In unserer neuen Artikelreihe widmen wir uns den bedeutenden Berliner Bauwerken der Nachwendezeit, die das Stadtbild der deutschen Hauptstadt bis heute prägen. Im sechsten Teil der Serie behandeln wir den 2006 eröffneten Berliner Hauptbahnhof.

Monolith in der Mitte Berlins: Der von GMP Architekten geplante Berliner Hauptbahnhof zwischen Regierungsviertel und Europacity.

© Fotos: Pixabay / Björn Leffler
Text: Annett Jäger

Der Hauptbahnhof Berlin

 

Der Berliner Hauptbahnhof – der größte „Turmbahnhof“ Europas – liegt im geografischen Zentrum der Hauptstadt und gilt als Paradebeispiel moderner Architektur. Nicht umsonst erhielt er bereits diverse Preise – so beispielsweise den Architekturpreis des Chicago Athenaeum 2007. Mit seiner Eröffnung im Jahr 2006 bot sich erstmals in der Geschichte Berlins eine Verbindung für alle Fernzüge der Ost-West- und Nord-Süd-Achse Europas.

Entstanden ist der Berliner Hauptbahnhof auf dem Gelände des einstigen „Lehrter Bahnhofs“. Dieser gehörte zu den acht sogenannten „Kopfbahnhöfen“ von Berlin und wurde als Ausgangspunkt der „Berlin-Lehrter Eisenbahn“ 1871 eröffnet.

Im Gegensatz zu den heutigen Berliner Großbaustellen benötigte man damals nur eine Bauzeit von 3 Jahren – von 1868 bis 1871 – für dessen Fertigstellung. Aufgrund seiner prunkvollen Architektur wurde er als Schloss unter den Kopfbahnhöfen bezeichnet.

1957 wurde die Bahnhofs-Ruine des Lehrter bahnhofs abgerissen

Der Zweite Weltkrieg brachte für den glanzvollen Kopfbahnhof schwere Schäden mit sich, sodass im Jahr 1951 der letzte Zug den Bahnhof verließ. Obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz stand, wurde 1957 mit dem Abriss der Ruine begonnen. Den dabei gewonnenen Ziegelsplitt nutzte man praktischerweise für den voranschreitenden Wiederaufbau Berlins.

Erhalten blieb immerhin bis 2002 der S-Bahnhof „Lehrter Stadtbahnhof“ auf dem Stadtbahnviadukt. Dieser musste schließlich aber ebenfalls dem Neubau des Berliner Hauptbahnhofs weichen, obwohl auch dieser Bahnhof unter Denkmalschutz stand.

Erster Spatenstich erfolgte 1998

Der erste Spatenstich erfolgte im Jahr 1998 auf einem Stück Brachland nahe dem Regierungsviertel in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hamburger Bahnhof, der Spree und dem Humboldthafen und war gleichzeitig der Beginn einer positiven städtebaulichen Entwicklung des heutigen Bahnhofsviertels im Stadtteil Berlin Moabit.

Entworfen wurde der Hauptbahnhof Berlins vom Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Mark und Partner – kurz GMP. Mit ihrem Entwurf wollten die Architekten laut eigenen Aussagen den Charakter des Bahnhofs als wichtige Schnittstelle für Europa hervorheben.

Im Bau: Der Berliner Hauptbahnhof im Dezember 2005, von der Stadtbahn aus gesehen.

Verzögerungen beim Bau und höhere Kosten

Nach dem ersten Spatenstich kam es auch bei diesem Berliner Bauprojekt zu einigen Verzögerungen, sodass sich die für 2003 angekündigte Eröffnung um drei weitere Jahre verschob. Auch die Kosten sprengten bald den angekündigten Rahmen von 400 Millionen Euro und machten am Ende inklusive aller dazugehörigen Brücken und Tunnel rund 1,4 Milliarden Euro aus. Sieht man das gewaltige Bauwerk heute, ist diese Summe wenig verwunderlich.

