Das Chilehaus in Hamburg feierte 2024 sein 100-jähriges Jubiläum. Der imposante Klinkerbau von Fritz Höger prägt das Kontorhausviertel wie kein anderes Gebäude. Als Ikone des Backsteinexpressionismus wurde das Chilehaus 2015 zum UNESCO-Welterbe ernannt. Doch seine Geschichte ist eng mit dem Handel zwischen Hamburg und Chile verknüpft.
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Spricht man über das Hamburger Kontorhausviertel, fällt unweigerlich der Name „Chilehaus“. Der markante Klinkerbau, errichtet zwischen 1922 und 1924, steht wie kaum ein anderes Gebäude für den architektonischen Aufbruch der Hansestadt in den 1920er-Jahren. Seine Geschichte beginnt mit einem Mann, der mit dem Handel eines einzigen Rohstoffs ein Vermögen machte: Henry Brarens Sloman.
Sloman verdiente sein Geld mit Chilesalpeter, einem begehrten Rohstoff aus den Salpeterwerken der Atacama-Wüste, der in Europa als Düngemittel und zur Herstellung von Sprengstoff genutzt wurde. Trotz der Hyperinflation der 1920er-Jahre investierte er seine Gewinne in den Bau eines Kontorhauses, das seine wirtschaftlichen Erfolge widerspiegeln sollte. Doch nicht er selbst, sondern sein Sohn Ricardo soll den Namen „Chilehaus“ vorgeschlagen haben. Ursprünglich war geplant, das Gebäude „Sloman-Haus“ zu nennen, doch da die Reederei Rob. M. Sloman bereits ein Kontorhaus unter diesem Namen führte, entschied man sich für eine Hommage an das Land, das den wirtschaftlichen Erfolg der Familie begründet hatte.
Architektur „Chilehaus“: Eine Hommage an die Moderne und die Seefahrt
Für den Entwurf des Gebäudes beauftragte Sloman den Architekten Fritz Höger, der mit seiner Vision einer modernen, aber traditionsbewussten Architektur neue Maßstäbe setzte. Höger ließ sich von der norddeutschen Backsteingotik inspirieren und kombinierte diese mit expressionistischen Elementen.
Besonders markant ist die scharf zulaufende Gebäudespitze, die an den Bug eines Ozeandampfers erinnert. Diese architektonische Form war revolutionär und verlieh dem Gebäude eine dynamische Silhouette, die sich deutlich von anderen Kontorhäusern der Zeit abhob. Unterstützt wurde dieser Effekt durch die nach oben gestaffelten Geschosse, die dem Bau trotz seiner massiven Größe eine gewisse Leichtigkeit verleihen.
Eine weitere Besonderheit sind die kunstvollen Klinkerfassaden. Höger verwendete speziell gebrannte, unregelmäßige Klinkersteine, die dem Bau eine lebendige Textur verleihen. Zudem ist jeder siebte Stein leicht gedreht eingebaut, um eine zusätzliche Struktur und Tiefe zu erzeugen.
Ein Bau der Superlative: Zahlen und Fakten rund um das Hamburger „Chilehaus“
Beim Bau des „Chilehauses“ wurden beeindruckende Mengen an Material verbaut: Rund 4,8 Millionen Klinkersteine prägen die Fassade, während im Inneren 15 Kilometer Rohrleitungen die technische Infrastruktur sicherstellen. Um das Gebäude auf dem weichen Hamburger Untergrund zu stabilisieren, wurden 18.000 laufende Meter Rammpfähle in den Boden eingelassen.
Zusätzlich kamen 750 Güterwagen Zement, 30.000 Kubikmeter Kies und 1.600 Tonnen Rundeisen zum Einsatz. Auch die Dachrinnen des Bauwerks sind beeindruckend: Über eine Länge von 3,5 Kilometern ziehen sie sich über das Gebäude. Insgesamt sorgen 2.800 Fenster für lichtdurchflutete Räume. Diese Zahlen verdeutlichen, warum das „Chilehaus“ schon bei seiner Fertigstellung als herausragendes Beispiel der modernen Architektur galt.
Vom Kontorhaus zum UNESCO-Welterbe: Bedeutung des „Chilehauses“ wächst weiter
Das „Chilehaus“ war von Anfang an als Bürogebäude konzipiert und wurde schnell zu einer der begehrtesten Adressen der Hansestadt. In den ersten Jahrzehnten nutzten zahlreiche Handelsfirmen die Räumlichkeiten für ihre Geschäfte.
1983 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, um seine einzigartige Architektur für die Nachwelt zu erhalten. Die Bedeutung des „Chilehauses“ wuchs weiter, bis es 2015 schließlich zusammen mit der Speicherstadt und dem gesamten Kontorhausviertel in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Die UNESCO würdigte damit die außergewöhnliche Architektur des Viertels, das als eines der am besten erhaltenen Beispiele der europäischen Kontorhauskultur gilt.
