Ab 2029 sollen wieder S-Bahnzüge zwischen den Bahnhöfen Jungfernheide und Gartenstadt in Berlin-Spandau verkehren. Die Reaktivierung der historischen Siemensbahn-Trasse gehört zu den aufwendigsten und spannendsten Infrastrukturprojekten der Hauptstadt – und wird nicht billig.

1927 eröffnet, 1980 stillgelegt, zum Teil unter Denkmalschutz gestellt: Die historische Siemensbahn in Berlin-Spandau. / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

© Fotos: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN
Text: Wolfgang Leffler

 

Der unter Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz im Juni 2024 erfolgte Startschuss zum Quartier “Siemensstadt Square“ erfordert nun auch die Forcierung der Bauarbeiten zur Reaktivierung der im Jahr 1980 nach einem Eisenbahnerstreik stillgelegten historischen Siemensbahn.

Hier sollen ab 2029 wieder die S-Bahnzüge zwischen den Bahnhöfen Jungfernheide und Gartenstadt in Spandau verkehren. Damit der Zeitplan eingehalten werden kann, müssen noch in diesem Jahr die nächsten Aktivitäten gestartet werden.

Reaktivierung Siemensbahn: Berliner Senat hat bereits 36 Mio. Euro investiert

Der Berliner Senat ist mit gut 36 Millionen Euro für diese sogenannten ‚bauvorbereitenden Maßnahmen‘ bereits in Vorlage gegangen, die später sicher durch die vom Bund bereitgestellten Mittel zur Gesamtrekonstruktion der Bahn wieder zurückfließen werden.

Diese Vorfinanzierung ist äußerst wichtig zur Einhaltung des Zeitplanes und spart wertvolle Zeit zur rechtzeitigen Reaktivierung und Inbetriebnahme der historischen Siemensbahn. Denn wenn der von der Siemens AG geplante „Siemensstadt Square“ fertiggestellt sein wird, muss auch die Verkehrsinfrastruktur funktionieren, ansonsten sieht es schlecht aus für tausende Beschäftigte, die im neuen Siemens-Forschungszentrum ihrer Arbeit nachgehen wollen.

1927 errichtete “Siemens und Halske” die Siemensbahn in Eigenregie

Dieses Ansinnen hatte auch die Firma Siemens und Halske, als sie in Eigenregie zwischen 1927 und 1929 diese Hochbahnstrecke als Teil der Berliner S-Bahn errichten ließ, die von Jungfernheide über knapp 4,5 Kilometer nach Spandau-Gartenstadt verlief, um ihre Werke in der Berliner Siemensstadt an das Berliner S-Bahnnetz anzuschließen.

Diese Bahnstrecke ist teilweise als Stahlviadukt und Dammanlage angelegt. Die Züge fuhren elektrisch, da sich die große Elektrisierungswelle der Berliner Stadt-, Ring- und Vorstadtbahnen gerade in der vollen Realisierungsphase befand.

In den Anfangsjahren verkehrten die Züge bis nach Neukölln oder Papestraße

In den Anfangsjahren verkehrten die Züge bis nach Neukölln oder Papestraße, wodurch auch die Passagierzahlen deutlich zunahmen, wohl auch deshalb, weil die Strecke größtenteils von den Beschäftigten der Siemens-Werke genutzt wurde.

Von den zirka neunzigtausend Mitarbeitern, die Siemens zur damaligen Zeit insgesamt beschäftigte, nutzten rund siebzehntausend Menschen die Siemensbahn, die im 5-Minuten-Takt zwischen ihren Wohn- und Arbeitsorten pendelte.

Zweiter Weltkrieg: Wendepunkt für die Siemensbahn

Der Zweite Weltkrieg und die damit einhergehenden Zerstörungen läuteten einen Wendepunkt für die Siemensbahn ein. Aufgrund der Beschädigungen konnte ab September 1945 der Betrieb teilweise nur noch provisorisch eingleisig aufrechterhalten werden, denn das zweite Gleis wurde als Reparationsleistung abgebaut und an die damalige Sowjetunion geliefert.