Neben verlängerter Bauzeit und Kostenexplosion sorgten die baulichen Eingriffe des damaligen Bahn-Chefs Mehdorn für einige Schlagzeilen. Aus Zeitgründen bestellte dieser kurzerhand eine verkürzte Form des vorgesehenen Dachs, welches laut Aussagen der Bahn dennoch aus einem der vielen Entwürfe des Architekturbüros stammte und bis heute ein Sorgenkind des Bahnhofs geblieben ist.

Die Dachkonstruktion ist der wunde Punkt des Bauwerks

Denn nicht nur, dass der zur Dach-Reinigung vorgesehene Roboter auf ominöse Weise verschwunden ist – auch die von Krähen angerichteten Schäden sowie die durch Spannung und Temperatureinflüsse zersprungenen Scheiben sorgen immer wieder für Aufregung.

Der Architekt Meinhard von Gerkan war schon vor der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs weder mit der von Mehdorn vorgezogenen, kürzeren Dachversion, noch mit der – anstatt der geplanten Gewölbedecke im Untergeschoss – eingezogenen Flachdecke einverstanden. Deswegen reichte dieser bereits 2005 Klage gegen die Deutsche Bahn ein und gewann vor Gericht.

Aufwendige Dachkonstruktion: Kein Baustoff dominiert den Berliner Hauptbahnhof so sehr wie das Glas.

Architekt und Bauherr in der juristischen Auseinandersetzung

Die Bahn wiederum ging 2007 mittels Unterlassungsklage gerichtlich gegen den Architekten und dessen Aussage vor, das Unternehmen sei schuld am Absturz eines Betonträgers.2008 war in der Presse zu lesen, dass der Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bahn und dem Architekten durch einen Vergleich beendet wurde.

Der Vergleichsbetrag, den beide Seiten nicht näher bezifferten, wurde als Zuwendung an die Stiftung “Academy for Architectural Culture” (AAC) gezahlt – sie unterstützt die Ausbildung junger Architekten.

Rund um den Hauptbahnhof wird weiterhin viel gebaut

Wo der Berliner Hauptbahnhof während seiner Eröffnungsfeier noch wie ein Monolith aus der sandigen Umgebung herausragte, haben sich mittlerweile diverse Hotels und Bürogebäude angesiedelt und auch ein neues Wohngebiet wächst nördlich des Bahnhofs und des Humboldthafens, die „Europacity“.

Es wird noch immer fleißig gebaut rund um den Hauptbahnhof, um das im einstigen Niemandsland gelegene Gebiet nahe der ehemaligen Mauer weiter in das Berliner Stadtgebiet zu integrieren. So wird etwa westlich des Bahnhofs mit dem „ULAP-Quartier“ in den kommenden Jahren ein vollkommen neues Quartier entstehen.

Längst ist auch die verkehrliche Anbindung des Bahnhofs deutlich optimiert. Nach der Fertigstellung der U5-Verlängerung und dem Bau der Tramanbindung soll in den kommenden Jahren noch eine S-Bahnverlängerung in die südlichen Stadtteile erfolgen, das ambitionierte S21-Projekt.

Der Hauptbahnhof im Berliner Stadtbild

Der Berliner Hauptbahnhof ist als bis heute größter Kreuzungsbahnhof Europas längst im Berliner Stadtbild angekommen und ist mit seiner modernen, kantigen Erscheinung auch in architektonischer Hinsicht zum Aushängeschild der Hauptstadt geworden.

Die anfänglichen Befürchtungen, das Bauwerk könnte überdimensioniert oder zu chaotisch sein, haben sich nicht bestätigt. Vielmehr kann das Projekt nach dem Fiasko beim Bau des BER als gelungene Bau- und Ingenieursleistung angesehen, auch wenn das Dach noch immer etwas kürzer ist, als es GMP Architekten ursprünglich geplant haben. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

 

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