Im kommenden Jahr will die schwarzrote Regierungskoalition eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes auf den Weg bringen, mit einem internationalen Gestaltungswettbewerb und einer Bürgerbefragung. Zehn Jahre nach dem Volksentscheid kommt auf die Hauptstadt eine große gesellschaftliche Debatte zu.
© Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
© Visualisierungen: GRAFT GmbH
Text: Björn Leffler
Die seit vielen Jahren geführte Diskussion um die Nutzung des Tempelhofer Feldes im Zentrum Berlins dreht sich vor allem um die Balance zwischen dem dringend benötigten Wohnungsbau auf der einen und dem Erhalt von Freiflächen auf der anderen Seite.
Befürworter des Wohnungsbaus – dazu gehört vor allem der Berliner Senat – argumentieren, dass die Schaffung von Wohnraum dringend nötig sei, während ihre Gegner betonen, dass das Feld als Freizeit- und Erholungsgebiet unverzichtbar für die umliegenden Quartiere sei.
Tempelhofer Feld: Diskussion um eine Bebauung gibt es seit vielen Jahren
Seit rund zehn Jahren gibt es auf dem Tempelhofer Feld den Status Quo: eine riesige, öffentlich nutzbare Freifläche, die nicht bebaut werden darf. So hat es der im Jahr 2014 durchgeführte Volksentscheid gewollt, so wurde es umgesetzt.
Das Feld wird heute von Bürgerinnen und Bürgern intensiv genutzt. Auf dem Areal befinden sich mittlerweile zahlreiche Sport- und Freizeitangebote. Gemüsegärten wurden angelegt, auch sanitäre Einrichtungen sind an mehreren Standorten errichtet worden.
CDU und SPD möchten eine Randbebauung des Tempelhofer Felds
CDU und SPD möchten in den kommenden Jahren auf einem Teil des Tempelhofer Feldes aber auch Wohnungen bauen. Begründet wird das Vorhaben mit der anhaltenden Wohnungsnot und der Knappheit an potenziellen Bauflächen für die dringend benötigten Wohnquartiere.
Bis Mitte 2025 soll eine Bürgerinnen- und Bürgerwerkstatt mit integriertem internationalen stadt- und freiraumplanerischen Ideenwettbewerb sowie begleitendem öffentlichen Dialog durchgeführt werden.
Grüne und Linke kritisieren die Bebauungspläne des Senats
Dieses Vorhaben wurde in der vergangenen Woche im Berliner Abgeordnetenhaus diskutiert – und von der Opposition scharf kritisiert. Grüne und Linke kritisieren die schwarz-rote Koalition und behaupten, diese habe bereits eine Entscheidung zur Randbebauung des Tempelhofer Feldes getroffen.
Sie bezeichnen die von CDU und SPD geplante Bürgerbeteiligung als „Scheinbeteiligung“. “CDU und SPD haben sich längst auf die Bebauung des Tempelhofer Feldes festgelegt”, sagte Julian Schwarze, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion laut Tagesspiegel.
BUND: Tempelhofer Feld „Errungenschaft der Zivilgesellschaft“
Auch der BUND kritisiert das Vorgehen des Senats und nennt das Tempelhofer Feld eine „Errungenschaft der Zivilgesellschaft für Menschen und Umwelt„. Tilmann Heuser, BUND-Geschäftsführer in Berlin, äußert sich dazu wie folgt: „Für eine populistische Scheinlösung wird von Schwarz-Rot die Spaltung der Stadtgesellschaft vertieft. Klima- und Artenschutz und die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner werden leichtfertig gleich mit über Bord geworfen.“
CDU und SPD aber haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Möglichkeiten einer “behutsamen Randbebauung” in begrenzten Teilen der Fläche zu prüfen. Dabei sei aber “die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner” entscheidend.
Auf die Berliner Stadtgesellschaft kommt eine große Debatte zu
Angesichts des akuten Wohnungsmangels in Berlin müsse man laut Regierungskoalition alle Instrumente nutzen, erklärte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, in seiner Rede im Abgeordnetenhaus.
Im kommenden Jahr kommt auf die Berliner Stadtgesellschaft also eine große und auch wichtige Debatte zu. Befürworter und Gegner einer wie auch immer konzipierten Randbebauung bringen sich also schon jetzt in Stellung.
