Während innovative Konzepte und visionäre Projekte für eine zukunftsfähige Stadtplanung in Berlin entstehen, zeigt sich als größte Herausforderung die Langsamkeit der öffentlichen Verwaltung. Wie kann Berlin den Sprung von der autogerechten Stadt zu einer modernen Metropole schaffen? Darüber diskutierten am Donnerstag und Freitag namhafte Experten und Politiker.

Vision für die zukünftige Lietzenburger Straße in Berlin-Schöneberg: Sieht so die urbane Stadtarchitektur der Zukunft aus? / © Visualisierung: gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner

© Visualisierung Titelbild: Jan Kleihues, Kleihues & Kleihues und Heike Hanada, hh_laboratory of art and architecture
Text: Wolfgang Leffler

 

Unter dem Motto „Immer modern – Berlin und seine Straßen“ lud der Architekten- und Ingenieurverband zu Berlin-Brandenburg (AIV) anlässlich seines 200-jährigen Gründungsjubiläums am 5. und 6. September 2024 in das Kronprinzenpalais Unter den Linden ein.

Feierliche Eröffnung der Freiluftausstellung „Große Straßen von heute“

Neben den feierlichen Würdigungen durch Vertreter aus Politik und Wirtschaft für den AIV und seinen Vorsitzenden Tobias Nöfer, stand die Eröffnung der Freiluftausstellung „Große Straßen von heute“ im Mittelpunkt.

Diese Ausstellung, die bis zum 30. November 2024 Unter den Linden in Berlins Mitte zu sehen ist, soll einen öffentlichen Diskurs darüber anregen, wie die Stadt Berlin für zukünftige Generationen gestaltet werden kann.

Die Veränderung Berlins durch seine Straßen

Begleitet von Würdigungen durch hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft, darunter Berlins Regierender Bürgermeister und prominente Mitglieder des AIV wie Vorsitzender Tobias Nöfer, wurde die Freiluftausstellung „Große Straßen von heute“ feierlich eröffnet.

Diese Ausstellung, die bis zum 30. November 2024 entlang der berühmten Flaniermeile Unter den Linden in Berlins Mitte zu sehen ist, wirft einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Berliner Stadtstraßen und fordert zu einem öffentlichen Diskurs darüber auf, wie die Metropole für künftige Generationen gestaltet werden soll.

Berliner Straßen als Spiegel der Stadtgeschichte

Die Ausstellung zeigt anhand von zehn ausgewählten Hauptstraßen, die jeweils eine Epoche der letzten 200 Jahre repräsentieren, wie diese wichtigen Verkehrsadern unter dem Einfluss politischer, kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen das Stadtbild geprägt haben.

Die Vergangenheit dieser Straßen ist stark von der Vision einer autogerechten Stadt beeinflusst, die den Anforderungen der damaligen Zeit entsprach, aber längst nicht mehr den modernen Ansprüchen an soziale Inklusion, nachhaltige Stadtplanung, Klimaneutralität und bezahlbaren Wohnraum gerecht wird.

Ein Blick in die Zukunft: Vorschläge für die Neugestaltung unwirtlicher Straßenräume

Im zweiten Teil der Ausstellung werden zukunftsweisende Entwürfe von zehn renommierten Berliner Architekturbüros präsentiert, die Möglichkeiten zur Umgestaltung dieser „unwirtlichen“ Straßenräume aufzeigen. Die Vorschläge basieren auf neuen Kriterien der Mobilität und berücksichtigen die veränderten klimatischen Bedingungen.

Diese Entwürfe, die unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin stehen, sollen als Ideengeber und Anstoß dienen, wie sich die Hauptstadt von der Praxis der autogerechten Stadt weg zu einer lebenswerten, modernen Metropole entwickeln kann. Die Stadt soll so gestaltet werden, dass sie den heutigen Anforderungen an Verkehr, Infrastruktur, Digitalisierung, Gesundheit und Wohlbefinden gerecht wird.

Von der autogerechten Stadt zur grünen Metropole: Ein Paradigmenwechsel

Den Auftakt des Symposiums bildete die Grundsatzrede von Prof. Dr. Harald Bodenschatz, einem renommierten Stadt- und Architekturhistoriker. Er betonte, dass Straßen mehr als nur Verkehrswege sind – sie sind Spiegelbilder der Stadtentwicklung. „In den Straßen Berlins spiegeln sich die Anstrengungen der Architektur, des Städte- und Ingenieurbaus wie in einem Brennglas wider“, erklärte Bodenschatz.

