Im Zuge des geplanten Neubaus der Rudolf-Wissell-Brücke in Berlin-Charlottenburg muss die traditionsreiche Kneipe „Tunneleck“ weichen. Die Kündigung trifft eine Familie mit Wohnrecht – ohne direkte Beteiligung am Verfahren. Der tatsächliche Zeitplan für den Brückenneubau ist derweil noch ungewiss, auch die tatsächlichen Kosten stehen offenbar noch nicht fest.

Rudolf-Wissell-Brücke: Trotz laufender öffentlicher Anhörung zum Großbauprojekt im April 2025 schreiten Abrissarbeiten bereits voran, wobei die traditionsreiche Kneipe „Tunneleck“ und das langjährige Zuhause der Familie Vogt in Berlin-Charlottenburg betroffen sind. / © Foto: IMAGO

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Auf der Berliner A100 steht das nächste Riesenprojekt an – und auch hier ist die Verkehrsverbindung in den Berliner Norden besonders davon betroffen. Die Rudolf-Wissell-Brücke, eine der meistbefahrenen Autobahnbrücken Deutschlands, soll in den kommenden Jahren umfassend erneuert werden. Während im April 2025 das öffentliche Anhörungsverfahren zu dem geplanten Großbauprojekt begonnen hat, schreitet der Abriss angrenzender Bauten bereits konkret voran. Besonders betroffen ist die Gaststätte „Tunneleck“, eine traditionsreiche Kneipe in Berlin-Charlottenburg, die sich unterhalb der Brücke befindet.

Auf dem gleichen Grundstück lebt die Familie Vogt, die das Areal seit 1964 nutzt. Die Kündigung des Pachtverhältnisses kam überraschend und erfolgte ohne persönliche Anhörung. Somit steht die Familie nun vor der doppelten Herausforderung, ihren Wohnraum und ihren langjährigen Betrieb zu verlieren – ein Fall, der beispielhaft für die sozialen Spannungen im Zusammenhang mit städtischen Infrastrukturvorhaben steht.

Rudolf-Wissell-Brücke: Langjährige Nutzung trifft auf beschleunigte Planung

Das Grundstück wurde einst von der Deutschen Bahn verpachtet und von der Familie eigenhändig bebaut. Über Jahrzehnte wurde dort Gastronomie betrieben, gleichzeitig diente das Gelände als Wohnsitz mehrerer Familienmitglieder. Der geplante Brückenneubau lässt für diese Nutzung jedoch keinen Raum mehr. Die Gebäude sollen bis Oktober 2025 vollständig abgerissen werden, um Platz für eine temporäre Baustraße zu schaffen.

Obwohl sich das Fernstraßen-Bundesamt derzeit mit über 500 Einwänden gegen das Projekt beschäftigt, war die betroffene Familie selbst nicht Teil des Beteiligungsverfahrens. Dass eine Kündigung bereits erfolgt ist, während andere Einwände noch geprüft werden, stößt bei vielen auf Unverständnis – zumal das Wohnrecht der Familie rechtlich verankert ist.

Kündigung des Pachtvertrags: Kritik an fehlender Kommunikation und Transparenz

Nach Angaben der Familie Vogt erfolgte die Kündigung ohne jegliche vorherige Kommunikation, wie die Berliner Morgenpost berichtet. Erst durch eigene Recherchen in den öffentlich ausgelegten Planungsunterlagen erfuhren die Betroffenen vom drohenden Abriss. Trotz der formalen Zulässigkeit der Maßnahme bleibt der Umgang mit der Familie ein kontroverser Punkt im Gesamtverfahren.

Die Familie kündigte an, sich rechtlich gegen die Räumung zu wehren – auch wenn dies mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden sein dürfte. Besonders problematisch ist dabei die Tatsache, dass auf dem Grundstück nicht nur eine gewerbliche, sondern auch eine private Nutzung stattfindet, was eine besondere Schutzwürdigkeit impliziert.

Abriss des „Tunneleck“: Verlust eines sozialen Ortes in Charlottenburg

Die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) kündigte an, dass eine Entschädigung entsprechend gesetzlicher Vorgaben nach Erlangung des Baurechts geprüft werde. Über Höhe und Zeitpunkt gibt es bislang keine konkreten Angaben.

Unabhängig vom Schicksal der Familie ist die Kultkneipe „Tunneleck“ für viele Anwohnende nicht nur eine Kneipe, sondern auch ein Treffpunkt. Der drohende Verlust steht exemplarisch für die Verdrängung kleiner sozialer Orte zugunsten großer Infrastrukturprojekte. Auch rund 100 Kleingartenparzellen im Umfeld der Brücke sind langfristig bedroht, wenn das Vorhaben wie geplant umgesetzt wird.

Rudolf-Wissell-Brücke: Unklarheiten über Zeitplan und Kosten des Abrisses

Der tatsächliche Zeitplan für den Brückenneubau ist noch ungewiss. Ursprünglich war ein Baubeginn 2025 vorgesehen, inzwischen gilt 2031 als realistischer Fertigstellungstermin. Auch die Baukosten sind in Bewegung: Die letzte Kostenschätzung aus dem Jahr 2021 beläuft sich auf 270 Millionen Euro, dürfte angesichts aktueller Preisentwicklungen jedoch kaum haltbar sein.

Während die Deges das Vorhaben weiter vorantreibt, bleibt offen, wie mit den betroffenen Menschen vor Ort umgegangen wird. Der Fall „Tunneleck“ zeigt, dass Infrastrukturprojekte nicht nur technische, sondern auch soziale Baustellen mit sich bringen. Doch ein Neubau der vielbefahrenen Autobahnbrücke ist unabhängig davon unausweichlich.

Quellen: rbb24.de, Berliner Morgenpost, Deges, IMAGO