Das ehemalige Stasi-Gelände in Berlin-Lichtenberg steht vor einer ungewissen Zukunft. Verfallene Gebäude, komplizierte Besitzverhältnisse und zögerliche Pläne prägen das Bild des historischen Areals. Historiker Christian Booß schlägt Alarm – und fordert Lösungen.
© Fotos: Wikimedia Commons, Lukas Beck, CC BY 4.0
Das ehemalige Gelände der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg ist ein eindrucksvolles, zugleich aber bedrückendes Zeugnis der DDR-Geschichte. Zwischen der Frankfurter Allee und der Normannenstraße erstreckt sich das Areal mit etwa 50 Gebäuden, darunter Bürokomplexe, Lagerhallen und Wohnhäuser.
Im Oktober 1989 umfasste das Gelände 29 Objekte mit insgesamt 41 Einzelgebäuden. Etwa 5.000 bis 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stasi arbeiteten hier innerhalb einer abgeschotteten „Stadt in der Stadt“, welche für Außenstehende nahezu vollständig unsichtbar war.
Sanierungsbedürftige und einsturzgefährdete Gebäude: Neugestaltung lässt auf sich warten
Einst war es der hermetisch abgeriegelte Mittelpunkt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), ein Ort der Überwachung und Repression. Heute sind viele der Bauten in einem stark sanierungsbedürftigen Zustand, einige sogar einsturzgefährdet. Dazwischen erstrecken sich verlassene Höfe und verwilderte Grünflächen, die den Eindruck von Stillstand und Verfall verstärken.
Seit dem Ende der DDR im Jahr 1990 wurde das Gelände schrittweise für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Teile der Gebäude beherbergen Museen, darunter das Stasi-Museum in Haus 1. Doch während weite Bereiche des Areals verfallen, lässt eine umfassende Neugestaltung auf sich warten.
Keine klare Verantwortlichkeit: Bürgerkomitee „15. Januar“ macht auf Verfall aufmerksam
Christian Booß, Vorsitzender des Aufarbeitungsvereins Bürgerkomitee „15. Januar“, ist einer der lautstärksten Kritiker dieses Zustands. Seit Jahren thematisiert er die Missstände auf dem Gelände, das er als „miese Visitenkarte“ für Berlin bezeichnet. Besonders problematisch sei, dass sich weder der Bund noch das Land Berlin eindeutig für die Sanierung verantwortlich fühlten. Zudem befinden sich einige Gebäude in privatem Besitz, was die Koordination weiter erschwere.
Booß nutzt Führungen über das Gelände, um Touristen nicht nur die Geschichte der Stasi näherzubringen, sondern auch auf den heutigen Verfall aufmerksam zu machen. Beim Tag des offenen Denkmals im vergangenen Jahr präsentierte er das Areal als eine „Tour der Schandflecken“. Zu den kritischsten Punkten zählen etwa Haus 18 – einst das Versorgungszentrum des Ministeriums – und mehrere Hochhäuser, in denen die Auslandsspionage koordiniert wurde. Sie stehen seit Jahren leer und sind stark sanierungsbedürftig.
„Campus für Demokratie“ – Umsetzung gestaltet sich nur schleppend
Die politischen Verantwortlichen haben durchaus Pläne für das Gelände: Unter dem Namen „Campus für Demokratie“ soll es zu einem zentralen Ort der Aufarbeitung und Erinnerung weiterentwickelt werden. Geplant ist unter anderem der Bau eines neuen Bundesarchivs, in dem DDR-relevante Dokumente zusammengeführt werden sollen. Zudem ist ein „Forum Opposition und Widerstand“ vorgesehen, das zu einem Ort für Kunst und Diskussion verwandelt werden und dabei an den Kampf gegen die kommunistische Diktatur erinnern soll.
Doch die Umsetzung gestaltet sich schwierig. So befindet sich das geplante Gebäude für das Forum in Haus 18, das einem privaten Eigentümer gehöre. Laut Booß könne es daher bislang keine ernsthaften Verhandlungen gegeben haben, um das Gebäude zu erwerben. Die Senatsverwaltung widerspricht und verweist gegenüber der Berliner Morgenpost auf laufende Gespräche, doch konkrete Fortschritte bleiben aus.
Berliner Senat verfolgt Alternative, erste Ergebnisse frühestens Mitte des Jahres zu erwarten
Um den Planungsprozess voranzubringen, verfolgt der Berliner Senat mittlerweile eine Alternative: In einer zweiten Variante des Bebauungsplans könnte das Forum in dasselbe Gebäude wie das Bundesarchiv integriert werden. Damit wäre man nicht auf den privaten Eigentümer von Haus 18 angewiesen. Allerdings verschärft dieser Ansatz die Kritik an der Dimension des geplanten Archivs. Booß bemängelt, dass ein solch massives Bauwerk die historische Authentizität des Geländes gefährden könnte.
Derweil bleibt unklar, was mit den leerstehenden Gebäuden in privater Hand geschehen soll. Die Besitzverhältnisse und Zuständigkeiten zwischen Bund, Land und Privaten verhindern bislang eine zügige Entwicklung des Geländes. Laut Senatsverwaltung ist frühestens 2025 mit konkreten Ergebnissen im Bebauungsplanverfahren zu rechnen.
Stasi-Zentrale in Lichtenberg: Ein Mahnmal für die Zeit – oder für den Stillstand?
Die Stasi-Zentrale in Lichtenberg bleibt ein Ort voller Widersprüche. Einerseits zieht sie als historisches Denkmal und Mahnmal zahlreiche Besucher an, andererseits bietet ihr Zustand ein Bild des Verfalls. Für Historiker wie Christian Booß und viele andere Akteure der Aufarbeitung ist das Gelände von zentraler Bedeutung für die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit. Doch ohne entschlossenes Handeln könnte diese Bedeutung in den Hintergrund treten – überlagert von baulichem Zerfall und ungelösten politischen Fragen.
Die Zukunft des „Campus für Demokratie“ bleibt ungewiss. Ob die Entwicklung des Areals in die gewünschte Richtung geht oder die derzeitige Tristesse noch länger anhält, ist unklar. Sicher ist jedoch: Das Areal verlangt nicht nur nach Erinnerung, sondern auch nach Verantwortung.
Quellen: Das Bundesarchiv, Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB), Berliner Morgenpost, Bürgerkomitee „15. Januar“ e.V