Hier lassen sich die Brüche, Schwierigkeiten und Irrwege der Vergangenheit deutlich ablesen.“ Bodenschatz plädierte dafür, die Fehler der Vergangenheit zu erkennen und daraus zu lernen, um die Zukunft Berlins als nachhaltige und lebenswerte Stadt zu gestalten.

Urbane Mobilität neu denken: Innovative Ansätze und Konzepte

Ein weiteres Highlight des ersten Symposiumstages war der Vortrag von Prof. Marco te Brömmelstroet, Professor für Urban Mobility Futures an der Universität Amsterdam. Als Experte für urbane Mobilität und Stadtplanung forderte er ein radikales Umdenken des Mobilitätsparadigmas.

In seinem Vortrag „Rethinking the Mobility Paradigm“ erläuterte er, dass nicht nur das Fahrrad eine zentrale Rolle im Verkehrskonzept der Zukunft spielen sollte, sondern dass die gesamte Straßenplanung neu gedacht werden müsse. Ein anschaulicher Film untermauerte seine These, dass eine umfassende Neugestaltung der Straßen entscheidend sei, um die Verkehrsprobleme in Städten zu lösen.

Europäische Vorbilder: Erfolgreiche Straßenneugestaltungen als Inspiration

Dr. Steffen de Rudder, Professor für Städtebau an der Bauhaus-Universität Weimar, präsentierte in seinem Vortrag erfolgreiche europäische Beispiele für die Umgestaltung von Straßen und öffentlichen Räumen.

De Rudder stellte innovative Projekte vor, wie die aktiven Straßenneugestaltungen in Barcelona, die recycelte Infrastruktur in Brüssel oder die „Repräsentative“ in Ljubljana, die als Blaupause für die Transformation von Berliner Straßen dienen könnten. „Gerade die Pandemie hat das Potenzial der Straße als öffentlichen Raum deutlich gemacht“, betonte de Rudder. „Die Straße ist für alle da!

Visionäre Projekte für Berlin: Der neue Stadteingang West und andere Ideen

Eines der spannendsten Projekte, das während des Symposiums vorgestellt wurde, ist der neue Stadteingang West in Berlin, präsentiert von Senatsbaudirektorin Prof. Petra Kahlfeldt und Markus Schaefer von Hosoya Schaefer Architects Zürich.

Dieses Langzeitprojekt steht im Zusammenhang mit dem Umbau des Autobahndreiecks Funkturm und soll die Mobilitäts-, Klima- und Energiewende in Berlin verkörpern. „Dieses Projekt vereint all die Botschaften, die für das zukünftige Berlin entscheidend sein werden“, erklärte Kahlfeld.

Impulsvorträge und Diskussionen: Die Zukunft von Verkehr und Stadtraum

Der zweite Tag des Symposiums widmete sich ganz der Präsentation konkreter Projekte für die Zukunft der Berliner Straßenräume. Zahlreiche Impulsvorträge und Diskussionen gaben tiefe Einblicke in die Herausforderungen und Möglichkeiten des Umbaus.

Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing (FDP), Henrik Falk, Vorstandsvorsitzender der BVG, und Prof. Stephan Rammler, Mobilitäts- und Zukunftsforscher, diskutierten über die Zukunft der Mobilität in Berlin. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jan Lerch. Wissing sprach in seinem Vortrag darüber, dass Verkehr und Mobilität sich an die sich ändernden Gegebenheiten anpassen müssten.

Volker Wissing: Der Straßenverkehr wird bis 2051 um 50 Prozent zunehmen

Wissing betonte das große Problemlösungspotenzial der Digitalisierung für die Stadtplanung und forderte eine vorausschauendere Gestaltung urbaner Räume. Im Stadtverkehr solle das Fahrrad eine zentrale Rolle spielen, doch die Umsetzung von Radschnellwegen in Berlin stößt auf erhebliche Hindernisse.

