Die „Goldenen Zwanziger“ in Berlin: Das Café Piccadilly am Potsdamer Platz mit seinen 2.500 Plätzen war einst Inbegriff des urbanen Lebens – und rund um die Uhr geöffnet. Heute ist es nur noch ein verblasster Teil der Berliner Stadtgeschichte. Eine Spurensuche nach dem Glanz vergangener Tage. Zweiter Teil unserer historischen Artikelreihe – jetzt lesen mit ENTWICKLUNGSSTADT PLUS.

Das Haus Vaterland am Potsdamer Platz, kurz nach seiner Fertigstellung im Jahr 1913. / © Foto: Wikimedia Commons
© Foto Titelbild: Abbildung des Haus Vaterland auf einer historischen Postkarte aus dem Jahr 1930 (Wikimedia Commons)
Die Schließung des Hauses der Unterhaltung in Berlins historischer Mitte und der letztendliche Abriss im Jahr 1996 waren angesichts der Umstände vor und nach dem Mauerfall eigentlich nicht zu verhindern. Zum einen konnten die DDR-Verantwortlichen in der noch zur Verfügung stehenden Zeit nach der Eröffnung Anfang 1989 bis zum Mauerfall am 9. November 1989 das ihnen vorschwebende Konzept nicht mehr umsetzen.
Zum anderen waren die frühen 1990er Jahre aufgrund der neuen politischen Situation von großer Unsicherheit in allen Bevölkerungsschichten geprägt. Interessierte Investoren waren nicht vorhanden, um ein Konzept zu entwickeln, das nur in Ansätzen dem entsprechen konnte, was in der Hochphase des legendären „Haus Vaterland“ am Potsdamer Platz tagtäglich ablief.
Außerdem spielte sich das große Amüsement zum Zeitpunkt des Mauerfalls im Westteil der Stadt in der bürgerlich dominierten Gegend um den Kurfürstendamm ab – und nicht in der historischen Mitte Ost-Berlins.
Berlins Nachtleben in den 1920er Jahren – Blütezeit der Weimarer Republik
In der Blütezeit der Weimarer Republik, die in Deutschland als „Goldene Zwanziger“, in den USA als „Roaring Twenties“ und in Frankreich als „Années Folles“ – die verrückten Jahre – bezeichnet wurde, bestimmte in den Gesellschaften der europäischen Metropolen und auf der anderen Seite des Atlantiks der urbane Rausch immer mehr den Lebensrhythmus. In Paris amüsierte man sich bei dekadenten Abenden im Montparnasse, und Josephine Baker tanzte im „Folies Bergère“, während die Amerikaner heimlich verbotenen Alkohol konsumierten.
In Berlin spielte sich das pulsierende Nachtleben Mitte der 1920er Jahre am Potsdamer Platz ab. Doch nach und nach bekam Berlins Mitte Konkurrenz durch das um diese Zeit aufstrebende Bürgertum im Westteil der Stadt. Der „Neue Westen“ um die Areale Kurfürstendamm, Tauentzienstraße und den heutigen Breitscheidplatz (früher Auguste-Viktoria-Platz) wurde für die Amüsiersüchtigen zum neuen Anlaufpunkt.
Konkurrenzdruck für etablierte Lokale am Potsdamer Platz
Mit dieser Konkurrenz erhöhte sich für die etablierten Restaurants und Bars am Potsdamer Platz der wirtschaftliche Druck – so natürlich auch für das dort gelegene Café Piccadilly im Haus Potsdam. Der Potsdamer Platz war zu jener Zeit mit den Straßen- und Omnibuslinien, dem Fern- und U-Bahnhof sowie dem stark angewachsenen Individualverkehr einer der verkehrsreichsten Plätze Europas. In einem Reiseführer aus dem Jahr 1912 empfahl man Touristen, den Platz zu besuchen, um die „Welle des Berliner Verkehrs über sich hinwegschlagen zu sehen“ (1).
Wer hierher kam, erlebte das urbane Leben in der Mitte Berlins. Der Potsdamer Platz galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Ausdruck der Moderne und der dynamischen Entwicklung der Stadt. Der verkehrsreiche Potsdamer Platz entwickelte sich zu einem großstädtischen Amüsierviertel.
Ende des 19. Jahrhunderts – Potsdamer Platz als begehrte Investitionsadresse
Aber bereits früher, Ende des 19. Jahrhunderts, war der Potsdamer Platz eine der angesagtesten Adressen in Berlin, um gezielt in markante Neubauten zu investieren.
