Das Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof erzählt eine Geschichte von unternehmerischem Aufbruch, technischer Innovation und politischem Umbruch. Heute vereint der einst größte Druckstandort Europas historische Bedeutung mit moderner Nutzung. Jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Als größtes Druckhaus Europas konzipiert, als Symbol jüdischer Verlagskunst enteignet und als Geschäftshaus neu erfunden: Das Ullsteinhaus ist ein Spiegel deutscher Geschichte. Seine wechselvolle Nutzung macht es zu einem faszinierenden Ort der Erinnerung. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
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Bewegt man sich innerstädtisch aus Mitte-Kreuzberg entlang des Tempelhofer Damms, der nach jahrelanger Bautätigkeit nun endlich fertiggestellt ist und wieder für einen fließenden Verkehr sorgt, Richtung Süden, kommt man unweigerlich auf den Mariendorfer Damm und erblickt am Kreuzungspunkt Teltowkanal den imposanten Gebäudekomplex des Ullsteinhauses.
Der massige Bau mit seiner Backsteinfassade wurde Mitte der 1920er vom Architekten Eugen Georg Schmohl entworfen, dem Architekten, der auch den Borsigturm im Berliner Ortsteil Tegel geplant hatte. Beide Türme wurden stilistisch im sogenannten „Backsteinexpressionismus“ errichtet.
Das Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof: Leopold Ullstein als Gründer
Das Ullsteinhaus ist das Wahrzeichen der Ortsteile Tempelhof und Mariendorf, hinter dem sich eine typisch deutsche und vor allem Berliner Geschichte der Gründerjahre ab 1871 verbirgt.
Der vom Norddeutschen Bund unter der Führung von Preußen gegen Frankreich geführte Krieg, der im Spätsommer 1870 mit einer Niederlage Frankreichs in Sedan endete, hatte als Ergebnis die Reichsgründung Deutschlands zur Folge.
Frankreich hatte u. a. mehrere Milliarden Reichsmark als Reparationszahlungen an das Deutsche Reich zu leisten, sodass ab 1871, der Gründung des Deutschen Reiches, ausreichend Geld zur Verfügung stand, um junge, aufstrebende Unternehmen finanziell zu fördern.
Leopold Ullstein war als junger Papiergroßhändler nach Berlin gekommen
So geschehen auch mit Leopold Ullstein, der als noch junger Papiergroßhändler nach Berlin kam und bereits im Jahr 1877 die Druckerei Stahl und Aßmann übernahm. Im gleichen Jahr gründete er den Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Ullstein mit Sitz in der Kreuzberger Kochstraße.
Die Ullsteins brachten ab 1898 die Berliner Morgenpost heraus, die im Vergleich zu anderen Blättern der Stadt einen neutralen und unabhängigen Journalismus praktizierte. Bereits ein Jahr nach Gründung hatte die Morgenpost eine Auflage von 160.000 Exemplaren und war in den Folgejahren mit 600.000 Exemplaren die auflagenstärkste Zeitung der Weimarer Republik.
Expansion: Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Ullstein brauchte mehr Platz
Leopold Ullstein, der Firmengründer, verstarb im Jahr 1899, aber Besitz und Führung des Unternehmens verblieben in den Händen der Familie. Seine Söhne führten das Unternehmen weiter.
Diese bis dahin erstaunliche unternehmerische Erfolgsgeschichte versetzte das Unternehmen in die Lage, durch Fusionen und gezielte Zukäufe weiter zu expandieren.
Expansion bedeutet aber auch mehr Platzbedarf für Produktion und Redaktion. Ein Grundstück im Süden Berlins hatte man sich glücklicherweise bereits vorher gesichert, sodass die Geschäftsleitung entschied, die Produktion mit den großen und neuen Druckereimaschinen in den zur selben Zeit ebenfalls aufstrebenden Berliner Ortsteil Tempelhof zu verlagern.
