Die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt gilt als eines der ambitioniertesten städtebaulichen Projekte Deutschlands. Nachdem das historische Viertel im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört und über Jahrzehnte modern bebaut wurde, entschied sich die Stadt 2012 für einen Wiederaufbau im historischen Stil. Während viele das Projekt als gelungenes Beispiel für den Erhalt historischer Identität feiern, kritisieren andere die Rekonstruktion als rückwärtsgewandte Kulissenarchitektur.

Die Neue Frankfurter Altstadt bleibt ein kontroverses Projekt. Für einige gilt sie als gelungenes Beispiel historischen Wiederaufbaus, während andere sie als künstliche Rekonstruktion kritisieren. / © Foto: depositphotos.com / sborisov
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Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Frankfurter Altstadt eines der größten zusammenhängenden mittelalterlichen Stadtviertel Europas. Geprägt von Fachwerkhäusern, verwinkelten Gassen und belebten Plätzen, war sie ein wichtiger Teil der städtischen Identität. Besonders das Areal zwischen Dom und Römer war architektonisch bedeutend und spiegelte Jahrhunderte städtischer Baugeschichte wider.
Die Bombenangriffe im März 1944 zerstörten dieses historische Ensemble nahezu vollständig. Nach Kriegsende entschied sich die Stadt jedoch für einen funktionalen Wiederaufbau, der die Bedürfnisse einer modernen, autogerechten Stadt in den Vordergrund stellte. Statt enger Gassen entstanden breite Straßen, statt historischer Gebäude dominierte eine zweckmäßige Architektur. Besonders umstritten war später der Bau des Technischen Rathauses in den 1970er Jahren, das große Teile der historischen Parzellen überbaute und das Stadtbild radikal veränderte.
Die Idee der Neuen Altstadt und der Wandel in der Frankfurter Stadtplanung
Die zunehmende Kritik an der Nachkriegsmoderne führte Anfang der 2000er-Jahre zu einem Umdenken. Mit dem Abriss des Technischen Rathauses 2004 eröffnete sich die Möglichkeit, die Altstadt neu zu gestalten. Die Stadt Frankfurt am Main initiierte daraufhin einen Planungsprozess mit breiter öffentlicher Beteiligung.
Der endgültige Beschluss zum Bau der Neuen Frankfurter Altstadt fiel 2010. Die Planungen sahen vor, die Altstadt nicht vollständig zu rekonstruieren, sondern eine Mischung aus historischen Rekonstruktionen und modernen Neubauten zu schaffen. Insgesamt sollten 35 Gebäude entstehen, darunter 15 originalgetreue Nachbauten bedeutender Altbauten und 20 Neubauten, die sich in ihrer Gestaltung an historischen Vorbildern orientieren. 2012 begannen die Bauarbeiten, 2018 wurde das Quartier eröffnet.
Architektur und Stadtbild: Rekonstruktion und moderne Interpretationen
Die Rekonstruktion der Neuen Altstadt orientierte sich an historischen Bauplänen, Fotografien und archäologischen Untersuchungen, um ein möglichst authentisches Stadtbild zu schaffen. Besonders aufwendig gestaltet wurde das Haus „Zur Goldenen Waage“, ein prächtiges Renaissancegebäude mit reich verzierter Fassade. Auch das Rote Haus, ein charakteristisches Fachwerkhaus sowie der Rebstockhof, eine historische Hofanlage, wurden originalgetreu nachgebaut. Das Haus zum Esslinger ergänzt die Rekonstruktion als Beispiel typischer Frankfurter Bauweise.
Neben diesen originalgetreuen Nachbildungen entstanden moderne Neubauten, die sich optisch an die Altstadt anlehnen, aber mit zeitgemäßen Materialien und Bauweisen umgesetzt wurden. Diese Mischung sollte verhindern, dass das Quartier wie ein reines Freilichtmuseum wirkt, und stattdessen eine Verbindung zwischen historischer Architektur und moderner Stadtentwicklung schaffen.
Neue Altstadt Frankfurt: Befürworter loben besonders die Rückgewinnung städtischer Identität
Viele Menschen feiern das Projekt bis heute als gelungenes Beispiel für den Erhalt historischer Identität, sehen die Neue Altstadt als Erfolg für die Stadtentwicklung. Sie argumentieren, dass Frankfurt durch die Kriegszerstörung einen wichtigen Teil seiner kulturellen Identität verloren habe und mit dem Wiederaufbau ein Stück Stadtgeschichte zurückgewonnen wurde.
Daher erfreut sich das Viertel auch großer Beliebtheit, sowohl bei Einheimischen als auch bei Touristinnen und Touristen. Die engen Gassen, Plätze und Gebäude schaffen eine besondere Atmosphäre, die als Wiederbelebung historischer Urbanität wahrgenommen wird. Auch wirtschaftlich hat sich das Projekt ausgezahlt: Die Wohnungen und Gewerbeflächen sind stark nachgefragt.