Der Ausbau von Schienenwegen gestaltet sich besonders schwierig aufgrund komplizierter Verhandlungen mit Grundstückseigentümern. Die Fertigstellung des Bauabschnitts 16 der A 100 wird für Anfang 2025 erwartet, wobei der Bauabschnitt 17 entscheidend ist, um städtische Verkehrsprobleme zu lösen. Trotz gegenläufiger Bemühungen werde der Straßenverkehr bis 2051 voraussichtlich um 50 Prozent zunehmen, da wirtschaftliche Entwicklung und Infrastruktur eng miteinander verbunden sind.

BVG-Vorstandsvorsitzender Henning Falk setzt auf autonomes Fahren

BVG-Vorstandsvorsitzender Henning Falk sieht vor allem im autonomen Fahren den Schlüssel zur Lösung der Probleme, die durch privat genutzte PKW in Großstädten entstehen. Er steht dem Begriff “Mobilitätswende” skeptisch gegenüber und bezweifelt, dass ein Ausbau des Berliner ÖPNV zu einem starken Rückgang privater PKW führen würde.

Eine Simulation in Hamburg zeige etwa, dass 10.000 Shuttlefahrten rund 200.000 PKW-Fahrten ersetzen könnten. Falk kritisierte dabei auch die langsame Verwaltung in Berlin im Vergleich zu Hamburg, wo Projekte schneller und höher priorisiert umgesetzt werden.

Straßen als zentrale Elemente einer lebenswerten Stadt

Ein zentrales Thema des zweiten Symposiumstages war die Vorstellung der Projekte zur Umgestaltung von zehn Berliner Hauptstraßen, die als besonders veränderungswürdig befunden wurden. Diese Projekte, vorgestellt von namhaften Architekturbüros, konzentrieren sich auf alternative Formen der Mobilität, neue klimatische Bedingungen und nachhaltige Energiegewinnung. Ziel ist es, die Straßen zu Orten der Begegnung und des Zusammenlebens zu transformieren.

Das Symposium des AIV hat eindrucksvoll gezeigt, dass Berlin bereit ist, sich von der Idee der autogerechten Stadt zu verabschieden und neue Wege zu gehen. Der Umbau der Stadt ist eine enorme Herausforderung, die nur durch eine enge Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, Architekten und Ingenieur*innen bewältigt werden kann.

Tobias Nöfer: “Wir haben keine Zeit zu verlieren.”

Wir haben keine Zeit zu verlieren“, mahnte Tobias Nöfer in seinem Schlusswort. „Es ist an der Zeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um die Zukunft unserer Stadt zu sichern.“ Insgesamt hat das Symposium des AIV eine wichtige Initiative gestartet, die das Potenzial hat, die Stadt nachhaltig zu verändern.

Die vorgestellten Entwürfe der Architekturbüros hatten durchweg eine hohe Qualität und machten deutlich, dass eine Realisierung dieser Visionen langfristig und umfassend geplant werden sollte. Die Berliner Politik ist nun gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Weg für die Transformation Berlins zu ebnen.

 

Weitere Bilder zum Thema findet Ihr hier: 

So könnte der heute vom Autoverkehr dominierte Platz zwischen Wolfensteindamm und Schloßstraße in Berlin-Steglitz zukünftig einmal aussehen. / © Visualisierung: Bernd Albers Architekten mit ENS Architekten, Fachhochschule Potsdam

 

Quellen: Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg, HILMER SATTLER ARCHITEKTEN, Ahlers Albrecht Gesellschaft von Architekten mbH, TCHOBAN VOSS Architekten GmbH, ST raum a. GmbH, LANGHOF®, GRAFT, Jan Kleihues, Kleihues & Kleihues, Heike Hanada, hh_laboratory of art and architecture, gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Bernd Albers Architekten, ENS Architekten, Fachhochschule Potsdam, Patzschke Planungsgesellschaft mbH, Axthelm Rolvien Architekten, MÄCKLER ARCHITEKTEN, HKK Landschaftsarchitektur, ARGUS Stadt und Verkehr

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  1. […] Ausstellung wird daher eingebettet in die Veranstaltungsreihe des AIV, der sich noch bis Ende November dem großen Themenko…. Dazu passend kommt die Ausstellung des Wasmuth Verlags. Die dort gezeigten Fotografien – in […]

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