Einst eine der imposantesten Denkmalsanlagen Europas, später dem politischen Wandel zum Opfer gefallen – das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal prägte Berlins Stadtbild über Jahrzehnte. Heute ist von dem einst mächtigen Reiterdenkmal nur noch der Sockel übrig, während an seinem Platz ein neues, ebenso umstrittenes Denkmal entstehen soll.

Vor dem Berliner Schloss stand einst eines der größten Nationaldenkmäler Deutschlands – bis es nach dem Zweiten Weltkrieg der Ideologie der DDR-Regierung weichen musste. Doch das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal hinterließ Spuren, die bis heute die Debatte um den historischen Schlossplatz prägen. / © Foto: Wikimedia Commons

© Fotos: Wikimedia Commons

 

Vor dem rekonstruierten Eosander-Portal des Humboldt Forums entsteht derzeit in Berlin-Mitte eines der umstrittensten und meistdiskutierten Bauprojekte, welches längst für bundesweites Aufsehen gesorgt hat – und dies auch weiterhin tut. Der Bundestag hatte das Denkmal bereits 2007 erstmals beschlossen, vor fast 20 Jahren.

Der Baubeginn verzögerte sich anschließend durch Wettbewerbe, Meinungsverschiedenheiten im Siegerteam und Bedenken von Denkmal- und Tierschützern. Der Bau des Denkmals nach einem Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros Milla & Partner entsteht derzeit auf der Fläche des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals, das dort bis 1949 gestanden hatte.

Der Bau der „Einheitswippe“ entsteht auf der Fläche des einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmals

Das nun entstehende Bauwerk wird sich aber keineswegs mit Kaiser Wilhelm und dessen Geschichte befassen. Die in vielen Medien als  „Einheitswippe“ umschriebene Installation wird an die friedliche Revolution im Herbst 1989 in der ehemaligen DDR und die folgende Wiedervereinigung Deutschlands ein Jahr später erinnern.

Das Konzept der 50 mal 18 Meter großen Konstruktion sieht eine riesige, begehbare Schale vor. Bewegen sich ausreichend viele Menschen zu einer Seite, neigt sich die Waage entsprechend – so jedenfalls die Theorie. Ob dies so auch in der Praxis funktioniert, lässt sich bislang nicht austesten, denn bis heute steht an der vorgesehenen Stelle lediglich der unvollständige Sockel.

Rechtliche Differenzen sorgten in der Vergangenheit zur Verzögerung beim Einheitsdenkmal

Der Bau kommt nämlich ähnlich schwierig voran wie die vorherige Planungsphase. In der Vergangenheit nannten die Projektbeteiligten ungelöste bürokratische Streitigkeiten als Grund dafür. So fehlten nach Angaben des Stahlbauers wichtige Genehmigungen vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Während die Baufirma behauptete, dass die bewegliche Schale als Maschine unter das Produktsicherheitsgesetz der EU fällt und keine bauaufsichtliche Freigabe benötigt, sah das BBR dies anders.

Doch das ist noch nicht alles. Weitere Verzögerungen liegen vor allem in Streitigkeiten zwischen dem Generalübernehmer, dem Architekten Johannes Milla und der Tänzerin Sasha Waltz, sowie dem Stahlbauunternehmen Heinrich RohlfingLetzteres meldete im Februar 2024 Insolvenz an und verweigert die Auslieferung der fertiggestellten, 150 Tonnen schweren Wippe, die noch immer im Werk in Nordrhein-Westfalen steht. Ob und wann das Einheitsdenkmal auf dem historisch so bedeutsamen Grund errichtet wird, steht derzeit tatsächlich in den Sternen.

1888: Der Reichstag beschloss den Bau eines zentralen Nationaldenkmals zu Ehren Kaiser Wilhelms I.

Doch was stand eigentlich zuvor auf der Fläche, bzw. warum stand dort nichts mehr? Die Fläche vor dem rekonstruierten Stadtschloss, auch als „Schlossfreiheit“ bezeichnet, hat eine bewegte Geschichte hinter sich, geprägt von der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Doch der Reihe nach.