„Fiktion der Vergangenheit“: Kritiker bemängeln fehlende Authentizität
Trotz der positiven Resonanz bleibt die Neue Frankfurter Altstadt umstritten. Denn Kritiker bemängeln, dass sie kein authentisches Stadtbild, sondern eine idealisierte Version der Vergangenheit darstellt. Die historische Altstadt war über Jahrhunderte gewachsen und wies eine architektonische Vielfalt auf, die in der Rekonstruktion nicht vollständig berücksichtigt wurde.
Der Architekturhistoriker Philipp Oswalt spricht von einer „Vergangenheitsfiktion“. Viele Gebäude bestehen aus modernen Betonkonstruktionen mit historischen Fassaden, wodurch die Altstadt eher einer Filmkulisse gleiche als einem gewachsenen Viertel. Kritiker argumentieren daher, dass Stadtgeschichte nicht nur aus rekonstruierten Fassaden bestehe, sondern auch aus echter historischer Substanz und sozialer Vielfalt – beides sei hier kaum vorhanden.
Probleme mit der sozialen Durchmischung: Luxusanwesen statt lebendige Nachbarschaft?
Die Neue Altstadt war mit Gesamtkosten von rund 200 Millionen Euro eines der teuersten städtebaulichen Projekte Frankfurts. Ein großer Teil der Summe konnte jedoch durch Grundstücksverkäufe refinanziert werden. Wirtschaftlich erwies sich die Rekonstruktion als Erfolg: Die Gewerbeflächen sind stark nachgefragt, Cafés und Einzelhändler beleben das Viertel, und der Tourismus hat deutlich zugenommen. Zudem bleiben die Immobilienpreise stabil hoch, was das Quartier für Investoren attraktiv macht.
Trotz dieser positiven Effekte gibt es Bedenken aus stadtsoziologischer Perspektive. Denn die hohen Kaufpreise und Mieten machen das Viertel für viele unerschwinglich, wodurch eine breitere soziale Durchmischung kaum gegeben ist. Die Eigentumswohnungen in der Neuen Altstadt sind teuer, und es gibt Hinweise darauf, dass einige Wohnungen als Investitionsobjekte genutzt werden oder leer stehen. Hinzu kommt, dass nur ein begrenzter Teil der Flächen für bezahlbaren Wohnraum vorgesehen wurde. Kritiker bemängeln, dass die Altstadt eher ein exklusives Wohnquartier für Wohlhabende als ein lebendiger Stadtteil für alle Frankfurterinnen und Frankfurter geworden sei.
Rekonstruktion als Trend: Frankfurt als Vorbild für andere Städte?
Gleichwohl ist die Neue Frankfurter Altstadt kein Einzelfall – auch in anderen deutschen Städten gibt es Rekonstruktionsprojekte zur Wiederherstellung historischer Stadtquartiere. Ein bekanntes Beispiel ist der Neumarkt in Dresden, wo zahlreiche barocke Fassaden rekonstruiert wurden, um das historische Stadtbild wiederherzustellen.
Ähnlich umstritten wie Frankfurts Neue Altstadt ist außerdem die Wiedererrichtung der Garnisonkirche in Potsdam, da sie Fragen zum Umgang mit der preußischen Architektur und ihrer historischen Symbolik aufwirft. In Berlin wurde das Stadtschloss rekonstruiert und als Humboldt Forum neu genutzt. Während Befürworter auch hier den historischen Wiederaufbau begrüßen, kritisieren Gegner, dass solche Projekte oft eine idealisierte Vergangenheit inszenieren, anstatt sich mit der tatsächlichen Stadtgeschichte auseinanderzusetzen.
Die neue Frankfurter Altstadt: Zwischen Identitätsgewinn und inszenierter Vergangenheit
Die Neue Frankfurter Altstadt bleibt ein kontroverses Projekt. Für viele ist sie ein gelungenes Beispiel für den Wiederaufbau historischer Stadtviertel und ein Beitrag zur Stadtkultur. Andere sehen in ihr jedoch eine stilisierte Rekonstruktion, die eher an ein Freilichtmuseum als an eine echte Altstadt erinnert.
Dabei steht Frankfurt mit diesem Projekt nicht allein – Rekonstruktionen historischer Stadtquartiere sind in Deutschland und darüber hinaus ein wiederkehrendes Thema. Die Debatte darüber, wie Stadtgeschichte bewahrt oder neu interpretiert werden sollte, zeigt jedoch, dass das Interesse an historischen Stadtbildern groß ist – und dass die Frage nach dem richtigen Umgang mit Stadtgeschichte die Stadtplanung auch in Zukunft begleiten wird.
Quellen: Deutschlandfunk Kultur, FAZ, Süddeutsche Zeitung, HR-Info