Das Radbahn-Projekt hat gezeigt, wie Kreuzberg seine Verkehrsflächen neu denken könnte: Mit einem Testlauf unter der U1 wurden innovative Ansätze für die Umgestaltung der Stadt diskutiert – und ein Blick in die mögliche Zukunft der Verkehrsplanung geworfen. Die Projektinitiatoren präsentierten nun ihr Konzept für eine Erweiterung des Projekts, treffen aber auf die harte Realität der Berliner Verwaltungspolitik.
© Visualisierung Titelbild: Reallabor Radbahn UG, paper planes e.V.
Text: Björn Leffler
Am Dienstagmorgen hatten die Projektverantwortlichen für das Verkehrsprojekt Radbahn zu einer Pressekonferenz geladen, um darüber zu berichten, wie nun die Ergebnisse des Testlaufs dieses ambitionierten Modellversuchs zu bewerten sind – und vor allem, um einen Ausblick in die Zukunft des Projekts zu geben.
Als durchaus passenden Ort hatten sich die Gastgeber die Immauskirche auf dem Lausitzer Platz unweit des Görlitzer Parks in Kreuzberg ausgesucht, der in den vergangenen Jahren umfangreich umgestaltet worden ist und heute vor allem von einem Verkehrsmittel dominiert wird: dem Fahrrad.
Kreuzberg: Präsentation zum Stand des Projekts Reallabor Radbahn am Lausitzer Platz
Denn rund um den Lausitzer Platz ist in den vergangenen Jahren eine umfangreiche Umwidmung der Verkehrsräume vorgenommen worden: Parkplätze wurden entsiegelt und zu Grünflächen umgewidmet, Straßen wurden in Fahrrad- und Fußgängerzonen umgewandelt.
Umwidmung ist also das richtige Stichwort, denn auch beim Radbahn-Projekt soll ein Teil des Viadukts unter der U-Bahnlinie 1 dauerhaft in eine Fahrstrecke für Radfahrer transformiert werden. Die Idee und das Projekt haben bereits eine Laufzeit von mittlerweile zehn Jahren in den Knochen und kulminierte in diesem Sommer in einem mehrere Monate dauernden Testlauf.
Radbahn-Projekt: Eine Teststrecke wurde unter der Linie U1 realisiert
Hierfür wurde eigens eine mehrere hundert Meter lange Teststrecke angelegt, die von der Öffentlichkeit auch intensiv genutzt wurde und von den Projektinitiatoren mehrfach mit Veranstaltungen und Workshops bespielt wurde.
Die ursprüngliche Idee für das Projekt war vom Verein Paper Planes ausgegangen, der das Projekt über die gesamte Zeit begleitet hat und auch im Rahmen der Pressekonferenz fast vollständig anwesend war.
Von der ersten Idee bis zur tatsächlichen Umsetzung: Ein langer, steiniger Weg
Vertreter des Vereins berichteten ausführlich darüber, wie aufwendig und kompliziert der Weg von der ersten Idee bis hin zur tatsächlichen Umsetzung war und wie Instrumente wie Crowdfunding, umfangreiche Lobbyarbeit und verschiedene öffentliche Fördermitte eingesetzt wurden, um das Projekt voranzubringen.
Die Projektverantwortlichen hoben im Rahmen ihrer Präsentation hervor, dass auf dem Gelände des jetzigen Testfelds Parkplätze umgewandelt und entsiegelt wurden und neues Stadtgrün angepflanzt wurde. Die Pflastersteine, die auf den Parkplatzflächen verlegt waren, wurden entnommen und an anderer Stelle wieder eingesetzt – aber so, dass Regenwasser optimaler im Boden versinken kann, mit ausreichend großen Fugen zwischen den Steinen.