Im Jahr 1927 wurde das Ullsteinhaus in Tempelhof fertiggestellt
Die Redaktion verblieb in der Kochstraße – auch wichtig hinsichtlich der Standortexklusivität –, denn in Kreuzberg schlug das „Herz“ des Berliner Zeitungswesens. Und so beauftragte man den Architekten Eugen Georg Schmohl, einen der bekanntesten Vertreter der neuen Industriearchitektur, ab 1925 am Standort in Tempelhof das „Ullstein-Druckhaus“ zu bauen – übrigens das damals größte Druckhaus Europas. Im Jahr 1927 wurde es fertiggestellt und exakt zum 50-jährigen Firmenjubiläum eingeweiht.
Schmohls Entwurf, eine fünf- bis siebengeschossige Vierflügelanlage, sah konstruktiv einen Stahlskelettbau vor, dessen Wände in Beton gegossen wurden und der zur damaligen Zeit – was Konstruktion und Größe des Gebäudes angeht – ein Novum im Industriebau darstellte.
Expressionistische Architektur: Der kühne Entwurf des Eugen Georg Schmohl
Die Betonaußenwände erhielten eine aus rotbraunen Klinkern bestehende Verblendung, die durch vertikal angeordnete Pfeiler streng gegliedert war. Wenn man als Außenstehender nicht weiß, was sich hinter den Mauern verbirgt, gewinnt man den Eindruck, dass sich im Innern des Baus eine Kirche befindet – was speziell durch die verglasten Fensterreihen noch unterstützt wird.
Aber das markanteste Merkmal dieses Hauses ist natürlich der 77 Meter hohe Glockenturm, das Wahrzeichen Tempelhofs. Bis 1957 war das Gebäude 30 Jahre lang das höchste Hochhaus Deutschlands. Hinsichtlich der sakralen Außenwirkung des Glockenturms und der Gebäudefassade muss man auch auf das goldene Ziffernblatt des Turms hinweisen, mit einem Durchmesser von 7,20 Metern, das den Berlinern und Besuchern weithin sichtbar die Zeit anzeigt.
Ullsteinhaus: Modernstes und größtes Druckhaus seiner Zeit
Dieses architektonisch und vor allem technisch hervorragend konzipierte Druckhaus zog bis ins Jahr 1932 mehr als 50.000 Besucher an. Der Architekt hatte bei seinen Planungen im Sinne der Effizienz alles Notwendige bedacht, was sich bei Fertigstellung und Inbetriebnahme als durchweg optimierte Druckereiproduktionsanlage darstellte: Aufzüge und Treppen waren als autarke Anlagen konstruiert, die Produktionssäle waren ohne Stützpfeiler und somit durchgängig vorgesehen, sodass spätere Umbauten unproblematisch waren.
Dieser durchweg fein ausgeklügelte Einsatz modernster Technik sorgte für bessere Arbeitsbedingungen in den Produktionssälen, etwa durch Entlüftungsanlagen und spezielle Befeuchtungsanlagen, die Problemen vor und nach dem Druckprozess vorbeugten und dafür verantwortlich waren, die Zahl der Krankheitsfälle deutlich zu reduzieren.
Nach der Machtübernahme 1933: Enteignung durch die Nationalsozialisten
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 stellte für die Familie Ullstein eine Zäsur dar. Im Zuge der „Arisierung“ wurde die jüdische Familie enteignet, der Verlag wurde – wie in anderen ähnlichen Fällen – in Deutscher Verlag und das Gebäude in „Deutsches Haus“ umbenannt.
Zum Glück waren die Zerstörungen des Tempelhofer Gebäudes im Zweiten Weltkrieg durch die Bombardements der Alliierten nicht so drastisch, sodass der Druckereibetrieb bis kurz vor Ende des Krieges relativ reibungslos weiterlaufen konnte.
