Von der Schmuddelstraße zum begehrten Wohnviertel? Die baulichen Veränderungen entlang der Kurfürstenstraße in Schöneberg und Tiergarten prägen das Stadtbild und zeigen den reizvollen Spannungsbogen zwischen Vergangenheit und Zukunft. So sind in der Kurfürstenstraße bemerkenswerte Gebäude aus ganz unterschiedlichen Architekturepochen zu finden. Doch welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf das Viertel und seine Bewohner?

Kurfürstenstraße in Schöneberg: Auf der linken Straßenseite wurde ein Wohnungsbauprojekt realisiert, hierfür wurde der oberirdische Parkplatz des direkt angrenzenden Möbelhauses Hübner vollständig überbaut. Das entstandene Gebäude umfasst insgesamt 14 Häuser mit jeweils individueller Fassadengestaltung. Direkt gegenüber steht ein Gebäude aus dem Jahr 1914, heute als Sitz der Berliner Hochschule für Technik genutzt. / Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT
Das Image der Kurfürstenstraße an der Grenze zwischen Schöneberg und Tiergarten ist seit vielen Jahren nicht das beste. Straßenprostitution, ein überdimensioniertes Erotik-Kaufhaus und längst in die Jahre gekommene Häuserzeilen dominierten lange Zeit das Bild der Straße. Doch in den vergangenen Jahren hat sich das Straßenbild signifikant verändert.
Es ist nur ein kurzer Abschnitt der Kurfürstenstraße, die sich vom Park am Gleisdreieck bis zum Zoologischen Garten erstreckt, der für das schlechte Image der Straße verantwortlich ist. Der sogenannte „Straßenstrich“ zwischen Potsdamer Straße und Genthiner Straße beheimatet noch immer eine merkliche Anzahl von Prostituierten, die hier ihrem Tag- und Nachtwerk nachgehen – doch im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist offenbar etwas weniger geworden.
Schöneberg: zwei Wohnprojekte in der Kurfürstenstraße wurden fertiggestellt
Genau in diesem Bereich gab es großformatige, bauliche Veränderungen. An der Ecke Frobenstraße/Kurfürstenstraße 142 ist ein vollkommen neues, sehr auffälliges Gebäude entstanden. Eine aus Freunden bestehende Eigentümergemeinschaft, die an dieser Kreuzung bereits vor über zehn Jahren zwei zusammenhängende Grundstücke erworben hatte, hat an dieser Stelle ein Wohnhaus nach Plänen der Architekten Johanna Meyer-Grohbrügge und Sam Chermayeff errichten lassen.
Das mittlerweile fertiggestellte Baugruppenhaus mit dem Namen „Kufu“ setzt sich aus sechs Türmen zusammen, die, jeweils den beiden Straßenverläufen folgend, eine leichte Kurve formen. Auf der Rückseite des Gebäudes ist ein nach Süden geöffneter Garten entstanden.
Bauprojekt „Kufu“: 20 Wohnungen, Gewerbeflächen und ein Atelier
Die sechs Türme sind optisch ineinander geschoben, wodurch sie sich vertikal und horizontal überschneiden. Insgesamt sind bei dem Bauprojekt rund 20 Wohneinheiten im neuen Gebäude entstanden. Auch drei Gewerbeeinheiten und ein Atelier wurden eingerichtet.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist ein weiteres, deutlich größeres Wohnungsbauprojekt realisiert worden. Hierfür wurde der oberirdische Parkplatz des direkt angrenzenden Möbelhauses Hübner vollständig überbaut. Das entstandene Gebäude umfasst insgesamt 14 Häuser mit jeweils individueller Fassadengestaltung.
Eigentumswohnungen: Wohnprojekt „SCHŒNEGARTEN“ umfasst 14 Gebäude
Hier sind Eigentumswohnungen in einer Größenordnung zwischen zwei und vier Zimmern und mit 57 bis 165 Quadratmetern entstanden. Die 14 Wohnhäuser gruppieren sich um einen zentralen, 1.500 Quadratmeter großen Innenhof. Das Projekt mit dem Namen „SCHŒNEGARTEN“ entstand nach Plänen des Architekten Sergei Tchoban. Die Kurfürstenstraße zeigt mittlerweile ein deutlich verändertes Gesicht. Der Wandel von Berlins Schmuddelstraße hin zum begehrten Wohnviertel lässt sich allerdings nicht über Nacht erreichen.
Dennoch ist es unübersehbar, dass in Schöneberg und Tiergarten erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um langfristig eine deutliche Aufwertung dieses Stadtteils zu erreichen. Der Kurfürstenstraße tut dies – trotz einer leider sehr geringen Zahl von neu entstehenden Mietwohnungen – sichtbar gut. Durch die neu entstandenen Bauprojekte findet sich in der Kurfürstenstraße ein buntes Potpourri aus architektonisch ausgesprochen interessanten Gebäuden.
Kurfürstenstraße: Sitz der Berliner Hochschule für Technik in einem Gebäude aus dem Jahr 1914
Direkt an das Wohnprojekt „Kufu“ schließt sich ein Gebäude an, welches zwischen 1910 und 1914 erbaut worden ist. Verantwortlich für den Entwurf war der damalige Stadtbaudirektor Ludwig Hoffmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das frühere Gebäude der Baugewerkschule Berlin in die Ingenieurschule für Bauwesen über. Im Jahr 1971 wurde es Teil der Technischen Fachhochschule Berlin, die heute als Berliner Hochschule für Technik bekannt ist.
Direkt angrenzend befindet sich die Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, mit einem markanten Gemeindehaus aus den 1960er Jahren und der historischen Kirche, deren Grundsteinlegung auf das Jahr 1871 zurückgeht. Die Kirche bildet heute mit dem Anfang der 2020er Jahre fertiggestellten Neubau „Carré Voltaire“ ein städtebauliches Tandem, das den Platz am Kreuzungsbereich / Else-Lasker-Schüler-Straße dominiert.
Städtebauliches Tandem: Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde und Wohnprojekt „Carré Voltaire“
Im Rahmen des Bauprojekts „Carré Voltaire“ entstanden hochwertige Eigentumswohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von rund 12.000 Quadratmetern sowie eine Gewerbeeinheit mit etwa 200 Quadratmetern. Aus den oberen Etagen bietet sich heute ein umfassender Blick auf den umliegenden Kiez.
Zusätzlich wurde eine Tiefgarage mit 88 Doppelparkern im Untergeschoss des Quartiers realisiert. Die Entwicklung des Projekts erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekturbüro Klaus Theo Brenner. Nur einige Meter weiter in westlicher Richtung befinden sich zwei weitere Gebäude, die architektonisch starke Gegensätze ausbilden. So befindet sich der moderne Neubau des Sozialverbands Deutschland (kurz: SoVD, Landesverband Berlin-Brandenburg) neben dem historischen Haus Fromberg.
Historisches Haus Fromberg wurde 1895 für Cremer & Wolffenstein errichtet
Gegenüber der heutigen Café-Einstein-Villa Roßmann in der Kurfürstenstraße 58 stand einst das Künstlerhaus des Malers Louis Spangenberg, erbaut 1869–70 von Friedrich Koch. 1895 wich es dem repräsentativen Haus Fromberg, das für den Bankier Georg Fromberg nach Plänen von Cremer & Wolffenstein errichtet wurde. Der eindrucksvolle Villenbau mit hohem Schieferdach, weißer Glasurklinkerfassade und kunstvollen Details zählt zu den markanten Beispielen großbürgerlicher Architektur um 1900.
Seit den 1950er Jahren als Jugendgästehaus genutzt, wurde das Gebäude in den Jahren 1993 und 1994 saniert und dient heute als Firmensitz, ansässig ist dort unter anderem der Hartmannbund – Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands. Trotz verschiedener Umnutzungen blieb die ursprüngliche Raumstruktur weitgehend erhalten. Auch die aufwendige Fassadengestaltung und viele historische Innenraumdetails sind bis heute gut sichtbar.
Die baulichen Entwicklungen entlang der Kurfürstenstraße verdeutlichen den Transformationsprozess dieses über viele Jahre problematischen Stadtbereichs. Zwischen historischen Gebäuden und modernen Wohnprojekten entsteht eine neue Durchmischung, die das Viertel langfristig aufwerten könnte. Dennoch bleibt abzuwarten, inwieweit diese Veränderungen auch soziale Verbesserungen mit sich bringen. Für Architekturliebhaber ist ein Spaziergang durch die Kurfürstenstraße aber in jedem Fall ausgesprochen lohnenswert.

