Hamburg macht es vor: Mit dem A7-Deckel wurde Lärmschutz mit neuen Wohn- und Grünflächen kombiniert. Wie solche Lösungen auch in Berlin realisiert werden könnten, zeigt ein innovatives Konzept für die A100.

Hamburgs A7-Deckel zeigt, wie Autobahnen intelligent überbaut werden können, um Stadtteile zu verbinden und neuen Raum zu schaffen. Berlin könnte mit der westlichen A100 ähnliche Wege beschreiten. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

© Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Björn Leffler

 

Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt hatte bereits vor über zwei Jahren in einem dpa-Interview den Rückbau von Straßen und Parkplätzen gefordert, um zusätzliche Flächen für Wohnungsbau und die Schaffung entsiegelter Flächen zu ermöglichen. Ihr Ansatz, bestehende Stadtstrukturen zu nutzen statt „massiv und rücksichtslos“ neu zu bauen, wurde seitdem kontrovers diskutiert.

Der Rückbau von bestehenden Straßen- oder Autobahnstrukturen wird beispielsweise im Berliner Südwesten seit mehreren Jahren thematisiert, wo Architekten, Bürgerinitiativen und sogar die rot-grün-rote Koalition den Abriss der sanierungsbedürftigen, ehemaligen  Autobahnbrücke am Breitenbachplatz forderten. Ab dem kommenden Frühjahr soll dieser Abriss umgesetzt werden, allerdings mit Einschränkungen.

Berlin: Überbauung der Stadtautobahn A100 zur Schaffung von Wohnraum?

Einen gänzlich anderen Ansatz wählte das in Berlin ansässige Planungsbüro Lindner, welches schon vor mehreren Jahren einen innovativen städtebaulichen Ansatz zur Nutzung von bestehenden Autobahnflächen präsentierte, der zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde. Architekt Mario Lindner, Inhaber des Büros, schlug eine Überbauung der Berliner Stadtautobahn vor, um darüber liegend Platz für den so dringend benötigten Wohnungsbau zu schaffen.

Die Vorteile einer solchen Lösung liegen auf der Hand, da somit einerseits die lärmende und Abgase erzeugende Autobahn, die sich wie eine dröhnende Schneise durch viele Quartiere im Westen Berlins zieht, intelligent unter die Erde verlegt werden und der Raum darüber sinnvoll genutzt werden könnte. Zudem würden große Nutzflächen entstehen, die bislang überhaupt nicht existieren.

Potenzial für 3.000 neue Wohnungen zwischen Halensee und Hohenzollerndamm

Lindner rechnete vor, dass durch eine Überbauung der Stadtautobahn zwischen den Bahnhöfen Halensee und Hohenzollerndamm eine Fläche entstehen würde, auf der rund 3.000 neue Wohnungen errichtet werden könnten. Wer das Konzept für utopisch und baulich nicht umsetzbar hält, sollte einen Blick nach Hamburg werfen, denn dort wird ein ganz ähnliches Projekt verfolgt und ist in Teilen bereits fertig.

Das Projekt ist in der Hansestadt unter dem Namen „Hamburger Deckel“ bekannt, oder auch „A7-Deckel“. Das ambitionierte Vorhaben umfasst drei Tunnel mit einer Gesamtlänge von 3.753 Metern, die die Bundesautobahn 7 nördlich des Elbtunnels einhausen. Zwei dieser drei Tunnel-Überbauungen sind bereits abgeschlossen, in den Stadtteilen Stellingen und Schnelsen. Der dritte und letzte Tunnel in Hamburg-Altona soll bis 2028 fertig werden.

Hamburg: Überbauung der Autobahn A7 hat neue Flächenpotenziale ermöglicht

Der Stellinger Deckel (siehe Fotos) wurde durch den Entwurf des Berliner Büros Weidinger Landschaftsarchitekten in eine 3,9 Hektar große Parkanlage verwandelt, die den bislang durch die Autobahn zerschnittenen Stadtteil verbindet. Eine Promenade verläuft von der Kieler Straße bis zum Kollauwanderweg und bietet dank asphaltierter Oberfläche Komfort für Fußgänger, Radfahrer und Rollstuhlfahrer.

An ausgewählten Orten wie der Schule Wegenkamp oder der Kleingartenanlage entstehen verbreiterte Bereiche mit Sitzplätzen und Spielmöglichkeiten. Aufgrund des hohen Grundwasserspiegels liegt die Autobahn höher, wodurch der Park nicht überall ebenerdig zugänglich gemacht werden konnte. Treppen und Rampen sorgen jedoch für barrierefreie Verbindungen zwischen den Wohngebieten und der Parkanlage.

