Die Bauindustrie gehört nicht nur in Deutschland zu den klimaschädlichsten Branchen überhaupt. Bau- und Reststoffe verursachen enorm hohe CO²- und Abfallmengen. Alternative Konzepte sind auf dem Vormarsch, können traditionelle Baustoffe bislang aber nicht vollwertig ersetzen.
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Text: Stephanie Engler
Bis heute wird in überwiegendem Maß mit Materialien gebaut, die in der Herstellung sehr CO²-intensiv sind. Die Baubranche gehört daher auch zu den klimaschädlichsten Branchen überhaupt, nicht nur in Deutschland.
Größtenteils geht der hohe CO²-Ausstoß im Gebäudesektor auf das Heizen zurück. Doch auch beim Bau von neuen Gebäuden fallen enorme Mengen Treibhausgasemissionen an.
Klimawandel: Jede sechste Tonne CO² stammt aus dem Gebäudesektor
So ist allein die deutsche Zementindustrie für die Entstehung von rund 20 Millionen Tonnen CO² pro Jahr verantwortlich. Das Ziel der Industrie ist es nach eigener Aussage, bis 2050 klimaneutral zu werden.
Derzeit stoßen Gebäude jährlich in Deutschland 115 Millionen Tonnen CO² aus. Das soll sich bis 2030 ändern und auf etwa 67 Millionen Tonnen reduziert werden – ein ambitioniertes Ziel. Dabei setzen sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union auf die Sanierungswelle.
Co²-Reduzierung: Lösung durch Sanierungswelle?
Aber auch bei Neubauten sollen die Zügel angezogen werden, denn die bisherigen Pläne zur Neubauförderung von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) sehen vor, dass schon ab 2023 nur noch der klimaschonende Effizienzhausstandard 40 gefördert werden soll.
Schon seit Jahren mangelt es in den größeren Städten Deutschlands an bezahlbarem Wohnraum. Daher ist das Ziel der Ampel-Koalition, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen bauen zu lassen. Dabei ist aber gerade in den ländlichen Gegenden im Osten der Republik Leerstand ein massives Problem.
Konventionelle Bauweise verhindert Kreislaufwirtschaft
So sei laut Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), ein Rückbau notwendig. Die daraus gewonnen Materialien könnten rein theoretisch für die benötigten Neubauten genutzt werden. Praktisch jedoch ist die Kreislaufwirtschaft auf dem Bau längst noch nicht angekommen.
Was gegen die Kreislaufwirtschaft spricht, sei laut Amandus Samsøe Sattler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), die konventionelle Bauweise, bei der “viele Bauteile miteinander fest verbunden” seien.
Das würde dazu führen, dass die Bau- und Abbruchabfälle mehr als jede zweite Tonne des in Deutschland anfallenden Abfalls ausmachen, so das Statistische Bundesamt. Denn verklebte Bauteile lassen sich nicht gut voneinander trennen und dann wiederverwenden. Aus Sicht der Bauindustrie eine verheerende Bilanz.
Auch chemische Bausubstanzen erschweren nachhaltiges Bauen
Zudem würden für den Bau chemische Substanzen hergestellt, die bislang unabdingbar seien. So sagt Sattler: “Wenn ich heute zum Beispiel ein Kunststofffenster verbaue, ist es nicht recycelbar, weil es chemische Stoffe enthält, die man nicht in einem Rezyklat wiederfinden möchte.“
Diese Stoffe seien auch der Grund, warum Gebäude nach ihrer Fertigstellung erst auslüften müssten. “Aber wenn wir das Fenster aufmachen, dann gehen die Schadstoffe doch einfach in die Umwelt“, klagt Samsøe Sattler.
Gesetzeslage und schlechter Ruf versperren Weg für recycelte Baustoffe
“Die derzeitige Regulatorik ist auf die einmalige Verwendung ausgerichtet“, sagt HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. “Hinzu kommt, dass Recycling gerade beim Wohnungsbau immer noch bei vielen einen schlechten Ruf hat.“
Recycelte Baumaterialien seien laut Müller nicht gleichwertig zu neuartigen Materialien. Sie würden als Abfall gelten und niemand wolle in Abfall wohnen. Besonders öffentliche Auftraggeber scheuen sich vor der Nutzung recycelter Materialien, so Müller.
Ein weiteres Problem ist der Straßenbau
Bei der Wiederverwendung von Materialien aus dem Tiefbau gibt es noch ein weiteres Problem: Diese Materialien dürfen nicht vor Ort klassifiziert werden, sondern müssen erst zur nächsten Verwertungsanlage gefahren werden. Erst dort kann die Qualität des Baustoffs geprüft werden.
Im Anschluss könnten die Baustoffe theoretisch wieder zurück zur Baustelle gebracht und dort wieder verwendet werden. “Viele verzichten lieber darauf und entsorgen es gleich“, sagt Müller. Denn auch der Transport würde massig CO² ausstoßen.
Möglicher Lösungsansatz: Digitaler Gebäudepass für verwendete Baustoffe
Müller spricht sich aufgrund des Problems der vielen Einzelteile im Hochbau für einen digitalen Gebäudepass aus. So könnte nachvollzogen werden, welche Baustoffe verbaut wurden und welche davon wiederverwendet werden könnten.
Durch die Klimaziele gewinnen nachhaltige Baustoffe wie Holz, Stroh oder Lehm an Bedeutung. So wird jedes fünfte im Vorjahr genehmigte Haus mittlerweile aus Holz gebaut. Die Bundesregierung selbst setzt auf Holz und hat im Koalitionsvertrag eine Holzbauinitiative verankert.
Nach Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen könnten etwa 350.000 Einfamilienhäuser mit den Abfällen einer Strohernte gedämmt werden. Hanf, Tang und Schafwolle seien ebenfalls für den Hausbau geeignet. Es wird sogar erforscht, ob Pilze als Verbundwerkstoffe genutzt werden könnten.
Baubranche der Zukunft: Noch kEin Ende für Beton und Zement
Der nachhaltige Bau mit nachwachsenden Rohstoffen würde die Ära von Beton und Zement jedoch nicht so schnell beenden. So gibt Sattler zu bedenken: “Das konstruktive Skelett, Stützen und Träger mit Beton zu bauen, ist weiterhin sinnvoll.“
Eine Tochterfirma des DAX-Konzerns HeidelbergMaterials setzt bereits seit 2023 neue Verfahren ein. Im englischen Ribblesdale verwendete die Firma bei einem Bauprojekt ein klimaneutrales Brennstoffgemisch aus Wasserstoff, Biomasse und Glyzerin. Dies soll dafür sorgen, dass Zement grün wird.
Die Herausforderung, nachhaltige Baustoffe zu verwenden, ohne die hohen Ziele der Bundesregierung beim Wohnungsbau zu vernachlässigen, ist für die deutsche Baubranche zu lösen, wenn sie ihren Status als eine der klimaschädlichsten Industrien überwinden. Eine leichte Aufgabe ist dies wahrlich nicht.
Quellen: HeidelbergMaterials, Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie
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2. November 2024