Erst ab Dezember 1956 konnte der komplette zweigleisige Betrieb, auch nach dem Neubau der Spreebrücke, wieder aufgenommen werden.

Die früheren Passagierzahlen wurden nach dem Krieg nicht mehr erreicht

Aber die früheren Passagierzahlen wurden nicht mehr erreicht, da der Siemens-Konzern auch vor dem Hintergrund der permanenten unsicheren politischen und wirtschaftlichen Situation in West-Berlin schon Ende 1949 entschieden hatte, den Hauptsitz nach München zu verlagern.

Fortan war die Siemensbahn eine der am wenigsten frequentierten Strecke im gesamten Berliner S-Bahn-Netz, woraufhin dann die Züge bis zum Bahnhof Jungfernheide zurückgezogen wurden und auch nur noch Fahrzeuge älterer Baureihen zum Einsatz kamen. Diese fuhren dann im 20-Minuten-Takt mit im Schnitt dreißig bis vierzig Fahrgästen.

Die Linie U7 war ab 1980 eine moderne Alternative zur Siemensbahn

Nach dem Eisenbahnerstreik und den im Oktober 1980 eröffneten Bahnhöfen Siemens- und Rohrdamm der U-Bahnstrecke 7 verfügte die Siemensstadt über moderne Alternativen zu den vorherigen S-Bahnhöfen Wernerwerk und Siemensstadt.

Ein glücklicher Umstand für die nun anlaufende Wiederbelebung der Bahnstrecke war sicher ein nie eingeleitetes förmliches Stilllegungsverfahren nach § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Dazu kam, dass im August 1995 der Streckenteil zwischen der Bezirksgrenze Spandau und dem Bahnhof Gartenfeld unter Denkmalschutz gestellt wurde und ein Abriss damit ausgeschlossen war.

Teile der Siemensbahn stehen heute unter Denkmalschutz

Aber als die Siemens AG im Jahr 2018 beschloss, im Ortsteil Siemensstadt einen Campus für Forschungszwecke zu errichten, stimmten sowohl der Konzern als auch der Berliner Senat einer Reaktivierung der Siemensbahn zu.

In weiser Voraussicht wurde wohl auch im Berliner Flächennutzungsplan aus dem November 2017 die Siemensbahn weiterhin ausgewiesen und sogar mit einer Verlängerung über das Gartenfeld hinaus  zur Dammstraße (Wasserstadt Oberhavel) und weiterführend bis Hakenfelde versehen.

Ende 2019 schrieb die Deutsche Bahn Netz AG die Erstellung einer Machbarkeitsstudie für den zweiten Bauabschnitt Gartenfeld – Hakenfelde europaweit aus. Diese soll verschiedene Trassen für eine zweigleisige, für eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ausgelegte Streckenverlängerung sowie den Zwischenhalten Wasserstadt Oberhavel und Hakenfelde enthalten.

Siemensbahn wurde nachträglich in das Projekt “i2030” aufgenommen

Somit wurde der Wiederaufbau der Siemensbahn nachträglich in das Verkehrsprojekt i2030 der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg und der Deutschen Bahn AG aufgenommen.

 Damit der Zeitplan eingehalten werden kann und ab dem Herbst 2029 wieder die S-Bahnen auf der historischen Strecke rollen können, müssen wie schon eingangs erwähnt noch im Jahr 2024 weitere Aktivitäten gestartet werden.

Siemensbahn: Offizieller Baubeginn soll 2026 sein

Vom Berliner Senat wurde als offizieller Baubeginn das Jahr 2026 ausgegeben, aber die Planungen für das Projekt laufen bereits auf Hochtouren.

Die IST-Bestandsaufnahme der Strecke weist aus, dass rund 30 Brücken saniert oder neu gebaut werden müssen. Auch weitere neue Stützwände, neue Gleise auf zehn Kilometer Länge und der Einbau neuer Weichen werden unumgänglich sein. Außerdem müssen drei Bahnhöfe aufwendig instandgesetzt werden.

