Berlin in seiner heutigen Form würde es nicht geben ohne die historische und politische Figur des Michail Gorbatschow, der ab Mitte der 1980er Jahre eine Zeitenwende und den Niedergang des Eisernen Vorhangs in Osteuropa einleitete. Ein Nachruf zum Tode des ehemaligen Führers der Sowjetunion.

Michail Gorbatschow 1986 in Berlin, auf dem Parteitag der SED im Ost-Berliner Palast der Republik. / © Foto: Wikimedia Commons

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Text: Björn Leffler

 

Es ist rein spekulativ, darüber nachzudenken, wie die heutige Metropole Berlin aussehen würde ohne den Einfluss, den die historische und politische Figur des Michail Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre auf das Geschehen der Weltpolitik genommen hat.

Sicher ist nur: Berlin wäre heute mit großer Sicherheit eine ganz andere Stadt. Ob es die DDR oder den sozialistisch-kommunistischen Länderverbund im Osten Europas ohne das Wirken Gorbatschows noch heute geben würde, ist äußerst unwahrscheinlich. Zu groß waren die Missstände in den Ländern des “Ostblocks” geworden, zu unzufrieden und desillusioniert seine Einwohnerinnen und Einwohner.

Gorbatschow beschleunigte den politischen Wandel in Osteuropa

Aber die Schnelligkeit, mit der die Dynastie des europäischen Kommunismus endete, wäre ohne das radikale und progressive Denken und Handeln eines Michail Gorbatschow sicher nicht denkbar gewesen. Obwohl ihn das Staatsoberhaupt der DDR, Erich Honecker, natürlich als Ehrengast der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR nach Ost-Berlin geladen hatte, war den Führern des ostdeutschen Regierungsapparats der freiheitliche Ansatz Gorbatschows längst ein Dorn im Auge.

In Berlin wurde Gorbatschow im Oktober 1989 wie ein Heilsbringer empfangen. So schlug ihm durch die DDR-Bevölkerung eine Welle der Sympathie und Begeisterung entgegen, die der SED-Führung nicht geschmeckt haben dürfte, und die deutlich machte: die Bevölkerung Ost-Berlins und der gesamten DDR sehnte sich nach Öffnung, Veränderung und persönlichen Freiheiten, die jahrzehntelang undenkbar waren.

“Glasnost” und “Perestroika” führten letztlich zum Fall der Berliner Mauer

In den Jahren von “Glasnost” und “Perestroika” war die UdSSR für kurze Zeit tatsächlich jene historische Avantgarde, die sie seit 1917 stets sein wollte. In immer schnelleren Schritten betrieb die KPDSU-Führung um Gorbatschow den Umbau des politischen Systems. Sie lockerte die einst allmächtige Zensur, ließ politische Gefangene frei und begann zaghaft mit der Privatisierung der Wirtschaft.

Nicht direkt, aber indirekt führten diese Ansätze im November 1989 zum Fall der Berliner Mauer und nur wenig später zum Zusammenbruch des gesamten kommunistischen Systems, den Gorbatschow in dieser Form nicht gewollt haben konnte. So umstritten seine Rolle im heutigen Russland gesehen wird, so hoch ist sein Ansehen in der westlichen Welt und vor allem in der Stadt, die auch durch ihn ihre jahrzehntelange Teilung überwinden konnte: Berlin.

Berlins Stadtbild hat sich seit dem Mauerfall radikal verändert

Das Stadtbild Berlins hat sich seit dem Mauerfall in einzigartiger Weise verändert, und dieser Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen. Angestoßen wurde er durch die fortschrittlichen politischen Ideen eines Mannes, für den Berlin auch nach dem Mauerfall immer wieder ein beliebtes Reiseziel geblieben ist.

Immer wieder kehrte er nach Berlin zurück, häufig im Rahmen von Jubiläumsfeiern, Veranstaltungen oder Podiumsdiskussionen. Selbst in Wim Wenders’ Nachwende-Drama “In weiter Ferne so nah” (1993) hatte er einen Gastauftritt.

Michail Gorbatschow: Ein Wegbereiter des modernen Europa

Gorbatschow genießt vor allem in Berlin bis heute ein ausgesprochen hohes Ansehen. Daran konnten auch die turbulenten Jahre nach dem Mauerfall, der Zusammenbruch des sowjetischen Riesenreiches und die kritische Betrachtung seiner Person durch einen Großteil der russischen Bevölkerung nichts ändern.

Und auch nach seinem Tod wird Michail Gorbatschow als einer der entscheidenden Wegbereiter des modernen Europas gelten. Nicht nur, aber vor allem in Berlin. Im Alter von 91 Jahren ist Michail Gorbatschow am gestrigen 30. August 2022 in Moskau verstorben.

 

Quellen: Dekoder, Wikipedia, Berliner Zeitung, Süddeutsche Zeitung, New York Times, Berliner Morgenpost, Zeit Online

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