Das „Chilehaus“ im Zweiten Weltkrieg: Klinkerbauweise erwies sich als widerstandsfähig
Trotz der verheerenden Luftangriffe auf Hamburg während des Zweiten Weltkriegs blieb das „Chilehaus“ weitgehend von schweren Schäden verschont. Besonders während der Operation Gomorrha im Sommer 1943 wurde die Stadt großflächig zerstört, doch die massive Klinkerbauweise des „Chilehauses“ erwies sich als widerstandsfähig. Zwar kam es zu Beschädigungen an der Fassade, zerbrochenen Fenstern und Schäden in den Innenräumen, aber das Gebäude blieb in seiner Substanz erhalten.
Während des Krieges diente das „Chilehaus“ weiterhin als Bürogebäude, wobei einige Kontore für kriegsrelevante Verwaltungsaufgaben genutzt wurden. Zudem wurde es in Zeiten der Luftangriffe als Schutzraum für Zivilisten genutzt, da die massiven Mauern einen gewissen Schutz vor Bombensplittern und Druckwellen boten. Nach dem Kriegsende gehörte das „Chilehaus“ zu den wenigen Gebäuden im Kontorhausviertel, die ohne aufwendige Restaurierung wieder nutzbar waren. Bereits in den späten 1940er-Jahren konnte es wieder als Bürohaus dienen, während weite Teile Hamburgs noch in Trümmern lagen.
Das 100. Jubiläum des „Chilehauses“: Ein besonderes Ereignis für Hamburg
Im Mai 2024 wurde das 100-jährige Bestehen des „Chilehauses“ mit einer feierlichen Veranstaltung gewürdigt. Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, die chilenische Botschafterin Magdalena Atria und weitere Ehrengäste nahmen an einer exklusiven Führung teil, die von dem Historiker Michael Batz geleitet wurde.
Passend zum Jubiläum erschien das Buch „Die Chilehaus Story“ von Michael Batz, das die Geschichte des Bauwerks detailliert aufarbeitet. Darin wird nicht nur die Entstehung des Gebäudes beschrieben, sondern auch die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Hintergründe beleuchtet, die das „Chilehaus“ zu dem machten, was es heute ist. Zusätzlich fanden im vergangenen Jahr mehrere Sonderausstellungen statt, die die Verbindung zwischen Hamburg und Chile sowie die Auswirkungen des Salpeterhandels thematisierten.
Büroflächen, Einzelhandel und Gastronomie: Die Nutzung des „Chilehauses“ heute
Auch nach einem Jahrhundert bleibt das „Chilehaus“ auch heute ein lebendiger Ort, der Historie und Gegenwart miteinander verbindet, und ein zentraler Bestandteil des Hamburger Wirtschaftslebens. Es beherbergt eine Vielzahl an Unternehmen, darunter Anwaltskanzleien, Medienfirmen und Handelsgesellschaften. Die Büroflächen erstrecken sich über insgesamt 25.200 Quadratmeter, während weitere 5.200 Quadratmeter für Einzelhandel und Gastronomie zur Verfügung stehen. Hier haben sich unter anderem Cafés und Restaurants angesiedelt, die das Viertel auch für Besucherinnen und Besucher attraktiv machen.
Trotz der modernen Nutzung bleibt die historische Architektur des „Chilehauses“ erlebbar. Besonders beeindruckend sind die Innenhöfe und Treppenhäuser, die einen Einblick in die aufwendige Gestaltung des Gebäudes bieten. Der Durchgang an der Fischertwiete führt in den weitläufigen Innenhof, dessen geschwungene Balkone an die Reling eines Ozeandampfers erinnern. In den Treppenhäusern finden sich zahlreiche kunstvolle Details, darunter aufwendig verzierte Geländer und plastische Dekorationen des Bildhauers Richard Kuöhl. Diese kunsthandwerklichen Elemente unterstreichen den hohen gestalterischen Anspruch, der das „Chilehaus“ von Beginn an geprägt hat.
Wahrzeichen „Chilehaus“: Ein lebendiges Zeugnis der hanseatischen Handelsgeschichte
Denn das „Chilehaus“ steht sinnbildlich für den wirtschaftlichen Aufstieg Hamburgs in den 1920er-Jahren und den architektonischen Wandel dieser Epoche. Es verbindet die traditionelle Klinkerbauweise mit einer expressiven Formensprache und prägt bis heute das Bild des Kontorhausviertels.
Als eines der bekanntesten Beispiele des Backsteinexpressionismus hat es weit über Hamburg hinaus Einfluss genommen und wurde 2015 als Teil des Kontorhausviertels in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Nach über 100 Jahren bleibt es nicht nur ein beeindruckendes Bauwerk, sondern auch ein lebendiges Zeugnis der hanseatischen Handelsgeschichte.
Rat
Quellen: Wikipedia – Chilehaus, hamburg.de, UNESCO-Welterbe-Info, Denkmalschutzamt Hamburg, Union Investment Real Estate GmbH, Buch Die Chilehaus Story von Michael Batz, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Stiftung Historische Museen Hamburg