Die Natur hat die Trasse nach 44 Jahren Stillstand zurückerobert

Vorher aber wird das Fällen von Bäumen nicht zu verhindern sein, denn die Natur hat sich nach 44 Jahren der Stilllegung schon einiges zurückgeholt. Schon vorab sollen dafür ökologische Ausgleichsmaßnahmen beginnen.

Das alles fällt unter dem Begriff der ‚vorgezogener Bauarbeiten‘, wozu auch Umweltmaßnahmen zählen, wie Kampfmittelsondierung und – beräumung, die laut VBB bereits im ersten Quartal 2024 ausgeschrieben worden sind. Die Durchführung soll pünktlich vor Baubeginn 2026 abgeschlossen sein.

Siemensbahn: Schneller und direkter Anschluss an die Ringbahn geplant

Und auch die Erstellung einer elektronischen Grobplanung, die den Bedarf an Soft- und Hardware für den Streckenbetrieb festlegt, soll zeitnah begonnen werden.

Die Reaktivierung der Siemensbahn hat auch zum Ziel, dass ein schneller und direkter Bahnanschluss an die Ringbahn und somit zum Berliner Hauptbahnhof und BER hergestellt wird, was auch für die Zukunftspläne der Siemens AG von enormer Wichtigkeit ist.

Der Bund soll sich an den Kosten für die Siemensbahn-Reaktivierung beteiligen

Die Reaktivierung der Siemensbahn ist bereits für eine Bundesförderung angemeldet und wird nach Angaben des Bundes als wirtschaftlich förderfähig eingestuft. Daher ist vorgesehen, dass ein Teil der Summe, mit der der Berliner Senat in Vorleistung geht, später durch Bundesmittel abgelöst wird.

Die Kosten für die Reaktivierung des Siemensbahn werden die vom Berliner Senat vorgestreckten Mittel allerdings weit übertreffen. Im Jahr 2021 wurde bereits eine Gesamtsumme von 500 Millionen Euro an Kosten geschätzt, was aufgrund der fortschreitenden Kostensteigerungen im Baugewerbe nicht ausreichen wird. Unter dem Strich dürften die tatsächlichen Kosten wohl weit höher liegen.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

© Foto: ENTWICKLUNGSSTADT BERLIN

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© Open Street Map

Quellen: Siemens AG, Wikipedia, Architektur Urbanistik Berlin, Deutsche Bahn Netz AG, Deutsche Bahn AG, VBB

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4 Comments

  1. S. Langbein 19. Juli 2024 at 11:23 - Reply

    Das Projekt wird sich nur lohnen, wenn man die Erweiterung nach Spandau Nord (Wasserstadt etc.) – also bis zur WEST-Seite der Havel – gleich mitplant.
    So wie in Berlin aber Stadtplanung betrieben wird, muss man befürchten, dass genau das nicht passiert.
    :-/

    • Max 19. Juli 2024 at 15:03 - Reply

      So ist es! In einem früheren Artikel, schon wieder 2,5 Jahre her, wurden die möglichen Erweiterungen diskutiert: In einem normalen Land hätte man inzwischen Nägel mit Köpfen gemacht.

      https://entwicklungsstadt.de/siemensbahn-verlaengerung-bis-hakenfelde-wird-untersucht/

      Bemerkenswert ist ja dass früher eine Firma das aus dem eigenen Säckel bezahlt hat.

    • Anda Tirpitz 19. Juli 2024 at 17:44 - Reply

      Wer sagt, dass damit die Erweiterung von vornherein vom Tisch ist? Wichtig ist, dass überhaupt erst mal ein Anfang gemacht ist. Berlin ist auch nicht an einem Tag erbaut worden…

  2. Böhme 21. Juli 2024 at 12:35 - Reply

    Mich würde mal interessieren, ob es sich lohnt, für die Siemensbahn einschließlich der hier vorgeschlagenen Verlängerung auf die Magnetschwebebahn Bögls zu erwägen. Man sollte das durchrechnen!

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