Auffallendes Wohnprojekt „Kufu“ an der Kurfürstenstraße, Ecke Frobenstraße. Insgesamt 20 Wohneinheiten sind hier entstanden.

Das Projekt mit dem Namen „SCHŒNEGARTEN“ (auf der linken Straßenseite) entstand nach Plänen des Architekten Sergei Tchoban. Hier wurden vorwiegend Eigentumswohnungen errichtet.

Im Zentrum der Kurfürstenstraße befindet sich die Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, mit einem markanten Gemeindehaus aus den 1960er Jahren und der historischen Kirche, deren Grundsteinlegung auf das Jahr 1871 zurückgeht. / Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Im Rahmen des Bauprojekts „Carré Voltaire“ (rechts) entstanden hochwertige Eigentumswohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von rund 12.000 Quadratmetern / Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

Ab 1895 entstand das Haus Fromberg (links), das für den Bankier Georg Fromberg nach Plänen von Cremer & Wolffenstein errichtet wurde. Der eindrucksvolle Villenbau mit hohem Schieferdach, weißer Glasurklinkerfassade und kunstvollen Details zählt zu den markanten Beispielen großbürgerlicher Architektur um 1900. / Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
Quellen: Baunetz, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, Bauwelt, Architekten Johanna Meyer-Grohbrügge / Sam Chermayeff, Tchoban Voss Architekten, Berliner Hochschule für Technik, Klaus Theo Brenner Architekten, Sozialverband Deutschland, lokalgeschichte.de, Landesdenkmalamt Berlin