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Visualisierte Geschichte: Zeitreise zum historischen Anhalter Bahnhof

Von den vielen Gebäuden, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin zerstört wurden, nimmt der Anhalter Bahnhof eine besondere Rolle ein – vielleicht aufgrund der übrig gebliebenen Portal-Ruine. Aufwendige Video-Simulationen machen es mittlerweile möglich, das Bahnhofsgebäude und dessen Umfeld so zu erleben, wie sie vor der Zerstörung einmal ausgesehen haben.

Die Überreste des historischen Anhalter Bahnhofs, wie sie heute in Berlin am Askanischen Platz zu sehen sind.

Bildmaterial: © Stiftung Exilmuseum Berlin / Fotos: René Arnold
Videomaterial: Gerd Fliege / ahbmozk

 

Über einen möglichen Wiederaufbau des historischen Anhalter Bahnhofs am Askanischen Platz in Kreuzberg haben wir schon im Februar 2020 erstmals berichtet. Bereits vor dieser Zeit setzten sich die Gründer des Vereins Anhalter Bahnhof Berlin für eine historisch korrekte Rekonstruktion des einstigen Bahnhofsgebäudes ein – natürlich mit neuer  Funktion.

Längst ist allerdings das Vorhaben, direkt hinter der noch heute erhaltenen Portal-Ruine das Exilmusem Berlin zu errichten, sehr viel weiter vorangeschritten als das Vorhaben, das Bahnhofsgebäude zu rekonstruieren. Und das Exilmuseum-Projekt hat auch deutlich mehr Rückenwind durch die Berliner Landes- sowie die Bundespolitik.

Hinter der Portal-Ruine entsteht das Exilmuseum Berlin

Es ist auch schon klar, wie das zukünftige Museum aussehen soll. Die dänische Architektin Dorte Mandrup setzte sich mit ihrem Entwurf im August 2020 in einem internationalen Gestaltungswettbewerb durch. Ein wieder errichteter Anhalter Bahnhof scheint also eine äußerst unwahrscheinliche Vision denn ein realistisches Ziel zu sein.

Dabei ist die Faszination, die von diesem Gebäude auch 63 Jahre nach seiner Zerstörung ausgeht, wirklich erstaunlich. Das Gebäude wurde übrigens nicht in den Bombennächsten des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht, sondern erst 1959 abgetragen – vierzehn Jahre nach Beendigung der fatalen Gefechte im Großraum Berlin.

Bis 1945 war der Bahnhof einer der wichtigsten Fernbahnhöfe Berlins

Der Bahnhof galt bis Mitte des 20. Jahrhunderts als einer der wichtigsten Fernbahnhöfe Berlins und war vor dem Zweiten Weltkrieg wichtigste Station für die Verbindungen nach Mittel- und Süddeutschland, Österreich und Italien.

Das imposante Bahnhofsgebäude wurde bei alliierten Luftangriffen im Februar 1945 stark zerstört und brannte vollständig aus. In der Folge wurde es allerdings nur enttrümmert und schließlich notdürftig wieder  betriebsfähig gemacht.

Der Betrieb im Bahnhof ging auch nach Kriegsende weiter

Die vier Hallenwände standen noch und wurden in einer Schadenskarte als “wiederaufbaufähig” eingestuft, während die eingestürzte Stahlkonstruktion des Hallendaches zerschnitten und entfernt wurde.

Trotz starken Widerstandes der Fachwelt sowie durch die Architekten- und Baukammern sollte das seit den 1930er Jahren unter Denkmalschutz stehende Bahnhofsgebäude auf Betreiben des damaligen Bausenators West-Berlins, Rolf Schwedler, Ende der 1950er Jahre zum Abbruch freigegeben werden.

Der Abriss war deutlich aufwendiger als erwartet

Begründet wurde der Abriss unter anderem mit der Notwendigkeit zum Neubau eines größeren Bahnhofes an gleicher Stelle, für den es bereits Architektenentwürfe gab, und mit der Einsturzgefahr der freistehenden Hallenwände.

Nach der äußerst mühsamen Sprengung der Halle 1959 (mehrere Firmen versuchten sich erfolglos an der Abtragung des extrem stabilen Mauerwerks) blieb nur noch der Portikus mit einem Teil der überdachten, gemauerten Vorfahrt übrig – auch das eigentlich nicht beabsichtigt.