Die Redaktion in der Kochstraße allerdings wurde angesichts des in der Innenstadt wütenden Kampfes um Berlin und der dort zuvor abgeladenen Bombenteppiche völlig zerstört. Aber die sowjetischen Besatzungstruppen hielten sich an der Technik schadlos, bauten alle Maschinen, die noch produktionsfähig waren, ab und verbrachten sie nach Russland. Nur ein Fünftel des vorherigen Maschinenbestandes verblieb im Gebäude – die allerdings zügig von den noch zur Verfügung stehenden Mitarbeitern wieder in Betrieb genommen wurden.
Schon ab August 1945 wurden im Ullsteinhaus wieder Zeitungen gedruckt
Bereits ab August 1945 ließ die Berliner US-Militärregierung im Druckhaus die Allgemeine Zeitung drucken – ihr offizielles Organ und Sprachrohr. Auch der Berliner Tagesspiegel ließ seine Zeitungen dort drucken. Im Jahr 1952 bekam die Familie Ullstein den noch verbliebenen Rest ihres ursprünglichen Besitzes zurück und fing schließlich an, den Verlag wieder aufzubauen.
Das Problem, das sich angesichts des Neuaufbaus herauskristallisierte, waren einerseits die nicht mehr in dem Maße vorhandenen, sprich mehrheitlich verstorbenen Erben des Firmengründers Leopold Ullstein. Andererseits waren auch die für den Verlag vor der Arisierung tätigen Autoren verschollen – abgesehen davon, dass die Redaktion in der Kochstraße vollkommen zerstört war.
1959: Erwerb des Ullstein-Verlags durch den Konkurrenten Axel Springer
Nach finanziell schwierigen Jahren für den Ullstein-Verlag erwarb im Jahr 1959 Axel Springer das Unternehmen, verkaufte jedoch nur kurze Zeit später das dazugehörige Ullsteinhaus wieder. Damit war der Weg frei für neue Ideen, neue Firmen und Läden, die sich im Gebäude am Mariendorfer Damm niederlassen sollten. Allerdings ließ Axel Springer dort noch bis 1985 Zeitungen und Zeitschriften drucken.
1985 veränderten sich durch die Insolvenz des Stuttgarter Unternehmers Welpert die Eigentumsverhältnisse, sodass das Gebäude erneut verkauft wurde. Zwischen 1986 und einem von 1991 bis 1993 durch Gernot und Johanna Nalbach errichteten neungeschossigen Anbau mit einer Nettofläche von 80.000 Quadratmetern zogen Modefirmen und kleine Gewerbetreibende in das Geschäftshaus ein.
Heute wird das historische Ullsteinhaus von verschiedenen Unternehmen und Institutionen genutzt
Im Oktober 2015 teilten die damaligen Eigentümer Becker und Kries mit, dass das Ullsteinhaus zum 1. Oktober an ein Familienunternehmen verkauft wurde. Nach Recherchen des RBB und den Berichten mehrerer Tageszeitungen soll es sich dabei um die Samwer-Brüder als neue Besitzer handeln.
Aus dem einstigen Druck- und Medienzentrum ist heute ein vielseitig genutztes Geschäftshaus geworden, in dem neben zahlreichen Arztpraxen auch das MVZ für Gefäßmedizin ansässig ist. Darüber hinaus beherbergt das Ullsteinhaus den Sitz des Deutschen Pressemuseums – ein Ort, der an die mediengeschichtliche Bedeutung des Gebäudes erinnert.
Das Ullsteinhaus ist damit weit mehr als ein imposanter Bau aus Backstein – es ist ein Stück Berliner Mediengeschichte. Vom größten Druckhaus Europas bis hin zum modernen Geschäftshaus mit kultureller Bedeutung hat es einen bemerkenswerten Wandel vollzogen. Heute steht es sinnbildlich für die Transformation der Stadt und erinnert zugleich an die bewegte Vergangenheit der Familie Ullstein und ihrer Verlagswelt.
Quellen: Deutsches Architektur Forum, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, berlin.de