Nach dem Tod Kaiser Wilhelms I. im Jahr 1888 beschloss der Reichstag die Errichtung eines zentralen Nationaldenkmals zu dessen Ehren. Im darauffolgenden Jahr wurde dazu ein offener Wettbewerb ausgelobt, für den 100.000 Mark Preisgeld bereitgestellt wurden. Der siegreiche Entwurf des Architekten Bruno Schmitz für ein Kaiserforum konnte jedoch nicht überzeugen, sodass 1891 eine zweite, auf acht Künstler beschränkte Ausschreibung folgte. Als Standort wurde die Westseite der „Schlossfreiheit“ am Spreekanal gegenüber dem Eosanderportal des Berliner Schlosses festgelegt.

Nationaldenkmal am Berliner Stadtschloss: Der Entwurf von Reinhold Begas erhielt den Zuschlag

Auf Initiative Kaiser Wilhelms II. wurden zusätzlich Reinhold Begas und Wilhelm von Rümann zum Wettbewerb zugelassen, woraufhin mehrere Teilnehmer ihre Beiträge zurückzogen. Die verbliebenen Entwürfe, als Modelle im Maßstab 1:5 gefertigt, wurden öffentlich im Zeughaus präsentiert. Der vom Kaiser favorisierte Begas erhielt den ersten Preis und realisierte das Denkmal mit seinen Schülern.

Die architektonische Gestaltung übernahm Gustav Halmhuber, der sich gegen Hofbaurat Ernst von Ihne durchsetzte. Die Kolonnaden am Spreekanal orientierten sich in Form und Dimension am bereits bestehenden Eosanderportal. Die Bauarbeiten begannen schließlich 1894 mit dem Abriss der Häuserzeile an der Schloßfreiheit und der Überwölbung des Mühlengrabens. Am 18. August 1895, dem 25. Jahrestag der Schlacht bei Gravelotte, wurde der Grundstein gelegt.

22. März 1897: Feierliche Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf der „Schlossfreiheit“

Am 22. März 1897, im Rahmen der hundertjährigen Gedenkfeier für Wilhelm I., erfolgte die feierliche Enthüllung des Denkmals. Die Baukosten beliefen sich auf vier Millionen Mark und lagen damit deutlich unter den Kosten für das wenige Jahre später errichtete Berliner Stadthaus.  Das bronzene Reiterdenkmal zählte zu den größten Denkmalsanlagen Europas, lediglich übertroffen vom Monumento Vittorio Emanuele II in Rom, das zwischen 1885 und 1911 entstand.

Im Zentrum der Anlage im Berliner Zentrum erhob sich die neun Meter hohe Reiterstatue Kaiser Wilhelms I., begleitet von einer weiblichen Geniusfigur. Den Sockel zierten vier schwebende Viktorien, während an den vorspringenden Ecken vier Löwen zerstörtes Kriegsgerät bewachten. Auf den Stufen der Anlage ruhten die allegorischen Jünglingsfiguren „Krieg“ und „Frieden“.

Das Berliner Nationaldenkmal zählte zu den größten Denkmalsanlagen in Europa

Die Ausrichtung des Reiterdenkmals entlang der Achse des Eosanderportals (Portal III), dem Hauptportal des Berliner Schlosses, folgte der Tradition früherer Reiterstandbilder rund um das Schloss. So war das Denkmal des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke auf Portal I ausgerichtet, während das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms III. im Lustgarten auf Portal IV Bezug nahm. Das Denkmal Friedrich Wilhelms IV. an der Nationalgalerie sowie das Reiterstandbild Friedrichs des Großen Unter den Linden orientierten sich hingegen an Portal V.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, den das Deutsche Reich verloren hatte, änderten sich die politischen Verhältnisse im Deutschen Reich grundlegend – und sollten nie wieder zur monarchischen Staatsform zurückkehren, die für den Bau des Nationaldenkmals verantwortlich war. Dennoch überlebte das Reiterdenkmal die kommenden Jahrzehnte noch halbwegs unbeschadet.

Die Nationalsozialisten wollten das Reiterdenkmal abreißen, verwirklichten die Pläne letztlich aber nicht

Die Novemberrevolution 1918 hinterließ nur leichte Schäden am Nationaldenkmal, woraufhin eine mehrheitliche Entscheidung zur Reparatur fiel. Während der NS-Zeit gab es Überlegungen, die Anlage zugunsten eines Reichsbankneubaus abzureißen, diese Pläne wurden jedoch nicht umgesetzt.