Autobahndeckel Stellingen: Rasenflächen und Kleingartenanlagen sind entstanden

Auf dem Deckel wurden Rasenflächen und Kleingartenanlagen angelegt, letztere sind derzeit noch im Bau, stehen aber kurz vor dem Abschluss. In ähnlicher Form wurde der Autobahndeckel in Hamburg-Schnelsen gestaltet. In Altona hingegen sind keine Grünflächen geplant, dort sollen mehrere tausend Wohnungen entstehen, die an den Rändern der geplanten Tunneldeckelung geplant sind. Der Hamburger Senat spricht selbst von einem Wohnraumpotenzial für rund 5.000 neue Wohnungen.

Die Deckelung der Autobahn A7 in Hamburg hatte ganz konkrete Hintergründe. Der Ausbau der A7 auf bis zu zehn Fahrstreifen sollte den Verkehrsfluss verbessern, da täglich bis zu 152.000 Fahrzeuge diese Strecke nutzen und die Unfallquote etwa 50 Prozent über dem Bundesdurchschnitt lag. Wegen der hohen Lärmbelastung, die über zulässigen Grenzwerten lagen, wurde eine Überdeckelung der Autobahn als notwendiger Lärmschutz umgesetzt, finanziert nach dem Verursacherprinzip durch den Bund mit Kosten von rund 420 Millionen Euro.

Die Deckelung der Autobahn A7 erfolgte vorwiegend aus Lärmschutzgründen

Der Hamburger Senat nutzte die Planung schließlich als Chance für eine „Stadtreparatur“ und ergänzte die Bundespläne um zusätzliche Deckelbauten sowie eine Verlängerung des Bahrenfelder Deckels, die Hamburg mit 167 Millionen Euro kofinanziert. Mehrere Bürgerinitiativen hatten sich zuvor vergeblich für eine Überdeckelung eingesetzt, mit der dann beschlossenen Planung übernahm schließlich aber der Bund den Großteil der Kosten. Insgesamt wurden und werden so in Hamburg rund 35 Hektar Fläche neu entwickelt.

Eine Verbindung von Stadtteilen, die heute noch zerschnitten sind, könnte auch eine Autobahn-Überbauung der westlichen A100 in Berlin ermöglichen. Die zu errichtenden Wohnungen könnten dabei in nachhaltiger Holz-Hybridbauweise entstehen, die neuen Wohnviertel im Idealfall verkehrsberuhigt und autofrei gestaltet werden. Dies könnte durch die Schaffung von Quartiersgaragen entstehen, die beispielsweise an den Endpunkten der Überbauung (wie etwa am Bahnhof Hohenzollerndamm oder am Bahnhof Halensee) errichtet werden könnten.

Berlin braucht Raum für tausende neuer Wohnungen – und könnte über der Autobahn zusätzliche Flächen schaffen

Das Quartier selbst sollte sich nach diesen Vorstellungen wie eine parkähnliche Grünzunge mit öffentlichem „Fahrradhighway“ (entlang der A100-Streckenführung) über die heutige Autobahn legen und dabei gleichzeitig als eine elegante Form der Stadtreparatur funktionieren. Wie so etwas aussieht, lässt sich in Hamburg schon heute beobachten.

So könnten also auch die Straßen der angrenzenden Quartiere, die heute an der Autobahnschneise enden, sinnvoll durch das neue Viertel geführt werden. Zusätzlich zu den neu entstehenden Wohnungen wäre auch die Errichtung neuer Kita- und Schulgebäude vorauszusetzen, um kurze Wege für die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner zu ermöglichen.

Zudem könnten nachhaltige, städtebauliche Ansätze, die sich mittlerweile zum architektonischen Standard im Wohnungs- und Gewerbebau entwickelt haben, umgesetzt werden. Dazu gehören etwa die Installation oder der Bau von Photovoltaik-Modulen, Regenwasserspeichern oder Windkraftanlagen. Das Flächenpotenzial, welches über Berlins großen Straßen- und Schienenflächen liegt, könnte ein entscheidender Faktor bei der Suche nach neuem Bauland werden.

 

Hamburg-Stellingen: Auf dem Autobahn-Deckel wurden Rasenflächen und Kleingartenanlagen angelegt, letztere sind derzeit noch im Bau, stehen aber kurz vor dem Abschluss. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

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So könnte eine Überbauung der Stadtautobahn A100 zwischen Halensee und Hohenzollerndamm aussehen. / © Visualisierung: Lindner Planungsbüro

Quellen: hamburg.de, Wikipedia, Lindner Planungsbüro, Weidinger Landschaftsarchitekten