Bürgerproteste verhinderten den Abriss der Portikus-Ruine

Bürgerproteste verhinderten – wie auch bei der Gedächtniskirche in Charlottenburg – den Abbruch des übriggebliebenen Torsos. So blieb dieser bis in die heutige Zeit als Erinnerung an den bekannten Berliner Bahnhofsbau stehen. Da sich das Umfeld des Bahnhofs in den vergangenen Jahren vollkommen verändert hat, fällt es heute ausgesprochen schwer, sich die Dimension und Wirkung der einstigen Bahnhofsanlagen vorzustellen.

Doch in den vergangenen zehn Jahren hat es immer mehr und immer ausgefeiltere Versuche gegeben, die beeindruckenden Gleisanlagen zwischen Potsdamer Bahnhof, Anhalter Bahnhof und Gleisdreieck zu visualisieren.

Moderne Visualisieren machen die historischen Bahnhofsanlagen erlebbar

Die Zahl der Personen- und Gütertransporte, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg in diesem Bereich der damaligen Reichshauptstadt stattfanden, waren im europaweiten Vergleich rekordverdächtig.

Längst sind auf den einstigen Gleisanlagen vollkommen neue Flächennutzungen entstanden. Dort, wo einmal die Haupthalle des Anhalter Bahnhofs stand, befindet sich heute ein Fußballplatz. Auf den Brachen der einstigen Bahnhöfe Anhalter Bahnhof, Potsdamer Güterbahnhof und Gleisdreieck befindet sich heute der populäre, innerstädtische Park am Gleisdreieck.

Wie das Gebiet vor rund einhundert Jahren aussah, und wie stark industriell geprägt es war, wird in diesem rund zwölfminütigen Animationsfilm von Gerd Fliege deutlich:

 

Wie der Eisenbahnbetrieb am beeindruckenden Südportal des Anhalter Bahnhofs in den 1920er und 1930er Jahren ausgesehen haben muss, wird in diesem ebenfalls von Gerd Fliege erstellten Video sehr plastisch dargestellt:

 

Besonders beeindruckend ist allerdings eine Visualisierung, die bereits 2011 von Werner Berthold erstellt wurde und welche die prachtvolle Eingangshalle am Nordende des Anhalter Bahnhofs darstellt.

 

Die Wiederbelebung des Areals rund um die historische Portal-Ruine musste einen langen Anlauf nehmen. Noch Ende der 1980er Jahre glich das Gebiet rund um den Askanischen Platz und die Überreste des einstigen Bahnhofsgebäudes einer dystopischen Mondlandschaft.

Selten wurde das übrigens besser eingefangen als in Wim Wenders Ausnahme-Film Der Himmel über Berlin:

 

Die städtebauliche Zukunft am Askanischen Platz setzt mit dem geplanten Bau des Exilmuseums einen vollkommen neuen Reiz, der jedoch die Geschichte des Ortes aufnehmen wird, natürlich mit dem Fokus auf die Vertreibung hunderttausender Menschen durch die Nationalsozialisten.

Viele von ihnen verließen ihre Heimat Berlin über den Anhalter Bahnhof und sollten, so sie denn die Möglichkeit einer Rückkehr haben sollten, den Anhalter Bahnhof in seiner ursprünglichen Form niemals wiedersehen.

Aus heutiger Sicht ist die Sprengung der – offenbar sehr stabilen – Gebäudereste Ende der 1950er Jahre nur schwer nachvollziehbar. Insbesondere wenn man berücksichtigt, wie fatal orientierungslos die sich anschließende Entwicklung des Geländes in den kommenden Jahrzehnten war. Umso wichtiger ist es heute, dass zumindest die virtuelle Rekonstruktion des einstmals mächtigen Bahnhofsgebäudes möglich ist. Sie macht die bewegte Geschichte des Ortes wieder erlebbar.

Weitere Dokumentationen, Buchrezensionen und Medienbesprechungen findet Ihr auf unserer Medien-Seite
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Blick aus südlicher Richtung auf die Überreste des Anhalter Bahnhofs am Askanischen Platz in Kreuzberg.

 

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