In den 1980er Jahren setzte Architekt Rainer G. Rümmler mit seinem innovativen U-Bahn-Konzept neue Maßstäbe für die Gestaltung Berliner Bahnhöfe. Seine charakteristischen pilzförmigen Stützen und die klare Verkehrsführung beeinflussen die Architektur bis heute. Damit bewies Rümmler, dass innovative Gestaltung mehr sein kann als reine Funktionalität.

Bahnhöfe die von Rainer Rümmler gestaltet wurden, wie der U-Bhf Residenzstraße, haben verschiedene Merkmale. Dazu gehören getrennte Bahnsteige für Ein- und Ausstieg, um den Passagierfluss zu optimieren und Staus zu vermeiden. / © Foto: IMAGO / Jürgen Ritter

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In den 1970er Jahren wuchs das Berliner U-Bahn-Netz rasant. Besonders die U-Bahnlinie 7, eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen, wurde erweitert, um die wachsenden Außenbezirke besser anzubinden. Mit der Erweiterung stiegen auch die Anforderungen an die Gestaltung neuer Bahnhöfe. Besonders an Endstationen und stark frequentierten Knotenpunkten suchte man nach neuen Lösungen, um Fahrgastströme effizient zu lenken und Wartezeiten zu minimieren.

So entstand in den 1980er Jahren in Berlin ein U-Bahn-Konzept, das Funktionalität mit markanter Architektur verband. Doch statt auf konventionelle Bahnsteiglösungen zu setzen, entschied man sich für eine neuartige Gestaltung, die sich durch klare Strukturen, offene Sichtachsen und eine intelligente Wegeführung auszeichnete.

Der Einfluss von Rainer G. Rümmler auf die Berliner U-Bahn-Architektur

Sinnbildlich für diese neue Art der Gestaltung sind die charakteristischen pilzförmigen Stützen, die nicht nur eine tragende Funktion erfüllten, sondern auch das Raumgefühl der Bahnhöfe prägten. Der Architekt Rainer G. Rümmler (1929–2004), damals federführend für die Gestaltung der Berliner U-Bahnhöfe, entwickelte das Säulen- und Sichtachsenkonzept als Antwort auf diese Herausforderungen.

Mit seinen Entwürfen prägte er das Erscheinungsbild vieler Berliner U-Bahnhöfe. Zwischen 1964 und 1994 entwarf er insgesamt 57 Stationen in West-Berlin und verfolgte das Ziel, jeden Bahnhof zu einem unverwechselbaren Ort zu machen. Seine frühen Arbeiten waren funktional und sachlich, doch später experimentierte er mit popkulturellen und postmodernen Elementen. Ein markantes Beispiel ist der U-Bahnhof Paulsternstraße, dessen Gestaltung an einen Zauberwald erinnern und die historische Landschaft der Umgebung aufgreifen soll.

Pilzförmige Stützen und separate Bahnsteige: Architektonische Merkmale der „Rümmler-Bahnhöfe“

Dabei unterscheidet sich Rümmlers Konzept deutlich von herkömmlichen U-Bahnhöfen, insbesondere durch die charakteristischen, fantasievoll geformten Stützen, die eine tragende Funktion übernehmen und gleichzeitig die Sicht auf den Bahnsteig verbessern.

Die wichtigsten Gestaltungsmerkmale sind:

  1. Pilzförmige Stützen: Die Stützen tragen die Decke, ohne dabei die Sicht auf den Bahnsteig zu behindern. Sie ermöglichen eine lichte, offene Gestaltung, die das Sicherheitsgefühl erhöht
  2. Getrennte Bereiche für Ein- und Ausstieg: Bahnhöfe mit Pilz-Konzept haben meist zwei separate Bahnsteige: Einer dient vor allem dem Einsteigen. Der andere ist für das Aussteigen vorgesehen. Dadurch sollen Menschenströme effizienter gelenkt und Staus vermieden werden.
  3. Klare Sichtachsen und helle Gestaltung: Offene Bahnsteigbereiche sorgen für eine gute Orientierung. Helle Farben und strukturierte Wandverkleidungen erleichtern die Wegfindung. Die Beleuchtung ist so konzipiert, dass dunkle Ecken vermieden werden.

U-Bahnhof Rathaus Spandau: Ein Modellbahnhof nach Rainer Rümmlers Ideen

Das Konzept wurde vor allem bei der Erweiterung der U7 Richtung Spandau angewendet. Einige der bekanntesten Bahnhöfe, die nach diesem Prinzip gestaltet wurden, sind Rathaus Spandau, Paulsternstraße und Zitadelle.

Der 1984 eröffnete U-Bahnhof Rathaus Spandau gilt als eines der besten Beispiele für die Umsetzung von Rainer Rümmlers Ideen. Die Station wurde als Endbahnhof der U7 konzipiert und musste daher große Fahrgastströme bewältigen. Hier kamen die Prinzipien des Gestaltungskonzepts vollständig zur Anwendung.

