Das historische Berliner Zeitungsviertel war einst eines der bedeutendsten Pressezentren der Welt, vergleichbar mit der Fleet Street in London oder dem Times Square in New York. Zwischen industrieller Blüte, politischen Unruhen und kriegsbedingtem Niedergang spiegelte es die wechselvolle Geschichte der Stadt wider. Heute befindet sich in Kreuzberg und Mitte längst ein neues Medienquartier, in dem namhafte Großverlage angesiedelt sind.

Bewegte Zeiten im historischen Berliner Zeitungsviertel: Die Schutzpolizei sichert die Zugänge zum Gaubüro in der Hedermannstraße, in dem sich zeitweise auch der Verlag der Zeitung Der Angriff befand. / © Foto: IMAGO, TT
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Auf einem gut ein Quadratkilometer großen Areal zwischen Leipziger Straße im Norden, dem Landwehrkanal im Süden, der Wilhelmstraße im Westen und der Lindenstraße im Osten befanden sich bis zum Zweiten Weltkrieg rund 500 Betriebe der Druckereibranche. Es war das legendäre Berliner Zeitungsviertel.
Das Berliner Zeitungsviertel: Setzereien, Druckereien, Anzeigenbüros und Redaktionen
Setzereien, kleine und große Druckereien, Anzeigenbüros, Vertriebsbüros und natürlich unzählige Redaktionen hatten hier ihren Sitz, vor allem die drei Berliner Großverlage Scherl, Ullstein und Mosse waren hier ansässig.
Das Berliner Zeitungsviertel war Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung der Druckbranche entstanden und galt – vergleichbar zum New Yorker Times Square und der Londoner Fleet Street – als Synonym für modernes Pressewesen und gehörte zu den führenden, städtischen Medienquartieren weltweit.
Geburtsstunde des Zeitungsviertels: Rudolf Mosse gründete 1867 den Vorläufer des Berliner Tagblatts
1867 gründete Rudolf Mosse in diesem Viertel die Annoncen-Expedition Rudolf Mosse, aus der ab 1872 das Berliner Tageblatt hervorging. In den folgenden Jahrzehnten etablierte er weitere Zeitungen, darunter ab 1889 die Berliner Morgen-Zeitung und ab 1904 die Berliner Volks-Zeitung.
Bereits 1877 ließ sich auch der Ullstein Verlag hier nieder und gab die Berliner Zeitung heraus, die in einem eigens errichteten Gebäudekomplex gedruckt wurde. Zu den bekanntesten Ullstein-Publikationen zählten später auch die Berliner Morgenpost und die B.Z. am Mittag.
Bis zur Jahrhundertwende entwickelte sich das Quartier zum weltweit größten Zentrum des Zeitungswesens
1883 gründete August Scherl den Berliner Lokal-Anzeiger, eine Zeitschrift mit einem umfassenden Anzeigen- und Stellenmarkt. Mit der rasanten Expansion der Verlagshäuser entwickelte sich das Viertel um die Jahrhundertwende zum weltweit größten Zentrum des Zeitungswesens.
Auch die staatliche Druckindustrie fand hier ihren Platz: 1879 wurde die Reichsdruckerei ins Leben gerufen, die sich am Rand des Viertels ansiedelte. Ihr Nachfolger, die Bundesdruckerei, hat bis heute ihren Sitz in der Kommandantenstraße. Das Zeitungsviertel erlangte 1919 schließlich traurige Berühmtheit, als es zu einem der zentralen Schauplätze des Spartakusaufstandes wurde.
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Teilung durch den Mauerbau
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebiet durch einen alliierten Luftangriff am 3. Februar 1945 stark zerstört. Zudem veränderte der Bau der Berliner Mauer ab 1961 die Situation grundlegend, da der Grenzverlauf zwischen Ost und West direkt mitten durch das einstige Zeitungsviertel lief.
Der Großteil der Verlage und Druckereien wurde in den folgenden Jahrzehnten geschlossen oder siedelten sich an anderen Standorten der beiden Stadthälften an – oder aber gänzlich außerhalb Berlins. Zudem entstanden in der Folge völlig neue Titel und auch neue Verlagsgruppen, unter völlig neuen Voraussetzungen, die die Teilung Berlins und Deutschlands mit sich brachten.
Axel Springer und taz als letzte Medienhäuser im ehemaligen Zeitungsviertel
Axel Springer war nach dem Mauerbau und dem Bau des berühmten Axel-Springer-Hochhauses (Anfang der 1960er Jahre) direkt am Grenzstreifen das einzig verbliebene Medienunternehmen im Quartier. Unternehmensgründer Axel Springer ließ das Hochhaus absichtlich direkt an den Mauerstreifen setzen, um auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs sichtbar zu sein. Als Reaktion darauf ließ die SED-Regierung die heute ebenfalls noch bestehenden Wohntürme an der Leipziger Straße bauen.
Ab Ende der 1970er Jahre gesellte sich die linksorientierte Tageszeitung taz hinzu, die ihren Sitz in der Kochstraße (heute Rudi-Dutschke-Straße) hatte und damit in direkter Nachbarschaft zur wenig geliebten „Springer-Presse“. Ein Status Quo, der sich über mehrere Dekaden hinweg nicht ändern sollte.
Nach dem Mauerfall veränderte sich die Lage auf dem Berliner Zeitungsmarkt grundlegend