Das Reallabor Radbahn ist sehr viel mehr geworden als ein reines Verkehrsprojekt
Schnell wird während der Pressekonferenz deutlich, dass es beim Projekt Radbahn längst um sehr viel mehr geht, als schlichtweg einen Radweg unter einer U-Bahntrasse zu errichten. Es wird Wasser gesammelt und gefiltert, geforscht, ausprobiert und analysiert. An vielen verschiedenen Orten der recht kurzen Strecke wurden Plätze geschaffen, an denen die Anwohner und Durchreisende zusammenkommen und sich austauschen können.
Nach fünf Jahren geht das Förderprojekt, welches seit 2019 vom Bund mit finanziellen Mitteln unterstützt worden war, nun zu Ende. Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, gab einen Ausblick in die mögliche Zukunft und eine Überführung des Projekts in den tatsächlichen, bestehenden Straßenraum.
Felix Weisbrich zeigte Möglichkeiten auf, das Projekt in den bestehenden Straßenraum auszuweiten
Er betonte dabei, dass die heutige Skalitzer Straße aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens einen „stark abgrenzenden Charakter“ habe und auch eine hohe Lärmbelästigung für die Anwohnerinnen und Anwohner darstelle, weshalb die Senatsverkehrsverwaltung im Rahmen einer Machbarkeitsstudie eine Variante erarbeitet hat, in der ein Teil der Skalitzer Straße zum Teil des Projekts Radbahn werden soll.
Dies würde bedeuten, dass der Autoverkehr auf die südliche Skalitzer Straße verlegt werden würde, um den nördlichen Teil als Verkehrsfläche für Fußgänger und Radfahrer auszubauen. Die Senatsverwaltung hat im Rahmen dieser Studie bestätigt, dass eine Verlegung der Verkehrsströme möglich wäre.
Skalitzer Straße: Umgestaltung könnte Entsiegelung von 40 Prozent der heutigen Flächen bringen
Weisbrich merkte augenzwinkernd an, dass der Autoverkehr auf der Skalitzer Straße, die derzeit wegen Bauarbeiten an mehreren Stellen auf eine Spur verengt ist, trotzdem laufe. So sei die derzeitige Sperrung quasi ein ungewollter Beweis dafür, dass eine Reduzierung des Autoverkehrs keine gravierenden Einschränkungen zur Folge hätte.
Bei der von der Senatsverkehrsverwaltung angestrengten Studie kam auch heraus, dass im Zuge einer möglichen Umgestaltung des Verkehrsraums auf der Skalitzer Straße bis zu 40 Prozent des Straßenraums entsiegelt werden könnten (heute sind es lediglich fünf Prozent). Weisbrich nannte die neue Straßenraumaufteilung ein „hochintegratives Verkehrskonzept“.
Hitzebelastung: Umgestaltung der versiegelten Straßen und Gehwege zur Abkühlung dicht besiedelter Quartiere
Dass eine großflächige Entsiegelung des Straßenraums vor allem in den Sommermonaten unbedingt notwendig ist, wurde durch anschauliche Visualisierungen verdeutlich, die eine zunehmende Hitzebelastung durch sich aufheizende Straßenflächen aufzeigte – und gesundheitliche Folgen für die Bewohner mit sich bringen.
Eine Umgestaltung der Skalitzer Straße im großen Stil würde also eine wichtige Frischluftachse für die Quartiere zwischen Oberbaumbrücke und Halleschem Ufer bedeuten, die laut Weisbrich vor allem vor dem Hintergrund der vergangenen Dürresommer nach einer Umsetzung schreit.
Eine Umgestaltung der Skalitzer Straße soll nicht die Verbannung des Autos zum Ziel haben
„Zusammengefasst: Derzeit herrscht Chaos, Hitze und Lärm“ fasste Weisbrich seinen Vortrag launig zusammen. Mit einer entsprechenden Umgestaltung würde demnach nicht nur eine klimaorientierte Umgestaltung der Verkehrsachse erfolgen, sondern auch eine Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht werden.