U-Bahnhof Rathaus Spandau: Effiziente Passagierführung und eine offene Gestaltung

Rümmlers Konzept brachte mehrere Vorteile für den Berliner Nahverkehr mit sich. Besonders die effiziente Passagierführung war ein entscheidender Pluspunkt. Durch die klare Trennung von Ein- und Ausstiegsbereichen konnten Fahrgäste zügiger ein- und aussteigen, wodurch Wartezeiten und Engpässe auf den Bahnsteigen reduziert wurden. Dies trug nicht nur zur Verbesserung des Fahrgastflusses bei, sondern erhöhte auch die Sicherheit.

Ein weiterer Vorteil war die offene und übersichtliche Gestaltung der Bahnhöfe. Die pilzförmigen Stützen ermöglichten weite Sichtachsen, sodass sowohl Fahrgäste als auch Sicherheitspersonal eine bessere Orientierung hatten. Dies stärkte das subjektive Sicherheitsgefühl und erleichterte die Nutzung der Bahnhöfe. Zudem hatte das Konzept einen hohen architektonischen Wiedererkennungswert. Die markante Gestaltung machte die Bahnhöfe einzigartig und schuf eine visuelle Identität, die sich von herkömmlichen U-Bahn-Stationen abhob.

Aufwendige Planung und besondere Materialien: Deshalb wurde Rümmlers Ansatz kein Standard

Den Vorteilen standen jedoch auch einige Herausforderungen gegenüber. Ein wesentlicher Kritikpunkt waren die hohen Baukosten. Die spezielle Konstruktion erforderte aufwendige Planungen und besondere Materialien, was das Konzept teurer machte als herkömmliche Bahnhofsdesigns. Zudem war das Konzept nicht überall umsetzbar, da die getrennten Bahnsteige mehr Platz benötigten als konventionelle Lösungen. Dies schränkte die Anwendbarkeit auf bestimmte Standorte ein.

Auch die langfristige Anpassungsfähigkeit stellte ein Problem dar. Während andere Bahnhöfe relativ flexibel umgebaut oder modernisiert werden konnten, erwies sich Rümmlers Ansatz als weniger anpassungsfähig. Umbauten waren kompliziert, da das gesamte Konzept auf einer festen Struktur beruhte, die nicht ohne Weiteres verändert werden konnte. Diese Herausforderungen führten letztlich dazu, dass das Konzept nur an wenigen Stationen umgesetzt wurde und sich nicht als Standard durchsetzte.

Trotz geringer Verbreitung: Rümmlers Konzept als Inspiration für spätere Bahnhofsarchitektur

Obwohl Rümmlers Konzept nicht weitverbreitet wurde, hatte es einen nachhaltigen Einfluss auf die Gestaltung von Verkehrsbauten. Es demonstrierte, wie eine strukturierte Verkehrsführung das Nutzererlebnis verbessern kann, und lieferte Impulse für spätere U-Bahn-Designs. Vergleichbare Ansätze finden sich heute beispielsweise bei neuen Hochleistungsbahnhöfen, die auf intelligente Passagierführung setzen. Besonders die Idee der separaten Ein- und Ausstiegsbereiche wird weiterhin in modernen Verkehrskonzepten diskutiert.

Dabei bestehen viele der Bahnhöfe, die nach dem Rümmler-Prinzip gestaltet wurden, bis heute in ihrer ursprünglichen Form – was die Frage aufwirft, ob diese Bauweise als architektonisches Erbe erhalten bleiben oder an moderne Anforderungen angepasst werden sollte. Befürworter eines Erhalts betonen vor allem den historischen Wert dieser Bahnhöfe als ein bemerkenswertes architektonisches Experiment der 1980er Jahre.

Mangelnde Sicherheitsstandards und steigende Fahrgastzahlen: Kann das Konzept heute bestehen?

Gegner einer unveränderten Bewahrung verweisen hingegen auf die Notwendigkeit einer Anpassung an neue Sicherheitsstandards sowie auf die steigenden Fahrgastzahlen, die flexiblere Konzepte erfordern. Viele der Bahnhöfe mit dem damals erdachten Säulen – und Sichtachsenkonzept wurden für ein Verkehrsaufkommen konzipiert, das heute oft überschritten wird, sodass alternative Lösungen für eine bessere Nutzung der Flächen notwendig erscheinen.

Hinzu kommen die hohen Instandhaltungskosten für die speziellen Konstruktionen, die eine Modernisierung in einigen Fällen unumgänglich machen. Somit bleibt die Frage offen, ob die Bahnhöfe langfristig in ihrer ursprünglichen Form erhalten bleiben oder behutsam weiterentwickelt werden sollten, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden.

© Foto: Wikimedia Commons, Mäfä, CC BY-SA 3.0

Quellen: Signalarchiv: Berliner U-Bahn, BTU Cottbus-Senftenberg: Rainer G. Rümmler und die Berliner U-Bahn, tipBerlin: Die Architektur von Rainer G. Rümmler, Senatsverwaltung Berlin: Verkehr und Infrastruktur