Neben dem Axel Springer Verlag mit seinen Titeln BILD, B.Z., DIE WELT und Berliner Morgenpost gab es – nach dem Mauerfall – zwei weitere, große Verlagsgruppen, die auf dem Berliner Zeitungsmarkt im Konkurrenzkampf mit Axel Springer und taz standen: Der Tagesspiegel (heute zugehörig zur Holtzbrinck-Gruppe) und die Berliner Zeitung.
Die Berliner Zeitung war traditionell in ihrem bekannten, ikonischen Stammhaus an der Karl-Liebknecht-Straße am Alexanderplatz beheimatet. Nach mehreren Umstrukturierungen und Eigentümerwechseln musste der gesamte Berliner Verlag im Mai 2016 das traditionsreiche Verlagshaus verlassen. Es wurde anschließend für eine anderweitige Nutzung umgebaut.
Ab Anfang der 2010er Jahre: Neue Bewegung auf dem Gebiet des alten Zeitungsviertels
Der Berliner Verlag, mittlerweile in Besitz des Unternehmerpaares Silke und Holger Friedrich, war also 2016 in die Alte Jakobstraße 105 gezogen und saß somit direkt zwischen Mitte und Kreuzberg in einem neu errichteten Eckgebäude. 2016 formulierte die Chefredaktion des Verlags den Umzug wie folgt: „Der Neubau in zentraler Lage(…) ist mit modernster technologischer Infrastruktur ausgerüstet und bietet flexible technische sowie räumliche Lösungen.“
Was für den in finanzielle Schieflage geratenen Verlag sicher eine Notlösung war, führte räumlich dazu, dass die Verlagsgruppe nur wenige Fußminuten vom Verlagsgebäude der Axel Springer SE entfernt lag. Eine Konstellation, welche für die Mitarbeiter des einstigen Ost-Berliner Verlags noch wenige Jahre zuvor sicher undenkbar gewesen wäre.
Auf der anderen Seite Kreuzbergs, am Askanischen Platz, sitzt seit 2009 Der Tagesspiegel und einige Abteilungen der ZEIT Gruppe. Beide Medien gehören zur Holtzbrinck Mediengruppe. Vorher hatte der Tagesspiegel an der Potsdamer Straße residiert. Nun waren also die Häuser von Axel Springer, taz, Tagesspiegel und Berliner Zeitung fußläufig erreichbar und kreieren damit ein neues Berliner Zeitungsviertel – bis die Berliner Zeitung im Jahr 2023 wieder an ihren alten Standort am Alexanderplatz umzog.
Konzentration der Berliner Medienunternehmen in Mitte und Kreuzberg
Bis auf den Umzug der Berliner Morgenpost und der B.Z. an den Kurfürstendamm (im Zuge des Verkaufs der Titel an die FUNKE Mediengruppe) hatte es also eine Konzentration der großen Medienunternehmen in Kreuzberg und Mitte gegeben. Damit aber nicht genug: Sowohl die Axel Springer SE als auch die taz haben in den vergangenen Jahren aufsehenerregende Neubauten realisieren können.
Die Axel Springer SE, die mit dem Hochhaus und der Axel Springer Passage bereits über zwei dominante Gebäude im Viertel verfügen, haben einen von Rem Koolhaas konzipierten Neubau errichten lassen, der ein völlig neues Arbeiten verspricht. Hier ist ein riesiger Monolit entstanden, der eine zuvor jahrzehntelang brachliegende Freifläche füllt und die Beziehungen zwischen den Gebäuden völlig neu ordnet.
Axel Springer und taz bauten neue, spannende Verlagshäuser
Die taz hingegen hat ihren Standort in der Rudi-Dutschke-Sraße aufgegeben und ist ein paar Meter weiter gezogen. In der südlichen Friedrichstadt, direkt an der Friedrichstraße, ist ein innovativer, kantiger Neubau nach Plänen der Züricher Architekten E2A entstanden. Im einstmals sehr beliebten taz Mitarbeiter-Restaurant in der Rudi-Dutschke-Straße ist nun ein beliebtes Co-Working-Café untergebracht.
Die Medienbranche gehört zu den Wirtschaftsbereichen, die durch die Digitalisierung am intensivsten betroffen waren und sind. Auflagenverluste, Umstrukturierungen und Konsolidierungen in großem Umfang prägen den Markt seit mittlerweile mehr als zwanzig Jahren. Umso erfreulicher ist es, dass es trotz aller Widrigkeiten noch immer viele Medienunternehmen gibt, die innovative und mutige Wege gehen.
Mossehaus im einstigen Zeitungsviertel: Modernisierung bis 2026 geplant
Eine weitere Modernisierung steht in den kommenden Jahren für eines der wichtigsten Häuser des einstigen Zeitungsviertels an. Das Mossehaus, an der Grenze zwischen Mitte und Kreuzberg gelegen, soll bis 2026 umfassend modernisiert werden. Mit einer Kombination aus nachhaltigen Büroflächen und innovativem Design soll eine zeitgemäße Verbindung von Tradition und Zukunft entstehen.
In Berlins Mitte kann man dies seit einigen Jahren wieder auf engstem Raum beobachten, in der Tradition des einstmals unvergleichlichen Berliner Zeitungsviertels. Dessen Geschichte ist mitnichten vorüber. Es werden neue Kapitel geschrieben, allen Krisen zum Trotz. Und das ist ganz sicher eine gute Nachricht.

Zeitungsdruck in den 1920er und 1930er Jahren: Ein Drucker bei der Arbeit an der M.A.N. Maschine Poly Patent. / © Foto: IMAGO, United Archives

Koloss an der Grenze zwischen Kreuzberg und Mitte: Der Axel-Springer-Neubau, der nach Plänen des niederländischen Architekten Rem Koolhaas entstanden ist, steht auf dem Grund des einstigen Berliner Zeitungsviertels. / © Foto: Axel Springer SE
Quellen: Deutschland Funk, Wikipedia, Schatzheber-Touren, taz, Axel Springer SE, Berliner Verlag, Holtzbrinck