Das opulente und sagenumwobene Kaufhaus Wertheim mit 83 Aufzügen wurde 1897 eröffnet – heute steht dort die Mall of Berlin. Auch die imposanten Hotels Fürstenhof und Grand Hotel Bellevue lagen in unmittelbarer Reichweite.
Ein Grundstück, das sich ebenfalls in die „Front des Potsdamer Platzes“ einfügte, war ein Gelände, um das sich bereits einige Jahre lang „Bauspekulationen“ rankten – so berichtete eine Architekturzeitung im Jahr 1912.
Grundstücksspekulationen und architektonischer Wandel am Potsdamer Platz
Der Besitzer des Grundstücks, die Berliner Bank für Grundbesitz und Handel, entschied 1911, auf dem Gelände ein großes, repräsentatives Gebäude zu errichten. Die darauf stehenden vier kleinen Mietshäuser mussten dem Neubau weichen.
Diese Entscheidung konnte man auch als Symbol für die weitere städtebauliche Entwicklung des Potsdamer Platzes mit seiner eindeutigen kommerziellen Ausrichtung und architektonischen Verdichtung werten.
Architektur im Wandel – Ein neues, repräsentatives Geschäftshaus am Potsdamer Platz
Das geplante Gebäude sollte, ganz dem Zeitgeist entsprechend, als repräsentatives Geschäftshaus konzipiert werden, in dem Läden und Restaurants unter einem Dach zusammengeführt wurden. Diese Art des Bauens hatte sich bereits um 1900 als eine neue Architekturform in Berlin entwickelt und sollte nun in diesem geplanten Neubau eine weitere Fortsetzung erfahren.
Ein bedeutender Architekt dieser Zeit, von Kaiser Wilhelm II. protegiert, erhielt den Auftrag zur Errichtung dieses Gebäudes: Franz Heinrich Schwechten, der sich bereits mit dem Anhalter Bahnhof und der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin einen Namen gemacht hatte.
Neubau am Potsdamer Platz im Jahr 1912 – Der imposante Rundbau prägte das Stadtbild
Aufgrund des schmalen Grundstücks entwarf Schwechten einen lang gestreckten Bau mit 93 Metern Länge und nur 23 Metern Breite. Am Kopfende des Gebäudes, Richtung Potsdamer Platz, platzierte er in seinem Entwurf einen kuppelgekrönten Rundbau mit einer kupfergedeckten und bildhauerisch sehr ansprechenden Kuppel.
Dieser 35 Meter hohe Rundbau sollte zukünftig das Stadtbild am Potsdamer Platz prägen. Der Neubau erregte während der Bauphase nicht wenig Aufmerksamkeit unter den Berlinern und Architekten und wurde von damaligen Experten als Beispiel deutscher Architekturkunst gepriesen.
Fortschrittliche Stahlkonstruktion als technologische Meisterleistung
Ein Stahlgerüst im Kern des Gebäudes sorgte für die statische Sicherheit – das betraf auch die Kuppel. Fünf kastenförmige Rahmenkonstruktionen überspannten das Gebäude in seiner gesamten Länge und Breite und ermöglichten, dass die beiden darunter liegenden Geschosse ohne Zwischenstützen realisiert werden konnten. Eine weitsichtig angelegte Konstruktion, die sich später beim radikalen Umbau als vorteilhaft erweisen sollte.
Die Bauexperten jener Zeit waren von dieser Stahlkonstruktion beeindruckt und sahen darin einen Ausdruck der leistungsfähigen deutschen Stahlindustrie, die ohne Umschweife als Basis des ökonomisch-industriellen „Weltmachtstrebens“ galt.
Schlichte Fassade mit überraschend vielfältiger Nutzung
Die Sand- und Kalksteinfassade wurde unspektakulär gestaltet und gliederte sich in senkrecht angebrachte Bögen und Fenstergruppen. Diese schlichte Fassadengestaltung ließ Außenstehende nicht erahnen, welcher Bestimmung der Neubau tatsächlich zuzuordnen war. Die rückwärtigen Gebäudeteile, die vom Potsdamer Platz abgekehrt lagen, sowie die oberen Etagen waren auf rund 3.400 Quadratmetern als Büroflächen konzipiert.