Dabei betonte er, dass eine Verbannung des Autos nicht das Ziel des Projekts sei, da viele wichtige Funktionen des Autoverkehrs – Lieferdienste, Rettungsfahrten – auch weiterhin notwendig seien. Doch eine Reduzierung des Autoverkehrs sei laut Weisbrich notwendig, um das Stadtklima auch in dicht besiedelten Quartieren für die Bewohner erträglicher zu machen.
Verkehrsraum: Gleichmäßige Flächenverteilung für ÖPNV, Autos, Fahrräder und Fußgänger
Der Verkehrsraum soll also so gestaltet werden, dass alle Verkehrsströme gleichermaßen und vor allem konfliktfrei fließen können: ÖPNV, Autoverkehr, Fahrradfahrer und Fußgänger. Die nun erarbeitete Variante, die auf die (auch schon einige Zeit zurück liegende) Machbarkeitsstudie der Senatsverkehrsverwaltung zurückgeht, soll aufzeigen, wie das zukünftig funktionieren kann in einem Straßen- und Verkehrsraum, in dem es heute täglich zu Unfällen und Konflikten zwischen Verkehrsteilnehmern kommt.
Wo heute noch schmale Radwege über schmale Fußwege führen, soll zukünftig beispielsweise der Gehweg komplett für Fußgänger zur Verfügung stehen, während der Radverkehr unter dem Viadukt und auf der nördlichen Seite der Skalitzer Straße entlangläuft.
Stephan Machulik: Radbahn-Projekt ist zum freiraumplanerischen Prozess für gesamten Stadtraum geworden
Stephan Machulik, Staatssekretär für Wohnen und Mieterschutz der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, betonte im anschließenden Pressegespräch, dass aus dem einstigen Radbahn-Projekt längst ein freiraumplanerischer Prozess für den gesamten Stadtraum geworden ist, der sehr viele unterschiedliche Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens berührt.
Felix Weisbrich schlug vor, eine testweise Sperrung der nördlichen Skalitzer Straße vorzunehmen, um ganz konkret und auch kurzfristig nächste Schritte einzuschlagen, doch Machulik wollte sich im Rahmen des Gesprächs nicht darauf einlassen, bereits konkrete nächste Schritte anzukündigen. Er betonte, dass das Konzept sehr sinnvoll und realitätsbezogen erarbeitet worden sei und wies darauf hin, dass die Senatsverwaltung dem Vorhaben wohlwollend gegenüberstehe.
Finanzierung und tatsächliche Umsetzung der Radbahn-Erweiterung bleiben letztlich vage
Doch die Finanzierung eines so großen Vorhabens werden Senat und Bezirk noch vor viele Herausforderungen und gemeinsame Abstimmungen stellen, bis wirklich erste konkrete Schritte umgesetzt werden können. Machulik machte deutlich, dass die weitere Umsetzung wohl noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird.
Im Zuge der Diskussion wurde kritisiert, dass die Radbahn teilweise bereits von Vandalismus zerstört worden ist. Die Projektverantwortlichen betonten jedoch, dass das Testfeld von der BSR und freiwilligen Helfern mehrfach wöchentlich gereinigt wird, dass Beschädigungen aber vor allem in diesem Stadtraum leider auch zur Realität gehörten.
Wird die Weiterführung des Reallabors Radbahn in den Mühlen der Berliner Verwaltung zerrieben?
Das entwickelte Konzept für eine Weiterführung des Projekts Radbahn liest sich wirklich spannend und ist schlüssig hergeleitet, da viele Erkenntnisse nicht neu sind und auf der Hand liegen. Das Vorhabe wird in den kommenden Monaten und Jahren jedoch auf die haushaltspolitische und infrastrukturelle Realität der Berliner Verwaltung treffen.
Es ist zu hoffen, dass das Vorhaben in den schweren Mühlen der Berliner Senats- und Bezirkspolitik nicht zerrieben wird. Denn ohne den politischen Willen der Entscheidungsträger wird der ohne Zweifel komplexe Umbau einer so wichtigen Verkehrsachse nicht zu stemmen sein.
Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier:
Quellen: Reallabor Radbahn UG, paper planes e.V., Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen
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