Wohnungsbau und Erhalt von Freiflächen haben beiderseits hohe Priorität
Dass beide Tatbestände – der Bau von bezahlbaren Wohnungen und die Erhaltung von innerstädtischen Freiflächen – einen hohen Stellenwert für die Stadt haben, ist unbestritten. Nun gilt es, einen sinnvollen Weg zu finden, diese beiden Erfordernisse klug miteinander zu verbinden.
Wie das auf dem Tempelhofer Feld aussehen könnte, haben in den vergangenen Jahren viele Architektur- und Planungsbüros gezeigt und ihre eigenen Varianten dazu erarbeitet. Dazu gehört auch das in Berlin ansässige Büro Graft Architects, welches sich mit einer Randbebauung auseinandergesetzt hat und sein Konzept „Columbiaquartier“ getauft hat.
„Columbiaquartier“: Grafts Vision für ein „Stadtband“ auf dem Tempelhofer Feld
Das Konzept wurde bereits vor dem Volksentscheid von 2014 entwickelt. Das Büro sah damals vor, ein „Stadtband“ über einen Teil der Freifläche zu führen, auf dem der Bau von Wohnungen realisiert werden könnte.
Im Mittelpunkt sollte dabei laut Graft die Stärkung funktionsfähiger Charakterquartiere stehen. Die wichtigste Infrastrukturmaßnahme ist in diesem Konzept der Bau einer Erschließungsstraße, die sich größtenteils an der bestehenden Infrastruktur orientieren soll.
Bebauung mit Quartierscharakter: Wohnungen, Nahversorgung, Kita
Zudem sollten Einrichtungen zur lokalen Versorgung geschaffen werden, wie zum Beispiel eine Kita auf dem ehemaligen Softballfeld. Außerdem könnte ein Zentrum für Information, Präsentation und Vermittlung zum Thema Nachhaltigkeit und Gemeinschaft in diesem „Stadtband“ entstehen.
Das von Graft entwickelte Konzept könnte als Denkanstoß dafür dienen, wie eine sinnvolle Bebauung des Tempelhofer Feldes aussehen könnte, ohne den Charakter der heutigen Freiflächen zu zerstören oder zu stark zu verändern.
CDU und SPD bekräftigen, dass sich die Verhältnisse seit dem Volksentscheid 2014 in Berlin verändert hätten – und sie durch eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes darauf reagieren müssten. Wie letztlich die Volksbefragung organisiert werden soll, konnte die Regierungskoalition bislang aber noch nicht erläutern.
CDU und SPD suchen einen Weg, Akzeptanz für das Vorhaben zu erhalten
Unabhängig davon wird das Thema in 2025 wohl zum prominentesten Diskussion der Berliner Zivilgesellschaft – mit hohem Spaltungspotenzial. Die beteiligten Akteure – Befürworter wie Gegner – haben beiderseits gute Argumente auf der Hand.
Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die Regierungskoalition einen Weg zur teilweisen Bebauung des Tempelhofer Feldes bahnen will, ohne große Teile der Bevölkerung gegen das Projekt aufzubringen. Dies zu ermöglichen wäre wohl das Schlüsselelement am gesamten Vorhaben. Man darf gespannt sein.
Weitere Bilder zum Thema findet Ihr hier:
Quellen: GRAFT GmbH, Der Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Deutsches Architekturforum, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Berliner Zeitung, RBB, Architektur Urbanistik Berlin, BUND
Beider Seiten Argumente sind gut nachvollziehbar. Aber warum geht heute alles nur noch mit Maximalforderung und radikaler Emotionalisierung von Diskussionen? Neben dem Graft-Vorschlag gibt es auch noch andere Renderings, die alle einzig auf die Ränder des Tempelhofer Feldes abzielen. Was ist an solchen Bebauungen nun so schlimm, wenn am Ende immer noch eine extrem große Fläche im Innenraum übrig bleibt?
Die Erfahrung lehrt, dass diejenigen, die am Rand des Tempelhofer Feldes dann wohnen, ihre Ruhe haben wollen. Damit fallen dann gegebenenfalls eine Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten des Tempelhofer Feldes, eine immerhin weltweit einzigartige Anlage mitten in einer Millionen-Einwohner-Metropole zugunsten des Lärmschutzes usw. weg.
Das Wohnungsproblem ließe sich auch anders lösen, indem man das Stadtplanungsrecht anpasst und flächendeckend höher baut, nichts mehr unter sechs, eher sieben oder acht Stockwerken!