Im Erdgeschoss betrat der Besucher ein großzügig gestaltetes Foyer mit einem angeschlossenen Restaurant. Des Weiteren befand sich im ersten Obergeschoss ein Kino, die sogenannten „Kammerlichtspiele“, das 1.200 Besuchern Platz bot und damit zu den größten Lichtspieltheatern Berlins gehörte. Die Kinoleinwand mit einer Breite von 5,55 Metern und einer Höhe von sechs Metern, gepaart mit der damals modernsten Kinotechnik, unterstrich die Exklusivität dieses Kinos.
Eröffnung des Café Piccadilly 1912 – Das größte Kaffeehaus Berlins
Doch das eigentliche Zentrum des Gebäudes war der repräsentative Rundbau auf der Vorderseite, der dem Potsdamer Platz zugewandt war. Hier wurde im Februar 1912 das Café Piccadilly eröffnet. Das Café, benannt nach dem berühmten Londoner Platz „Piccadilly Circus“, erstreckte sich über zwei Etagen und bot Platz für maximal 2.500 Gäste. Es war das damals größte Kaffeehaus Berlins – einige behaupteten sogar, es sei das größte Kaffeehaus der Welt gewesen.
Die Kaffeehauskultur befand sich zu dieser Zeit in Europa auf ihrem Höhepunkt und war nicht nur für kulinarische Angebote bekannt, sondern auch als Ort der Geselligkeit – des „Sehen und Gesehenwerdens“. Dementsprechend luxuriös war die Ausstattung: eine große Musikbühne für Tanzveranstaltungen, moderne Lichttechnik und eine opulente Wanddekoration verliehen dem Café Piccadilly eine exklusive Atmosphäre.
Café Piccadilly in Berlin – Ein 24-Stunden-Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle
Im Café Piccadilly konnte man rund um die Uhr verkehren, und mit seiner künstlerisch anspruchsvollen Inneneinrichtung im Jugendstil war es vor allem in den Nachtstunden ein Anziehungspunkt für Künstler, Intellektuelle und all jene Besucher, die ein solch eindrucksvolles Ambiente zu schätzen wussten.
Neben den gastronomischen Annehmlichkeiten, die die Großküche den Gästen bot, wurde auch für eine durchgehende musikalische Unterhaltung gesorgt. Die Musikkapellen wechselten alle sechs Stunden, sodass im Café jederzeit die Möglichkeit zum Tanzen bestand.
Mondänes Flair und die Bedeutung des Café Piccadilly für das Berlin der Kaiserzeit
Mit seinem mondänen, weltoffenen und großzügigen Cafébetrieb hatte das Café Piccadilly einen nicht unwesentlichen Anteil am weltstädtischen Flair der deutschen Reichshauptstadt. Das Bedürfnis der Deutschen nach „Weltmachtgeltung“(1), um im Konzert der anderen Großmächte mitspielen zu dürfen, kam an diesem Ort besonders deutlich zur Geltung.
Das Besondere am Café Piccadilly war auch, dass hier die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten zusammenkamen und für jeden Geschmack etwas geboten wurde.
Gesellschaftlicher Treffpunkt mit einer bis 1918 geltenden Einschränkung für Frauen
Allerdings gab es aus heutiger Sicht eine bemerkenswerte Einschränkung: Frauen durften das Café nur in Begleitung eines männlichen Gastes betreten. Erst ab 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, war es Damen gestattet, auch ohne männliche Begleitung das Café zu besuchen.
Die vom Architekten Schwechten konzipierte Kuppelform der zum Potsdamer Platz zugewandten Gebäudeseite lehnte sich stark an die runde Form des berühmten Londoner Platzes „Piccadilly Circus“ an. Dort prägten die Fassaden mit elektrischer Werbung das moderne weltstädtische Ambiente.
Auch das am Potsdamer Platz gelegene Café Piccadilly übernahm diese neuartige Werbeform. Die runde Reklamewand war auch in der Nacht weithin sichtbar, und die beleuchteten Schriftzüge „Piccadilly“ und „Kammerspiele“ zogen Besucher und Touristen in Scharen an.
Fortsetzung folgt…

Schwer zerstört durch Bombardierungen im Krieg: Das Haus Vaterland im Oktober 1947. / © Foto: Wikimedia Commons, Bundesarchiv, Bild 183-R67508 / Bittner / CC-BY-SA 3.0
Quellen: (1) Vanessa Conze „Haus Vaterland“, Verlag Elsengold, Wikipedia, Deutsches Architektur Forum