Im Zweiten Weltkrieg blieb das Denkmal weitgehend unversehrt, während das direkt benachbarte Stadtschloss schwere Bombentreffer hinnehmen musste. Nach dem Ende des Krieges lag Berlins einstige historische Mitte in der Sowjetisch besetzten Zone, was ausschlaggebend für die Zukunft des Areals war – denn was folgte, war die vollständige Freimachung des Schlossplatzes durch die ostdeutsche Regierung.

Winter 1949/50: Die SED lässt das Nationaldenkmal abreißen

Im Winter 1949/50 wurde das Nationaldenkmal auf Anordnung der SED bis auf den Sockel abgetragen – eine Maßnahme mit eindeutig politischer Motivation, die später auch das Berliner Schloss betraf, dessen Reste gesprengt wurden. Der verbliebene Denkmalsockel an der „Schlossfreiheit“ steht heute unter Denkmalschutz. Vollständig verschwunden ist das Bauwerk jedoch nicht.

Vom ursprünglichen Denkmal sind immerhin die vier Löwen des Sockels erhalten geblieben, die – ihrer Trophäen beraubt – als Zweiergruppen vor dem Raubtierhaus im Tierpark Berlin aufgestellt wurden. Zudem existiert eine Adlerfigur von August Gaul, die seit 2013 im Innenhof des Märkischen Museums ausgestellt ist. Alle weiteren plastischen und architektonischen Elemente wurden zerstört.

Nach der Wende nutzten Künstler die unterirdischen Gewölbe für Kunstaktionen und Ausstellungen

Bereits 1897 fertigte der an den Denkmalarbeiten beteiligte Bildhauer Carl Hans Bernewitz eine Replik des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals an. Ein galvanisch in Kupfer gefertigtes Exemplar befindet sich in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, während Bronzegüsse der Kunstgießerei Gladenbeck heute in der Berlinischen Galerie und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg erhalten sind.

Die verbliebene Substruktion des Denkmals diente in der DDR regelmäßig als Basis für Tribünen bei Massenveranstaltungen. Nach der Wiedervereinigung nutzten Künstler die unterirdischen Gewölbe des Sockels für Lichtinstallationen, die in unregelmäßigen Abständen und auf eigene Gefahr über eine steile Leiter eines Revisionsschachts besichtigt werden konnten.

Das einstige Mosaikmuster wurde eingelagert, kehrt aber nicht mehr an seinen Ursprungsort zurück

Der Sockel war teilweise mit Mosaiken verziert, die durch eine Asphaltschicht vor Witterungseinflüssen geschützt wurden. Zwischen 2014 und 2017 wurden diese freigelegt, abgebaut und eingelagert. Eine Rückführung an den ursprünglichen Standort wurde vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung sowie der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) abgelehnt.

Wie die Fläche in den kommenden Jahren aussehen wird, ist derzeit schwer abzuschätzen. Das von Johannes Milla geplante Einheitsdenkmal würde dem Platz vor dem heute wieder erstrahlenden Eosanderportal einen völlig neuen und andersartigen Charkater geben – wenn es denn tatsächlich fertiggestellt wird.

 

Der Bau des Nationaldenkmals auf einer Fotografie aus dem Jahre 1895. / © Foto: Wikimedia Commons

Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal im Jahr 1900. / © Foto: Wikimedia Commons

Nach dem Zweiten Weltkrieg: Demontage des Denkmals durch die SED-Regierung im Jahr 1950. / © Foto: Wikimedia Commons

Der Stand heute: Auf dem noch erhaltenen Sockel soll ein neues Nationaldenkmal entstehen, dieses Mal als Einheitsdenkmal tituliert. Doch das Projekt kommt seit Monaten nicht mehr voran. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT

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So soll das neue Denkmal, im Volksmund bereits als „Einheitswippe“ bekannt, nach seiner Fertigstellung einmal aussehen. / © Visualisierung: Milla & Partner

© Visualisierung: Milla & Partner

© Visualisierung: Milla & Partner

Quellen: Deutsches Historisches Museum, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, Deutsches Architekturforum, Open Street Map, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung