie vor betrieben werden konnte. Denn Kempinski insgesamt erzielte trotz der Wirtschaftskrise nach wie vor Gewinne und konnte so durch Quersubventionierung die Verluste des Hauses Vaterland ausgleichen.
Kempinski kämpfte um das Überlegen des Hauses Vaterland und entschied sich gegen Preiserhöhungen
Obwohl das Haus Vaterland seit 1929 defizitär war, unternahm Kempinski alles und kämpfte gegen die Krise an. Er entschloss sich nach zig Krisensitzungen im Aufsichtsrat gegen Teilschließungen und sorgte dafür, dass alle Bereiche selbst in der Krise geöffnet bleiben und es keine Preiserhöhungen geben dürfe. Das hielt aber nur bis 1933, denn durch die anhaltende Krise sah man sich doch gezwungen, eine Erhöhung der Eintrittsgelder vorzunehmen.
Auch in anderen Bereichen des Hauses versuchte man mit Aktivitäten gegen die Krise anzukämpfen, wodurch eine Erweiterung des Kundenstamms in den Fokus geriet. Die bisherige Klientel, die sich mehrheitlich aus Angestellten und der bürgerlichen Mitte zusammensetzte, kristallisierte sich immer mehr zum Problem heraus, sodass man das Haus anderen Besuchern schmackhaft machen wollte.
Ein Bierlokal im Keller sollte das Haus Vaterland für andere Bevölkerungsschichten öffnen
Und so beantragte man beim Berliner Senat die Eröffnung eines Kellerlokals im Untergeschoss des Gebäudes – quasi ein Bierausschank für die einfachen Bevölkerungsschichten. Geöffnet werden sollte es um 5.00 Uhr – die Lokale in den oberen Geschossen schlossen um 3.00 Uhr –, sodass Reisende und Arbeiter bereits vor der Abreise bzw. vor Beginn der Frühschicht verköstigt werden konnten.
Von der Eröffnung dieses Bierlokals erhoffte man sich eine zusätzliche Einnahmequelle hinsichtlich der großen wirtschaftlichen Defizite. Ob das Bierlokal aber tatsächlich in Betrieb ging, kann nicht mehr nachvollzogen werden, weil sowohl in den Betriebsunterlagen als auch in späteren Werbeprospekten das Lokal nicht mehr erwähnt wird.
Um den Auswirkungen der Wirtschaftskrise entgegenzuwirken, wurden an Nachmittagen Tanztees und Modeschauen durchgeführt. In den Vormittagsstunden, in denen das Haus eigentlich geschlossen war, wollte man mit einem „Schnellfrühstück“ – hauptsächlich für Berlin-Touristen – anlocken, bevor sie ihre Abreise am nahegelegenen Potsdamer Bahnhof antraten.
Wirtschaftliche Lage des Hauses Vaterland blieb prekär: Restrukturierung unumgänglich
Aber all diese Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage blieben erfolglos; dazu war die Sogwirkung der Weltwirtschaftskrise zu stark. Auch nach dem endgültigen Untergang der Weimarer Republik 1933 blieb die wirtschaftliche Situation des Haus Vaterland prekär – trotz nach wie vor hoher Besucherzahlen und immerhin als Leuchtturm des Berliner Amüsierbetriebes.
Die anhaltende Negativentwicklung führte dazu, dass die Geschäftsführung sich Mitte der 1930er dazu entschloss, eine Restrukturierung des Unternehmens durchzuführen. Diese dadurch eingeleitete Trendwende führte das Haus Vaterland wieder in die Erfolgsspur zurück. Die Restrukturierung des Hauses begann allerdings bereits im Zeitfenster der bevorstehenden Machtergreifung durch die Nationalsozialisten – und somit in einem völlig neuen sozialen Umfeld und ökonomischen Hintergrund.
Fortsetzung folgt…
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Quellen: Vanessa Conze „Haus Vaterland“, Verlag Elsengold, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum